Dschihad, »made in Germany«
14.05.2005 um 00:12Wie Max von Oppenheim versuchte, den »Heiligen Krieg« für die Ziele des deutschen Imperialismus einzuspannen
Zwei Monate nach Beginn des Ersten Weltkrieges stimmte Kaiser Wilhelm II. dem großen Dschihad-Plan Max von Oppenheims zu. Dieser trug den Titel »Die Revolutionierung der islamischen Gebiete unserer Feinde«. Seine 136 Seiten waren streng geheim und sind noch heute wenig bekannt. Der Diplomat Max von Oppenheim, der länger im Orient gelebt hatte und ägyptisches Arabisch sprach, wollte »feindliche Europäer« in einer gemeinsamen deutsch-osmanischen Aktion an ihrer Schwachstelle treffen: den Kolonien. Er versuchte daher, den Dschihad, d.h. den Heiligen Krieg der Mohammedaner zur Verteidigung und Ausbreitung des Islams, in Afrika und Asien auszulösen.
War by revolution
Baron Max von Oppenheim ging es darum, durch Unruhen das »koloniale Hinterland unserer Feinde« zu destabilisieren und mithin die Hauptfronten für die Deutschen zu entlasten. Briten nannten diese Taktik »war by revolution«. Oppenheims Plan war eine Gebrauchsanweisung: Der osmanische Sultan-Kalif möge den Dschihad allein gegen bestimmte Feinde ausrufen. Die Türken sollten die Krieger, die Deutschen Geld und Berater stellen. Im Berliner Auswärtigen Amt sollte eine Nachrichtenstelle gegründet werden, um Aufrufe zum Dschihad und die Propaganda zu lenken. Der Baron schreckte vor nichts zurück. So sollten Waffen bis nach Indien geschmuggelt, die Ölfelder Bakus als Fanal einer antirussischen Erhebung der Muslime entflammt, wenn geboten Politiker beseitigt und gegebenenfalls der Sueskanal als Schlagader des Britischen Empires vermint werden. Geld dürfe gar keine Rolle spielen, wenn Berlin den Osmanen Mitarbeiter und Material stelle. Nur wenn die Türken in Ägypten einzögen und in Indien lodernde Aufstände brennten, würde London mürbe werden. Das islamische Eingreifen werde für England ein furchtbarer Schlag. »Tun wir alles«, lautete sein Fazit, »damit er tödlich wird.«
Der Diplomat notierte nur, was viele im jungen »Türkenfieber« hofften. Denn plötzlich sahen Deutsche im allgemeinen Kriegsrausch im Islam eine rettende Macht. Dies zeigte Oppenheims Zeit- und Gesinnungsgenosse Ernst Jäckh. Der Professor und Türkeiexperte schrieb in seinem Buch »Aufgehender Halbmond« Anfang November 1914, knapp eine Woche vor dem Kriegseintritt der Türkei: »Wer in diesen Tagen in Konstantinopel in die Räume des Generalissimus Enver Pascha hineinblicken konnte, der konnte dort die Abgesandten der fernsten und wildesten Stämme aus Afrika und aus Asien sehen, freudig bereit zum Schwur auf das Schwert des Kalifen, das gegen Rußland, gegen England und gegen Frankreich ausholt für Deutschland; der mußte aber auch über die weitreichende Organisation staunen, die den Islam bereits belebt und stärkt.«
Während Kriegsminister Enver Pascha den Dschihad-Aufruf (als Fatwa des obersten Muftis) Mitte November 1914 nach dem Kriegseintritt der Osmanen verbreitete, gründete Oppenheim im Auswärtigen Amt die Nachrichtenstelle für den Orient. Er leitete die Stelle, die ein Dutzend vom Militärdienst befreiter Beamte und Akademiker zur Dschihad-Aktion »in den Sprachen und in der Psyche von Orientalen« vereinte. Sie zogen auch einheimische Lektoren und islamische Redner heran, unter ihnen der Gelehrte Abd al-Aziz Shawish und der Scheich Salih ash-Sharif at-Tunisi. Zudem suchte die Stelle Kontakte zu vielen jungen Nationalisten, die ihre Länder wie der Inder Mahendra Pratap entkolonialisieren wollten. Die Nachrichtenstelle für den Orient edierte wöchentlich das Blatt Al-Dschihad, auch für gefangene Muslime bei Wünsdorf und Zossen, und ein zweiwöchiges Korrespondenzblatt. Deutsche Konsulate hatten den Dschihad zu fördern, wozu im Osmanisch Reich 37 Lesesäle entstanden.
