@Jung Stilling - zweites Buch zehnte Szene
Z e h n t e S z e n e
Die ewige Ehescheidung
Es ist, leider oft der Fall, daß Eheleute verschiedener Gesinnungen sind, so daß der eine Ehegatte den Weg zum Leben, und der andere den Pfad des ewigen Verderbens wandelt, oder auch, daß fromme Eltern gottlose Kinder, und begnadigte Kinder unbußfertige Eltern haben. Das schreckliche Schicksal, welches auf alle diejenigen wartet, die in diesem Leben die Erlösungsgnade verscherzt haben, muß notwendig den frommen Ehegatten, frommen Eltern oder Kindern schwer auf der Seele lasten, und man kann sich des Gedankens nicht erwehren, daß sich kaum eine vollkommene Seligkeit denken lasse, wenn man eine Person, die man so herzlich liebt, in der Verdammnis weiß.
Himmlische Lehrerin, göttliche Weisheit! Siona, lehre mich dies Geheimnis einsehen, damit ich meine lieben Brüder und Schwestern unterrichten und ihnenzeigen möge, was sie hier zu tun haben, damit sie dort die Freuden des ewigen Lebens ungetrübt mögen genießen können. Amen!
Siona erhörte mich, und führte folgende Szene dem Anschauungsvermögen meiner Seele vorüber.
Ich befand mich in der Einbildung im Reiche der Schatten der noch nicht gerichteten Geister; indem ich so umher wandelte und über die Scharen der Verstorbenen und die unendlich mannigfaltigen Schicksale, die ihrer nun harren, nachdachte, so entdeckte ich eine Gruppe, die meine ganze Aufmerksamkeit auf sich zog. Zwei soeben aus dem irdischen Leben ankommende Seelen hielten sich mit den Armen umschlungen und zwei Engel begleiteten sie; beide waren Eheleute und zusammen in einem Schiffbruch ertrunken; drei Kinder mit eben so vielen Engeln folgten ihnen nach. Sie hatten mit ihren Eltern das gleiche Schicksal gehabt; und nun sollte jedes vor dem Richterstuhl Christi offenbar werden, und dann empfangen, je nachdem jedes in seinemLeben gewirkt und was es sich da erworben hatte.
Die drei Kinder wurden alsofort von ihren Engeln weggeführt, um sie in's Kinderreich zu versetzen. Beide Eltern seufzten über diese Trennung; die Kinderengel aber trösteten sie und sagten; wenn ihr bei dem Erlöser Gnade findet, so werdet ihr sehr bald eure Kinder verklärt wieder sehen und euch ihrer hoch erfreuen.
Jetzt ließen auch die andern Engel das Ehepaar allein und beobachteten es aus der Ferne.
Der erste Engel, der den Mann abgeholt hatte, redete den andern mir verstehbar an. Lieber Bruder, sprach er, bei diesem Ehepaar wird es, leider eine ewige Scheidung geben; du hast die Frau geführt, wer ist sie, und was hat sie für einen Charakter?
Der andere Engel. Mahbilah war schön und wollüstig, zugleich aber weich und gutherzig; sie konnte des sinnlichen Genusses nicht satt werden und gelüstete nach jeder schönen Mannesperson. Noschang gefiel ihr vorzüglich, undsie auch ihm. Beide heirateten sich und lebten friedlich miteinander. Mahbilah suchte nun ihre geheimen Ausschweifungen ihrem Manne zu verbergen, weil sie ihn nicht betrüben mochte und ihn auch wirklich liebte, sie lebte ihm auf alle Weise zu Gefallen und täuschte ihn durch ihre Weichherzigkeit so, daß er sie für vollkommen tugendhaft hielt. Durch die Predigt des nunmehr verklärten Razin wurde er bekehrt; nun nahm auch seine Frau diese Form und Sprache an, aber ohne daß ihr Herz gebessert wurde; sie setzte heimlich ihr Lasterleben fort und glaubte es sei eine Schwachheit, die ihr der Schöpfer ihrer Natur verzeihen würde. Sie hatte zu Zeiten wirklich auch gründliche Rührungen; die züchtigende Gnade ließ sich nicht unbezeugt an ihr, dies merkte dann ihr Mann, und glaubte nun vollends, seine Frau gehöre unter die Erlösten des Herrn. Zu Zeiten ahnte er auch wohl etwas von ihren Ausschweifungen; allein sie wußte ihn so darüber zu beruhigen, daß er sich zufrieden gab, und sichdamit tröstete, daß allzu große Liebe ihre Schwäche sei, mit der sie zu kämpfen habe.
Indessen würde sie es endlich unter der Heuchlerlarve nicht mehr ausgehalten haben, denn ihre Leidenschaft wurde immer im Verborgenen genährt und es war bald an dem, daß sie zum öffentlichen Ausbruch kommen und sie zu einer weit schrecklicheren Verdammnis rief, ihren Mann und Kinder aber äußerst unglücklich machen würde, als sich die ewige Liebe ihrer erbarmte und die ganze Familie durch einen Schiffbruch aus dem ewigen Schiffbruch rettete. Die Verdammnis, die jetzt auf Mahbilah wartet, ist zwar schrecklich, aber doch mit der Qual nicht zu vergleichen, die sie würde haben ausstehen müssen, wenn ihr Plan ihr gelungen wäre.
Ihr Mann war Kaufmann, nun hatte er unter seinen Kontorgehilfen einen, mit dem seine Frau in verbotenem Umgang lebte; nach und nach stieg ihre Leidenschaft, ihre Liebe zu diesem Menschen so hoch, daß sie ihren Mann und ihre Kinder zuverlassen beschloß, um mit diesem allein zu leben. Damit aber dieses auf eine solche Art geschehen möchte, daß ihr Ruf und guter Name und auch ihr Mann im Glauben an ihre Treue erhalten würde, so mußte der Kontorgehilfe unter dem Vorwande seinen Abschied nehmen, daß er in England Gelegenheit hätte, in ein angesehenes Haus als Teilhaber einzutreten. Insgeheim aber sollte er an einer wohlbekannten Küste in einer Stadt sich aufhalten, nach welcher ihr Mann oft Handlungsgeschäften wegen reisen mußte; sie wollte ihn dahin begleiten und er sollte sie auf eine Art entführen lassen, die ihre Ehre und guten Namen sicherte. Sie wollten sich dann unter fremden Namen nach Amerika begeben und dort ihr übriges Leben zubringen. Alles wurde auch so ausgeführt, bis auf die Ankunft in der bestimmten Stadt, aber dazu kam es nicht; denn es entstand ein fürchterlicher Sturm, der sie etliche Tage auf dem Meere herumtrieb: Mahbilah empfand, daß sie an allem schuld war, in ihrem Herzen wüteteVerzweiflung, und es wäre jetzt bloß darauf angekommen, Gott und ihrem Manne ihre Sünden zu bekennen und Buße zu tun, so wäre ihre Seele gerettet worden, aber auch dazu kam es nicht, denn die Hoffnung, ihren Geliebten bald zu sehen, und die Scham vor ihrem Manne hielten sie von dem Bekenntnis ab, bis endlich das Schiff an einer verborgenen Klippe scheiterte und kein Mensch davon kam.