inextenso schrieb:Ich darf ja auch von meiner Zahnärztin erwarten, dass sie ihren Job ordentlich macht, ohne dass ich über zahnärztliche Fachkenntnisse verfüge. Falls sie einen schwerwiegenden Fehler machen sollte, kann ich entsprechende Rechtsmittel in Anspruch nehmen. Auch eine Biologie-Lehrerin sollte in der Lage sein, durchschnittlich intelligenten Schülerinnen den Lernstoff beizubringen, ohne dass Eltern eine fachliche Zusatzqualifikation für Nachhilfe benötigen. Wenn das Kind in diesem Fach nur 5en schreibt, und sonst überall 2en hat, dann würde man sich zwecks Klärung an die Lehrerin und ggf. die Schulleitung wenden. Auch mit dem Bäcker möchte ich nicht über seine Küchengeräte fachsimpeln, sondern einfach nur ein Brot kaufen. Wenn sich in dem Brot eine Schraube aus der Teigmaschine befindet, an der ich fast erstickt wäre, lasse ich das auch nicht auf sich beruhen. Das sind jetzt vllt nicht die besten Beispiele, aber sie illustrieren doch ansatzweise, dass wir in vielen Dingen keine Experten und Expertinnen sind und auch gar nicht sein können/wollen. Dennoch haben wir das Recht bei fachlichen Fehlleistungen u. beruflicher Inkompetenz zu unserem Nachtteil (bzw. dem von Familienangehörigen) eine Aufklärung und/oder (Schadens)Ersatzleistung zu verlangen.
Die Beispiele sind insofern schlecht gewählt, als dass hier den Rechtsgeschäften verschiedene Vertragsarten zugrunde liegen.
Der Bäcker ist insofern ein schlechtes Beispiel, als dass beim Kauf eines Brotes zunächst mal ein Kaufvertrag zustande kommt. Du schuldest dem Bäcker den Kaufpreis und der Bäcker Dir die Lieferung einer einwandfreien Sache, also in Deinem Beispiel eines Brotes ohne Schraube.
Bei Geschäften mit anderen Handwerkern liegt regelmäßig ein Werkvertrag zugrunde. Das bedeutet, der Handwerker verpflichtet sich dem Auftragnehmer gegenüber zur Herstellung eine einwandfreien Sache. Ein Gas-Wasser-Installateur z.B. zur Herstellung eine dichten Rohrleitung, ein Dachdecker eines dichten und haltbaren Daches und ein Schreiner eines Stuhles, der nicht zusammenbricht, wenn man draufbricht.
Das Beispiel eines Zahnarztes ist insofern schlecht gewählt, dass Zahnärzte tatsächlich auch oft Werkverträge mit ihren Patienten abschließen. Z.B. wenn sie eine Zahnfüllung machen, verpflichten sie sich zur Herstellung eben dieser Füllung.
Den allermeisten ärztlichen Leistungen liegt aber tatsächlich kein Werk- sondern ein Dienstvertrag zugrunde. D.h. ein Arzt schuldet seinem Patienten dabei nicht die Heilung, sondern nur eine sorgfältige Untersuchung und Behandlung. Da ein Krankheits- und Heilungsgeschehen so komplex ist und von vielen Dingen beeinflusst wird, die außerhalb des Einflussbereiches des Arztes liegen, kann er nicht verpflichtet sein, seinen Patienten eine Heilung abzuliefern. So gibt es individuelle Aspekte des Patienten, die in den Heilungsverlauf reinspielen, z.B. Vorerkrankungen oder kritische Begleit- oder Folgeerkrankungen, die die Heilung erschweren oder unmöglich machen. Oder besonders aggressive Krankheitserreger oder Krebsformen, die eben nicht heilbar sind.
D.h. ein Arzt ist zu einer sorgfältigen Untersuchung, Diagnosestellung und Therapie verpflichtet, die den aktuellen Regeln der Medizin entspricht. Natürlich kann er dabei Fehler begehen, z.B. fahrlässig eine bestimmte Untersuchung unterlassen, eine falsche Therapie verschreiben, eine Dosierung falsch berechnen.