Expeditionen zogen mit deutschen Militärs und einheimischen Führern durch Palästina nach Iran und Afghanistan, um im kolonialen Hinterland die islamistische Revolten zu entfachen. Solchen Sonderaufträgen gingen Otto Werner von Hentig, Wilhelm Wassmuss und Oskar Ritter von Niedermayer nach. Sie suchten Iran und Indien zu revolutionieren, um damit das Britische Reich zu treffen. Angehende Diplomaten wie der Übersetzer Fritz Grobba kämpften in Palästina als Asienkämpfer gegen Lawrence von Arabien, der auf der britischen Seite arabische Stämme gegen das osmanisch-deutsche Heer anführte.
Gescheiterte Kooperation
Das Ungewöhnliche des Dschihads, »made in Germany«, bestand in einer neuen Kombination. Muslime führten nun nicht mehr den herkömmlichen Glaubenskrieg zur Verteidigung oder zum Angriff gegen alle Ungläubigen. Vielmehr mußten sie an der Seite von Ungläubigen gegen andere Ungläubige kämpfen. In Envers Auftrag kommentierte das Novum der erwähnte Scheich Salih. Der Gelehrte, der sich als aus der Familie des Propheten Mohammed kommend auswies, erläuterte den islamistischen Dschihad. Seinen Text edierte die Deutsche Gesellschaft für Islamkunde in Berlin ein halbes Jahr nach dem Beginn des Weltkrieges. Darin hieß es: »Der osmanische Sultan-Kalif führt diesen Kleinen Dschihad mit Bundesgenossen, vor allem Deutschen, gegen die Feinde des Islam, die Briten, Franzosen und Russen.« Dies sei nun eine individuelle Pflicht auch für Muslime im Feindheer, die den Dschihad gleich gegen ihre Herren kehren sollen. Der Dschihad werde antikolonial und national geführt.
Das war kühn. Der Scheich erhob den Dschihad von einer allgemeinen Pflicht, die immer besteht, solange es noch nichtislamische Gebiete gibt, zur individuellen Pflicht. Indirekt nahm er den Zerfall des Osmanischen Reichs in Nationen vorweg. Das kam Muslimen, die an die höhere Einheit des Kalifats gewöhnt waren, fremd vor. Andererseits sollte dieser kriegerische Panislamismus, in dem nur gewisse Ungläubige als Feinde des Islams galten, eine einigende Klammer gegen die Tendenzen eines nationalistischen Zerfalls des Reichs der Osmanen bilden. Zugleich erinnerte Scheich Salih an die alte Unterscheidung zwischen dem Großen und dem Kleinen Dschihad, die auf den Propheten Mohammed zurückgeführt wird. Demnach sei der Kleine Dschihad die kriegerische Wiederherstellung oder Ausweitung der Herrschaft des Islams sowie das Töten der Feinde. Der Große Dschihad aber bedeute, mit der eigenen Seele um innere Selbstüberwindung zu ringen, um niedere Leidenschaften abzuwenden und vorzügliche Sitten zu erwerben: die Hebung der Seele von der viehischen Niedrigkeit zu engelhafter Höhe.
Doch zu Beginn des Ersten Weltkrieges ging es darum, die Lehre vom Kleinen Dschihad an die Fronten anzupassen. Hier trafen sich Oppenheims und Scheich Salihs Ansinnen. Der Deutsche dachte im Berliner Interesse daran, den kolonisierten Orient durch die Muslime »befreien« zu lassen. Der Araber sah in einem islamistischen Dschihad das Mittel dafür. Oppenheim stand in der Tradition. Die Deutschen waren den kolonialen Imperien ihrer Nachbarn kritisch und durch ihre Dichter dem Islam freundlich gesinnt. Ihnen erschien dies als »Befreiungskampf« (eine Losung übrigens, welche die Nazis mit der These von »natürlichen Bündnispartnern« erhärteten). Auch der Scheich sah sich im Recht, denn die Europäer hätten die Länder des Islam entweiht, wirtschaftlich zerstört und politisch in das Chaos geführt. Also müsse man jetzt mit den Osmanen und (ungläubigen) Bundesgenossen durch den Dschihad die Ungläubigen vertreiben.
