muscaria
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Aussageverweigerung, Recht eines Beschuldigten
02.04.2016 um 18:40Dornröschen schrieb:Ich werde es sicherheitshalber einmal ganz ausführlich erklärenDanke für deine Ausführungen. Vielleicht war es ja doch gut, dass ich mich zu dem Thread habe drängen lassen. So wird das Thema mal intensiver behandelt und nicht bei den jeweiligen Kriminalfällen immer nur oberflächlich gestreift.
Was du schreibst, ist für mich einleuchtend und gleichzeitig verstörend. Vermutlich deshalb, weil es wohl keinen Königsweg gibt, der allen Seiten gerecht wird.
Dornröschen schrieb:Du stellst hier immer auf "Alibis" ab.Ja, der Kinogänger wäre aufgrund seines Alibis wohl gar nicht erst in U-Haft gekommen. Dass man aber auch bei eindeutigem Alibi besser schweigen sollte, will mir trotzdem nicht in den Kopf.
Dornröschen schrieb:Ein Verhör bzw. eine Befragung verfolgt zugleich noch viel subtilere Absichten als lediglich in Erfahrung zu bringen, wo der Beschuldigte zum Tatzeitpunkt war. Da geht es nicht nur darum Aussageinhalte abzufragen.Wen sie mal am Haken haben, den lassen sie nicht mehr los? Das klingt ja so, als wolle man IRGENDWEN verurteilen, ganz egal ob schuldig oder nicht, Hauptsache, der Fall ist vom Tisch und die Erfolgsquote hoch. Ist das nicht unlogisch? Spätestens bei der Verhandlung bzw. beim Urteil zählen doch nur noch die Fakten, und nicht, ob der TV etwas aggressiv gesagt und wie er dabei geschaut hat.
Dornröschen schrieb:KachelmannSicher spielen Vorurteile und persönliche Antipathien eine Rolle, wenn Menschen urteilen. Ein Lehrer, dem die Art eines Schülers missfällt, wird diesen möglicherweise auch schlechter bewerten, obwohl eigentlich nur dessen Leistung zählen dürfte.
Wenn man sich den Verlauf von bekannten Justizirrtümern wie Wörz oder Rupp anschaut, dann sind dort doch haarsträubende Dinge geschehen, wo man sich fragt, wie das passieren konnte und warum die Anwälte nicht einschreiten konnten. Gibt es da kein Mehr-Augen-Prinzip?
Die Justiz muss endlich lernen, ihre Selbstgefälligkeit abzulegen und Fehler einzugestehen. Eine zweite Tatsacheninstanz bei Kapitalverbrechen ist ebenso vonnöten.
Bei dem ersten Prozess, den ich hier verfolgt habe, kam immer wieder dieses "darf lügen bis sich die Balken biegen". Ich wusste das bis dahin nicht. Und ich kann mich mit diesem "dürfen" einfach nicht anfreunden.
Dass ein TV lügt und abstreitet, seinen Kontrahenten ermordet zu haben, ist logisch, menschlich und verständlich. Aber dass das quasi vorausgesetzt/erwartet/angeboten wird, ist doch irgendwie paradox. Heißt im Endeffekt ja soviel wie "Ja ja, rede du nur, wir glauben dir sowieso kein Wort." Irgendwie bleibt mir da der unschuldige TV auf der Strecke. Der hat doch so überhaupt keine Chance, die Dinge richtigzustellen.
Vielleicht ist der Fall von Helmut Marquardt hier ein passendes Beispiel. Ein älterer Mann, der seinen Schwager tot auffand und dabei auch anfasste. Letztendlich führte hauptsächlich diese DNA-Spur zu seiner Verurteilung. Nach zwölf Jahren Gefängnis wurde er begnadigt.
"Erst später erklärte Marquardt, seinen Schwager gefunden und nach Lebenszeichen gesucht, aus Schock aber nicht die Polizei informiert zu haben. Sein Anwalt habe ihn angewiesen, das im Prozess nicht zu sagen."Wer in einer Partnerschaft lebt, der weiß, dass Schweigen die denkbar schlechteste Methode ist, um Missverständnisse aus dem Weg zu räumen. Auch sonst fällt mir aus dem RL keine Situation ein, wo das so ist. Nur in der Justiz. Irgendwie scheint das eine eigene Welt zu sein, und wer sich schon lange darin bewegt, für den wird diese Sprachlosigkeit mit der Zeit zur Selbstverständlichkeit.
Vermutlich hat dieser Weg sich in der Praxis einfach als das kleinere Übel herauskristallisiert. Für den Schuldigen und seinen Anwalt ist es von Vorteil, für den Unschuldigen aber kann der Schuss auch schnell mal nach hinten losgehen.
Wer freigesprochen wird, weil er unschuldig ist oder ihm nichts nachzuweisen ist, der wird für sein Lügen nicht mal zur Verantwortung gezogen. Und wenn ein Verurteilter später verbreitet, eigentlich hätte er viel lieber ausgesagt, aber sein Anwalt habe ihm ja zu dem Schweigen geraten, dann gehört das wohl mit zum Spiel. ;)