Joey K. (21) Hannover, erschossen weil er Zivilcourage zeigte
26.06.2015 um 09:22Das sind gute Nachrichten .... so kann der Tag beginnen
16.12.2015 | 13:30 Uhr
Prozesse
Bundesweit Supermärkte überfallen: Angeklagter schweigt
Über ein Jahr lang verbreitete ein Supermarkträuber bundesweit Schrecken. Jetzt muss sich ein 42-Jähriger wegen 24 Überfällen in Hannover vor Gericht verantworten. Was trieb den Täter zu der Raubserie?
Hannover. Im Prozess um eine bundesweite Überfallserie auf Supermärkte mit einem Toten und mehreren Verletzten hat der Angeklagte vor Gericht geschwiegen.
Der 42-Jährige ist wegen Raubmordes angeklagt. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm eine Serie von 24 Überfällen vor. Für ihn komme nach einer Haftstrafe eine Sicherungsverwahrung in Betracht, da er für die Allgemeinheit gefährlich sei, sagte der Staatsanwalt bei Verlesung der umfangreichen Anklage vor dem Landgericht Hannover.
Dem Mann werden Überfälle in Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Bayern, Brandenburg und Sachsen-Anhalt zur Last gelegt. Am 4. Dezember 2014 soll er in Hannover einen 21-jährigen Kunden mit zwei Schüssen in die Schläfe und den Oberkörper getötet haben. Ein weiterer zufällig hereinkommender 29 Jahre alter Kunde wurde durch einen Schuss in den Oberschenkel schwer verletzt.
Auch bei anderen Überfällen soll der Supermarkträuber äußerst brutal vorgegangen sein. Einer Kassiererin schoss er laut Anklage in den Fuß. An acht Tatorten gab der Räuber demnach Schüsse ab, wenn er nicht gleich den Inhalt der Kasse bekam.
Die Ermittlungsgruppe "Discounter" hatte deutschlandweit nach dem korpulenten Mann mit Schiebermütze gefahndet. Auf die Spur kamen die Ermittler ihm über sein Handy, das er stets eingeschaltet bei den Überfällen dabei hatte. Anhand von DNA-Spuren konnten dem Angeklagten Überfälle unter anderem in Nordrhein-Westfalen und Bayern zugeordnet werden.
Als das Handy sich Ende Juni bei der Einreise des Mannes aus Polen ins deutsche Netz einloggte, nahmen die Fahnder ihn bei Dresden fest. Sie gehen davon aus, dass er jeweils für die Taten nach Deutschland reiste.
„Ich dachte nur: Der will mich erschießen“
Monatelang sorgte der Supermarkträuber bundesweit für Angst und Schrecken - vor allem Kassiererinnen fürchteten sich vor dem Unbekannten. Am zweiten Tag des Prozesses gegen den monatelang gesuchten Mann dreht sich im Landgericht Hannover alles um die brutalste Tat – der tödliche Schuss auf einen Kunden.
Vor mehr als einem Jahr fielen im Stöckener NP-Supermarkt in der Weizenfeldstraße die tödlichen Schüsse auf den 21-jährigen Joey K. Doch der Kassiererin Gabriele S., die am Dienstag als Zeugin im Prozess gegen den mutmaßlichen Schützen Marek K. vor dem Landgericht Hannover aussagte, sind die Geschehnisse vom Abend des 4. Dezember 2014 noch so präsent wie unmittelbar nach der Tat. Eindrucksvoll schildert sie vor der Schwurgerichtskammer, wie sie den Raubmord erlebt und welche Folgen die Tat für sie gehabt hat. „Ich habe einen Schutzengel gehabt, der mir im richtigen Moment gesagt hat, dass ich flüchten soll“, sagt S. vor Gericht.
Kurz vor Ladenschluss saß die 52-Jährige an jenem Tag an einer der Kassen des Supermarktes und sortierte EC-Belege. Die Kassenschublade war deswegen geöffnet. „Plötzlich spürte ich den Lauf einer Pistole an meiner Stirn“, erinnert sich die Verkäuferin. „Gib mir die Scheine hier rein“, soll der Mann mit der Waffe, der an der Kasse stand und bei dem es sich nach Überzeugung der Staatsanwaltschaft um Marek K. gehandelt hat, zu ihr gesagt haben.
„Ich dachte nur: Der will mich kriegen, packen, erschießen"
Der Täter hielt ihr einen Beutel hin, und Gabriele S. verstaute zunächst die 5-, dann die 10- und schließlich die 20-Euro-Scheine darin. Daraufhin verlangte der etwas pummelige Mann mit dem osteuropäischen Akzent auch noch nach den 2-Euro-Münzen. Insgesamt, so stellte die Kripo im Verlauf der Ermittlungen fest, landeten rund 830 Euro in dem Beutel. Doch die Beute ließ der Täter nach den tödlichen Schüssen im Supermarkt zurück.