Dieser Ansatz zur Destabilisierung von Gebieten hinter den Fronten fand seine Parallele im deutschen Versuch, Rußland im Krieg durch Revolutionierung zu schwächen. Aber nicht nur durch die Muslime am Rande des russischen Reichs, sondern auch durch die Bolschewiki im Zentrum. Doch im Gegensatz zum Erfolg letzterer enttäuschte die Aktion der Muslime ihre Planer.
Gewiß, der Dschihad begeisterte einige Afrikaner in Deutsch-Ostafrika. Manche sollen sich zum Islam bekehrt haben. Benachbarte Briten sorgten sich, aus dem Dschihad könne wie am Nil – »Ägypten den Ägyptern« – ein »Afrika den Afrikanern« werden. Aber dies betraf einen Nebenschauplatz. Anderenorts wurden die Alliierten durch Desertionen verunsichert. Doch viele Muslime ignorierten den Dschihad, so daß es ein kaum faßbares Ergebnis gab. Deutsche Militärs kamen schließlich zu dem Schluß, daß es illusorisch gewesen war, sich von Dschihad und Fatwa eine kriegsentscheidende Wirkung zu erhoffen.
Spätere Islamisten führten in die Lehren des Glaubenskrieges vier Neuheiten ein: Der »große Satan« sei der Westen und speziell die USA. Dschihad dürfe auch gegen Zivilisten im Aus- und Inland geführt werden, darunter in Israel (wie üblich hatte Scheich Salih Dschihad gegen Alte, Frauen und Kinder verboten, ebenso, diese zu verstümmeln und zu töten, es sei denn, sie kämpften wie erwachsene Männer mit Waffen) – dann sahen Muftis Selbstmord als Mittel des Dschihads an. Schließlich erklärten Führer von Islamisten wie Osama Bin Laden nach dem Kalten Krieg einen globalen Dschihad gegen »Christen und Juden«, bis die Welt islamisch werde.
Muslime unterm Hakenkreuz
Zum zweiten Fall, in dem Berlin Islamismus verbreitet hat. Der deutsche Abu Dschihad, Max von Oppenheim, legte 1940 dem Auswärtigen Amt seinen kleinen Plan der Revolutionierung islamischer Feindgebiete vor. Da es so schien, als könne der Mittlere Osten der nächste Kriegsschauplatz werden, spitzte er es antibritisch zu, zumal die Franzosen ausgeschaltet und die Russen noch nicht im Krieg waren. Aber die Türkei hatte das Kalifat abgeschafft, auch die islamische Leitfigur. Ankara blieb neutral. Die Lücke füllte Jerusalems Großmufti Amin al-Husaini.
So hatte es Oppenheim geplant. Er schlug die »Revolutionierung« Syriens vor. Von dort sollte der Funke in den Irak, nach Transjordanien, Palästina und Saudi-Arabien überspringen. Britische Truppen seien zu binden, ihre Ölversorgung sowie der Sueskanal zu blockieren und letztlich die britische Vorherrschaft im Vorderen Orient zu brechen. Der Gesandte Fritz Grobba sollte von Damaskus aus den Raum revolutionieren. Als bekannter Gegner Englands sei sein Name ein Programm, sein Auftauchen ein Fanal nicht nur für Syrien, sondern für alle Araber. Diese warteten wie der Irak nur auf einen deutschen Wink, um gegen England vorzugehen. Dr. Grobba sei mit dem Mufti von Jerusalem befreundet, der eben in Bagdad weile. Im Irak sei der Außenminister Nuri as-Said zu beseitigen, eventuell mit Gewalt.
Geplant, getan. Ende April 1941 putschte sich Rashid Ali al-Kailanis an die Macht. Doch die Briten schlugen seinen Coup einen Monat später nieder, zumal die deutsche Luftunterstützung im Sonderunternehmen Irak spät und halbherzig kam. Der Mufti und Iraks Expremier lebten bald als Regierungsgäste in Berlin. Dort bot der Mufti Hitler eine arabische Legion an, rekrutierte Muslime unter dem Hakenkreuz und rief im Radio zum Dschihad gegen »Briten und Juden« auf. Vier Jahre lang beschwor Amin al-Husaini von Berlin aus das arabische Märtyrertum. Das Motto: Fremde raus aus Arabien, Stopp der jüdischen Einwanderung. Doch alles half nichts, bei Stalingrad und al-Alamain gingen alle Pläne der Nazis und ihrer Helfer unter. Hitler meinte in seinen letzten Tagen, »ein kühnes Bündnis mit dem Islam« versäumt zu haben.