Passiert das, kann ein Patient natürlich auch den Arzt verklagen. Aber niemand kann einen Arzt verklagen, weil der seine Krebserkrankung nicht heilen kann.
Und nach dieser langen Ausführung kommen wir jetzt mal zurück auf die Ermittlungsbehörden:
Auch Ermittler unterliegen eben keinem Werksvertrag (davon abgesehen ist das Opfer bzw. die Hinterbliebenen eines Opfers ja auch gar kein der Vertragspartner der Ermittler, also nicht derjenige, dem eine bestimmte (Dienst-)leistung zusteht, aber darauf gehe ich in einem separaten Beitrag ein, das hier wird eh schon eine recht lange Ausführung.)
Sie schulden bei ihrer Arbeit nicht die "Lösung des Falles" oder die "Ermittlung eines Täters". Das ist gar nicht möglich, weil auf der anderen Seite eben ein Täter steht, der alles tut, um nicht ermittelt zu werden. Weil, genau wie bei einer Krankheitsgeschichte, viel zu viele Unwägbarkeiten in die Ermittlung hereinspielen, die nicht von den Ermittlern verantwortet werden müssen. Z.B. dass sie von Zeugen absichtlich belogen werden, dass sich eine Zeuge falsch erinnert oder dass eine Spur so gut versteckt ist, dass sie nicht gefunden wurde.
Um beim Beispiel "Spur" zu bleiben, bedeutet das z.B. dass die Ermittler einen Tatort sorgfältig untersuchen und dokumentieren müssen. Dass man von ihnen aber nicht erwarten kann, dass absolut jede Spur gefunden wird.
Das vergessen die Angehörigen, die die Ermittlungen kritisieren leider häufig. Im Nachhinein ist man immer schlauer und sagt, dass man diese oder jene Spur doch gleich von Anfang an hätte verfolgen müssen, dann wäre man den Täter schon nach 5 Tagen und nicht erst nach 5 Jahren auf die Schliche gekommen.
Es ist im Rückblick natürlich leicht, mit dem nackten Finger auf die eine Spur zu zeigen, die dann am Ende zur Klärung des Falles geführt hat. Das ist keine Kunst, es ist dann eben wie so ein Labyrinthrätsel aus der Tageszeitung einfach von hinten zu lösen; da gibt es dann tatsächlich eine ganz direkten Weg zum Eingang und es ist total klar, an welcher Stelle man wie abbiegen muss.
Vieles was die Angehörigen in solchen Fällen also als "Ermittlungsfehler", Ermittlungspanne" oder "einseitige Ermittlungen" kritisieren, ergibt sich bei genauerer Betrachtung aber als zum damaligen Zeitpunkt logischer Ermittlungsschritt aus dem zeitlichen Ablauf des Geschehens.
Um bei dem von mir angeführten Beispiel zu bleiben: eine 21-jährige Schülerin "schwänzt" die Schule, geht nicht ans Handy und ruft 2 Tage später persönlich bei ihrem Mitbewohner an um bescheid zu sagen, dass alles in Ordnung ist und sie bald nach Hause komme.
In meinen Augen ist es die absolut logische Entscheidung der Polizei dann zu sagen, dass das kein Fall für polizeiliche Ermittlungen ist. Die Tochter ist volljährig, es gibt eine Lebenszeichen und nach eigener Aussage ist bei ihr alles in Ordnung.
Die Behauptung, hier liege ein Versäumnis der Polizei vor, ist einfach falsch. Das ist keine Ermittlungspanne. Im Nachhinein ist der Verlauf des Geschehens natürlich tragisch und auch fatal, hier ist es dem Täter gelungen, sein Verbrechen dadurch zu tarnen und den Beginn von Ermittlungen zu verzögern. Aber es ist kein Polizeifehler, sondern eben ein böser Schachzug des Täters.