Der 21-jährige Joey K. muss den NP-Markt genau in dem Moment betreten haben, als die Kassiererin damit begann, die Münzen in den Beutel zu füllen. Der junge Mann wollte lediglich sein Leergut abgeben, als er Zeuge des Verbrechens wurde. Unklar bleibt, ob er gesehen hat, dass der Mann an der Kasse bewaffnet war oder nicht. Fest steht, dass er nicht lange zögerte und Gabriele S. zu Hilfe eilte. „Ich habe aus den Augenwinkeln gesehen, wie er zur Kasse kam und den Täter mit seiner Tasche geschlagen hat“, sagt die Kassiererin. Andere Zeugen berichten später, im Eingangsbereich des Supermarktes hätten zahlreiche leere Flaschen gelegen.
Zwischen Joey K. und dem Räuber entstand ein Gerangel, sagt die Kassiererin vor Gericht. Die 52-Jährige selbst nutzte das aus und rannte Richtung Lager des Marktes davon. Im Laufen hörte sie, wie ein Schuss fiel. Todesangst ergriff sie. „Ich dachte nur: Der will mich kriegen, packen, erschießen – ich wäre ja die einzige Zeugin gewesen“, sagt Gabriele S.
Lange Krankschreibung und Traumatherapie
Die Ermittlungen der Kripo sollten später ergeben, dass der Schuss nicht der 52-Jährigen galt. Der Supermarkt-Räuber hatte auf Joey K. geschossen – zweimal. Ein Projektil traf den jungen Mann im Bereich der Schulter, ein weiterer Schuss traf den Helfer gezielt in die Schläfe. Nach Angaben der Staatsanwaltschaft wäre jeder der beiden Schüsse für sich genommen tödlich gewesen. Ein Querschläger soll zudem einen 30-Jährigen, der sich dem Markt näherte, am Oberschenkel verletzt haben.
Von ihrem Versteck im Lager gelang es der Verkäuferin, sich in die Umkleidekabine zu schleichen. Dort hatte sie wie immer ihr Handy aufbewahrt. Doch der Schock unmittelbar nach der Tat saß offenbar zu tief: „Ich hatte zwar mein Handy, aber ich konnte einfach nicht die Polizei rufen“, berichtete S. dem Gericht. Erst als es im Verkaufsraum mehrere Minuten lang vollkommen still war, fasste die Kassiererin all ihren Mut und ging nach draußen. Im Verkaufsraum entdeckte sie die Leiche von Joey K. zwischen den Kassen, außerdem zwei weitere Zeuginnen, die den Markt nach den tödlichen Schüssen betreten hatten.
Gabriele S. arbeitet heute wieder als Kassiererin in einem Supermarkt, allerdings nicht mehr in Stöcken. Nach der Tat war sie lange krankgeschrieben, war in der Reha und machte eine Traumatherapie. „In der ersten Zeit konnte ich mich nicht einmal in die Nähe von Stöcken begeben, ohne Angst zu bekommen“, sagt sie vor Gericht. Die Tat vom 4. Dezember 2014 war bereits der zweite Überfall, den S. in ihrem Arbeitsleben miterleben musste – in beiden Fällen kamen die Täter aus Osteuropa. Die Überfälle haben bei ihr Spuren hinterlassen. „Wenn heute Osteuropäer zu mir an die Kasse kommen, bekomme ich Angst.“
Der Angeklagte Marek K., dem in diesem Verfahren insgesamt 24 Raubüberfälle zur Last gelegt werden, verfolgt die Ausführungen der Kassiererin, mit Unterstützung einer Dolmetscherin, in stoischer Ruhe. Er hat sich bislang nicht zu den gravierenden Vorwürfen geäußert. Der Prozess wird heute fortgesetzt. Es ist nicht zu erwarten, dass der 42-Jährige K. dann sein Schweigen bricht.
Lebenslange Haft für Supermarkträuber: "Mit eiskalter Ruhe"http://www.spiegel.de/panorama/justiz/hannover-supermarktraeuber-zu-lebenslanger-haft-verurteilt-worden-a-1077895.html
Der Supermarkträuber von Hannover ist wegen Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Bis kurz vor Schluss schwieg er vor Gericht - und präsentierte dann doch noch eine ganz eigene Version.
Vor der Verkündung des Urteils hat ein Angeklagter im deutschen Strafprozess das Recht auf das letzte Wort. Es ist seine letzte Chance, sich vor der Bekanntgabe des Strafmaßes zu den Vorwürfen zu äußern oder zu seiner Person. Er kann Reue zeigen, sich entschuldigen, gestehen. Auch wenn er vorher nichts gesagt hat.
Marek K., 42, ein Familienvater aus Polen, ein unauffälliger Typ, nicht vorbestraft, hat im Prozess vor dem Landgericht Hannover konsequent geschwiegen. Er soll zwischen Februar 2014 und Juni 2015 in Niedersachsen, Thüringen, Nordrhein-Westfalen, Sachsen-Anhalt, Brandenburg und Bayern 24 Supermärkte überfallen, dabei einen jungen Mann getötet und weitere Personen verletzt haben.
