Coconut19 schrieb:Hinzu kommt, erlangen die Opfer oder Angehörige Kenntnis, wer da gerade verdächtig erscheint, möglicherweise als Täter in Betracht kommt, versuchen die Betroffenen vielleicht Beweise zu sammeln, suchen vielleicht Zeugen auf, um ihnen selber noch mal auf den Zahn zu fühlen. Dadurch kann unter Umständen das spätere Strafverfahren gefährdet werden, weil der Angeklagte behaupten kann, Zeugen wurden durch die Angehörigen oder das Opfer selber beeinflusst oder Indizien und Beweismittel wurden manipuliert, da vom Opfer/Angehörigen selber beschafft und bei den Ermittlungsbehörden abgegeben.
Es ist schon gut, wenn im laufenden Ermittlungsverfahren sozusagen Dritte nicht reinfunken.
Und noch schlimmer: sie machen sich ein eigenes Bild von der Beweislage, ziehen daraus - eben weil sie in der Regel über sehr wenig bis keine Fach- und Sachkenntnis auf dem Gebiet der Kriminalistik und Ermittlung verfügen - falsche Schlüsse. Sie halten nach dem Lesen der Akten eine andere Person für den wahren Täter als die Ermittler, weil ihnen der ermittelte Täter weniger verdächtig erscheint, weil sie ihn persönlich kennen und sympathischer finden, ihm eine solche Tat nicht zutrauen, weil er vielleicht sogar ein Verwandter, Freund, Kollege ist...
Im Laufe eines Ermittlungsverfahrens gibt es oft Verdächtige, die dann teilweise als Täter ausgeschlossen werden können, weil sie z.B. eine Alibi haben oder ein anderer als TV ermittelt wird. Aber was ist mit den TV, die nicht endgültig entlastet werden können und noch schlimmer, denen, die gar nicht entlastet werden, bei denen die Indizien und Beweise aber schlichtweg nicht für einen Prozess und eine Verurteilung reicht.
Und gerade dass sind aber doch die Ermittlungen, auf denen auf Opferseite Unmut, Unzufriedenheit und Unverständnis aufkommt. Wo sich Opfer und/oder Angehörige fragen, was die Ermittler den da überhaupt machen, ob sie engagiert und sorgfältig genug vorgehen, ob sie nicht irgendetwas übersehen.
Man muss bitte sehr genau bedenken, dass auch ein Tatverdächtiger den Schutz den Staates genießt und verdient. Jeder Tatverdächtige hat als unschuldig zu gelten, bis ein Gericht ihn verurteilt. Der Staat, in Person des Staatsanwaltes und der Ermittler muss ihm die Schuld BEWEISEN, die vorgetragenen Beweise und Indizien müssen ein Gericht von der Schuld des Angeklagten überzeugen, ansonsten ist er freizusprechen bzw. es kann gar nicht erst ein gerichtliches Verhandlungsverfahren gegen ihn eröffnet werden.
Es kann aber doch dann nicht ernsthaft gewünscht sein, dass Opfer und Angehörige in die Ermittlungsakten schauen, sich ihr eigenes, subjektives und ehrlicherweise oft nicht unbedingt von Sachargumenten, sondern Emotionen geformtes Bild machen und ab da sicher sind, den "Täter" zu kennen.
Und wenn sie 100 x schwören, dass sie verstanden haben, dass sie Einsicht höchst vertraulich ist und sie über die Kenntnisse, die sie dort erlangt haben, absolutes Stillschweigen gegenüber Dritten zu wahren haben, glaubt auch nur einer hier, dass
es gelingt, sich daran zu halten?!?
Stellt Euch vor, ihr wisst, wer der wahre Mörder Eurer Tochter, Eures Sohnes, Eures Ehepartners oder eines Elternteil ist, weil das aus den Ermittlungsakten hervorgeht. Die Beweise reichen aber nicht für eine an Anklage.
Als Eltern, Kinder, Ehepartner oder auch Geschwister hätte man vielleicht das Recht, in diese Akten zu schauen. Ihr dürftet darüber, was ihr das gelesen habt, aber mit niemandem sprechen, nicht mit eurem Ehepartner, nicht mit Eurer eigenen Familie und schon gar nicht mit der besten Freundin/dem besten Freund.
Glaubt auch nur einer, dass es jemand schafft, sich daran zu halten?! Und wie sieht das Leben danach aus, wenn man mit der (mindestens gefühlten) Gewissheit, den Täter zu kennen, der aber nicht bestraft werden kann, rumlaufen muss, die man mit niemandem teilen darf. Ist das wirklich wünschenswerter, als nichts zu wissen?!?