Großer statt Kleiner Dschihad
Auch wenn Deutsche den Dschihad nicht erfunden haben, so instrumentalisierten sie ihn doch in den Weltkriegen. Oppenheim sowie Osmanen und muslimische Würdenträger hielten zum politisierten Glaubenskrieg an. Dies geschah im ersten Fall durch Rede und Schrift, im zweiten Fall kam das Radio hinzu. Im Kalten Krieg halfen die Westeuropäer und Amerikaner »ihren« Islamisten je nach Opportunität. Die Staaten des Warschauer Vertrages folgten in bezug auf Ajatollah Khomeinis Iran der neuen Linie des Kreml, wonach sich der Fortschritt auch unter dem Banner des Islams entfalten könne.
In Afghanistan hatten sich Muslime mit den US-Amerikanern gegen die Russen verbündet. Einige Islamisten wie Osama Bin Laden entsagten nach dem Abzug der Sowjetarmee aus Kabul und dem Niedergang der UdSSR, die sie für sich verbuchten, den Pakten mit Ungläubigen. Nach dieser »Rückkehr zu reinen Ursprüngen« der Dschihad-Lehren, die im Internet verfolgt werden kann, wenden sie den Ungeist des Glaubenskriegs gegen die Erben jener, die ihn in heißen und kalten Kriegen als »panislamischen Befreiungskrieg« heraufbeschworen hatten. Deutsche Akademiker, Diplomaten und Militärs um Max von Oppenheim gehören mit ihren Partnern zu Vätern des Islamismus. Es bedarf vieler Mühen im Westen, die Werte der Aufklärung zu sichern, die nicht nur im Dschihad, »made in Germany«, verspielt worden sind.
Und im Orient? Dort wäre es eine echte Revolutionierung, wenn sich viele Muslime in ihrem Alltag auf den Großen Dschihad besinnen, dem Kleinen Dschihad und radikalislamischen Lehren entsagen würden. So könnten sie die Islamisten in einer großen Religion auf den Platz verweisen, der diesen zusteht: an den Rand des Spektrums. Noch drücken Extremisten dem Islam ihren Stempel auf. Tritt jene moderate Umwälzung im Innern der betreffenden Gesellschaften ein und finden Menschen der islamischen Räume zu ihrer kongenialen Moderne, dann vermögen die Kinder der Aufklärung und des Großen Dschihads in Frieden miteinander zu leben.<<<
Trying to be two hundred thousand years younger
So I could excuse myself from human kind
Zwei Monate nach Beginn des Ersten Weltkrieges stimmte Kaiser Wilhelm II. dem großen Dschihad-Plan Max von Oppenheims zu. Dieser trug den Titel »Die Revolutionierung der islamischen Gebiete unserer Feinde«. Seine 136 Seiten waren streng geheim und sind noch heute wenig bekannt. Der Diplomat Max von Oppenheim, der länger im Orient gelebt hatte und ägyptisches Arabisch sprach, wollte »feindliche Europäer« in einer gemeinsamen deutsch-osmanischen Aktion an ihrer Schwachstelle treffen: den Kolonien. Er versuchte daher, den Dschihad, d.h. den Heiligen Krieg der Mohammedaner zur Verteidigung und Ausbreitung des Islams, in Afrika und Asien auszulösen.