Marek K. hat kein Wort zu den Vorwürfen gesagt. Nun räuspert er sich laut und äußert sich - zur Überraschung vieler Prozessbeteiligter - zum ersten Mal. "Heute soll das Urteil über mich gesprochen werden", sagt er. Sein Rechtsanwalt habe die Verhandlung für ihn geführt, er habe sich nicht früher erklären können.
"Die Beweise sind gefälscht", sagt Marek K. Die Handyverbindungen, die ihn angeblich überführten, könnten nicht stimmen; es sei unmöglich, dass an einigen Orten seine Fingerabdrücke gefunden worden seien; die DNA-Probe, die mit Spuren von den Tatorten übereinstimmt, stamme nicht von ihm. Seine Lebensgefährtin, deren Schwester, ein Bekannter - sie könnten bezeugen, dass er am 4. Dezember 2014, als der 21-jährige Joey K. in einem Supermarkt in Hannover erschossen wurde, zu Hause im polnischen Kattowitz gewesen sei.
Die deutschen Kennzeichen und andere Beweise, die in seinem Haus sichergestellt worden seien, könnten nur Polizisten "da hingelegt haben". Der Hauptermittler habe ihm bei seiner Festnahme gedroht, er werde "zusehen, dass ich nie wieder das Gefängnis verlasse".
"Mit eiskalter Ruhe"
Die 13. Große Strafkammer glaubt Marek K. nicht und verkündet am Nachmittag das Urteil: K. muss lebenslang in Haft, bei Feststellung der besonderen Schwere der Schuld. Er kann also selbst bei günstiger Prognose nicht nach 15 Jahren auf Bewährung freikommen. Marek K. schaut bei der Verkündung zur Decke, eine Dolmetscherin übersetzt.
Staatsanwalt Martin Lienau hatte Marek K. in seinem Plädoyer wenige Stunden zuvor vorgeworfen, er habe "mit eiskalter Ruhe" geraubt. "Empathie war nicht im Ansatz erkennbar", der Tod von Joey K. "ein gezielter Mord". Verteidiger Holger Nitz bezeichnete die Schüsse auf Joey K. hingegen als das Resultat einer "fatalen Entwicklung". Eine Tat, die nicht mit "dolus directus 1. Grades", also mit Absicht, begangen worden sei.
Wenn Marek K. der Täter war, was bewegte ihn zu der Raubserie mit dieser auffälligen Brutalität? Ein Gerichtsgutachter hat ausführliche Gespräche mit ihm geführt; aber zu den Tatvorwürfen schwieg Marek K.
Vor der Urteilsverkündung fasste der psychiatrische Sachverständige zusammen: Marek K. wuchs als fünftes von sieben Kindern in der Bergbauregion Kattowitz auf. Die Familie lebte lange an der Armutsgrenze. Er absolvierte eine Ausbildung als Industriemechaniker, arbeitete im Bergbau, hielt sich nach der Umstrukturierung in der Branche mit Gelegenheitsjobs über Wasser, arbeitete zuletzt fünf Jahre als Staplerfahrer bei Fiat, aber er fühlte sich schlecht bezahlt und nicht wertgeschätzt.
Sein unauffälliges Leben nahm eine "radikale" Wende, wie der Gutachter meint, als Marek K. im Sommer 2013 seine neun Jahre jüngere Partnerin kennenlernte. Sie brachte zwei Kinder mit in die Beziehung, im März 2014 wurde die gemeinsame Tochter geboren.
Die Mutter des Opfers spricht ihn direkt an
Handelte Marek K. aus Existenzängsten? Die neue Lebenssituation, die neue Herausforderung als Vater, könnte Versagens- und Verlustängste ausgelöst haben, sagte der Gutachter, aber es bleibe letztendlich eine Hypothese.
Warum wehrt sich Marek K., wenn er sich als Unschuldigen sieht, erst am letzten Verhandlungstag? Sind seine Äußerungen, die Polizei habe die Ermittlungen manipuliert, reine Schutzbehauptungen? Dem Psychiater gegenüber sprach K. von Kränkungen und Erniedrigungen, mangelnder Anerkennung und Ungerechtigkeiten, die er als Kind und als Angestellter erfahren habe. Diese Sichtweise könne nun Teil der Tatverarbeitung sein, meint der Gutachter. Eine Persönlichkeitsstörung liege nicht vor.
Cornelia K., die Mutter des im Supermarkt getöteten Joey, wandte sich vor der Urteilsverkündung an Marek K.: "Meine Tochter wünscht Ihnen den Tod." Sie könne das Mädchen beruhigen, sagt die Altenpflegerin, sterben müsse jeder Mensch. "Das Leben ist eine viel größere Strafe. Dass Sie Ihre Kinder nicht aufwachsen sehen, ihre Liebe und Zuneigung nicht spüren können. Das Bewusstsein, alles verloren zu haben, was das Leben ausmacht."
In seinem letzten Wort betonte Marek K. noch einmal, dass sich alles aufklären werde. Das werde der nächste Überfall des wahren Täters zeigen.