Gefahren des Versuchs der Fallklärung nach 40 Jahren
05.03.2020 um 12:00JamesBragg schrieb:Hier liegt ganz klar ein schwerer Kunstfehler vor, der die Qualifikation der Gutachterin für diese Arten von Aufgaben vollständig zerstört hat. Auch wenn ich kein Richter bin, „grob fahrlässig“ wäre fast schon geschmeichelt.Vielen Dank für diese Darstellung, wie der Fehler zustande gekommen ist!
Das Gutachter(un)wesen ist natürlich ein Problem für die Justiz. Die Fälle Mollath, Ursula Herrmann oder Badewannenmord Rottach-Egern sind prominente Beispiele für fragwürdige Gutachten. Dabei geht es nicht ohne. Zum Einen ist es notwendig, zu Fragen, die Polizisten oder Juristen nicht aus eigener Sachkunde beantworten können, Expertenmeinungen einzuholen. Zum Anderen besteht dabei aber die Gefahr, die Entscheidung in der Sache auf den Gutachter zu delegieren.
So entscheiden dann oft Gutachter über den Ausgang eines Verfahrens oder eines Prozesses. Der wissenschaftlich seriöse Gutachter will nicht über Schuld oder Unschuld entscheiden und baut dem vor: Er stellt seine Expertise unter so viele Annahmen und Vorbehalte, dass sein Gutachten aus Sicht vieler Gerichte nichts mehr wert ist. Solche Gutachter werden dann selten nochmals herangezogen.
Andere Gutachter sind dagegen "bekannt und bewährt" und werden gerne von den Gerichten benannt. Sie verdienen nicht unwesentlich an ihrer Gutachterei. Weil sie sich nicht scheuen, relativ eindeutige Ergebnisse zu liefern, sind sie sehr beliebt. Die Expertisen bieten dann die Basis eines Urteils.
Die Grenze zwischen dem, was sich seriös und wissenschaftlich fundiert sagen lässt und dem, was eher Spekulation ist, ist schon nicht einfach zu ziehen. Noch mehr gilt das, ob ein "möglich" oder ein "wahrscheinlich" oder ein "sehr wahrscheinlich" gegeben ist. Und schließlich gibt es Fehlbewertungen.
So gibt es psychiatrische Gutachter wie der im Zschäpe-Prozess, der meint, aus dem Verhalten der Angeklagten vor Gericht dezidiert Rückschlüsse auf Charakter, Glaubwürdigkeit, Moral und ihre Rolle im NSU-Trio ziehen und ihre Persönlichkeit umfassend bewerten zu können. Das ist meiner Ansicht nach auch "Voodoo", denn ohne eine Exploration des Betroffenen (ein Gespräch) lässt sich nach allgemeiner psychiatrischer Ansicht kein Rückschluss auf eine Erkrankung ziehen (Verbot der Ferndiagnose). Natürlich kann man ein beobachtetes Verhalten psychologisch oder psychiatrisch einordnen, aber eben nur beschränkt und unter Vorbehalt. Das Gericht hat es nicht gestört, der Gutachter passte ins Urteil. Und die Verteidigung hatte einen weiteren Gutachter bestellt, der seine Grenzen ebenfalls verkannt hat - diesmal zu sehr zu Gunsten der Angeklagten.
Zu den von mir genannten Fällen gibt es hier Threads, die sich zum Teil sehr intensiv mit der Gutachterproblematik auseinander setzen.