War by revolution
Baron Max von Oppenheim ging es darum, durch Unruhen das »koloniale Hinterland unserer Feinde« zu destabilisieren und mithin die Hauptfronten für die Deutschen zu entlasten. Briten nannten diese Taktik »war by revolution«. Oppenheims Plan war eine Gebrauchsanweisung: Der osmanische Sultan-Kalif möge den Dschihad allein gegen bestimmte Feinde ausrufen. Die Türken sollten die Krieger, die Deutschen Geld und Berater stellen. Im Berliner Auswärtigen Amt sollte eine Nachrichtenstelle gegründet werden, um Aufrufe zum Dschihad und die Propaganda zu lenken. Der Baron schreckte vor nichts zurück. So sollten Waffen bis nach Indien geschmuggelt, die Ölfelder Bakus als Fanal einer antirussischen Erhebung der Muslime entflammt, wenn geboten Politiker beseitigt und gegebenenfalls der Sueskanal als Schlagader des Britischen Empires vermint werden. Geld dürfe gar keine Rolle spielen, wenn Berlin den Osmanen Mitarbeiter und Material stelle. Nur wenn die Türken in Ägypten einzögen und in Indien lodernde Aufstände brennten, würde London mürbe werden. Das islamische Eingreifen werde für England ein furchtbarer Schlag. »Tun wir alles«, lautete sein Fazit, »damit er tödlich wird.«
Der Diplomat notierte nur, was viele im jungen »Türkenfieber« hofften. Denn plötzlich sahen Deutsche im allgemeinen Kriegsrausch im Islam eine rettende Macht. Dies zeigte Oppenheims Zeit- und Gesinnungsgenosse Ernst Jäckh. Der Professor und Türkeiexperte schrieb in seinem Buch »Aufgehender Halbmond« Anfang November 1914, knapp eine Woche vor dem Kriegseintritt der Türkei: »Wer in diesen Tagen in Konstantinopel in die Räume des Generalissimus Enver Pascha hineinblicken konnte, der konnte dort die Abgesandten der fernsten und wildesten Stämme aus Afrika und aus Asien sehen, freudig bereit zum Schwur auf das Schwert des Kalifen, das gegen Rußland, gegen England und gegen Frankreich ausholt für Deutschland; der mußte aber auch über die weitreichende Organisation staunen, die den Islam bereits belebt und stärkt.«
Während Kriegsminister Enver Pascha den Dschihad-Aufruf (als Fatwa des obersten Muftis) Mitte November 1914 nach dem Kriegseintritt der Osmanen verbreitete, gründete Oppenheim im Auswärtigen Amt die Nachrichtenstelle für den Orient. Er leitete die Stelle, die ein Dutzend vom Militärdienst befreiter Beamte und Akademiker zur Dschihad-Aktion »in den Sprachen und in der Psyche von Orientalen« vereinte. Sie zogen auch einheimische Lektoren und islamische Redner heran, unter ihnen der Gelehrte Abd al-Aziz Shawish und der Scheich Salih ash-Sharif at-Tunisi. Zudem suchte die Stelle Kontakte zu vielen jungen Nationalisten, die ihre Länder wie der Inder Mahendra Pratap entkolonialisieren wollten. Die Nachrichtenstelle für den Orient edierte wöchentlich das Blatt Al-Dschihad, auch für gefangene Muslime bei Wünsdorf und Zossen, und ein zweiwöchiges Korrespondenzblatt. Deutsche Konsulate hatten den Dschihad zu fördern, wozu im Osmanisch Reich 37 Lesesäle entstanden.
Expeditionen zogen mit deutschen Militärs und einheimischen Führern durch Palästina nach Iran und Afghanistan, um im kolonialen Hinterland die islamistische Revolten zu entfachen. Solchen Sonderaufträgen gingen Otto Werner von Hentig, Wilhelm Wassmuss und Oskar Ritter von Niedermayer nach. Sie suchten Iran und Indien zu revolutionieren, um damit das Britische Reich zu treffen. Angehende Diplomaten wie der Übersetzer Fritz Grobba kämpften in Palästina als Asienkämpfer gegen Lawrence von Arabien, der auf der britischen Seite arabische Stämme gegen das osmanisch-deutsche Heer anführte.
Gescheiterte Kooperation
Das Ungewöhnliche des Dschihads, »made in Germany«, bestand in einer neuen Kombination. Muslime führten nun nicht mehr den herkömmlichen Glaubenskrieg zur Verteidigung oder zum Angriff gegen alle Ungläubigen. Vielmehr mußten sie an der Seite von Ungläubigen gegen andere Ungläubige kämpfen. In Envers Auftrag kommentierte das Novum der erwähnte Scheich Salih. Der Gelehrte, der sich als aus der Familie des Propheten Mohammed kommend auswies, erläuterte den islamistischen Dschihad. Seinen Text edierte die Deutsche Gesellschaft für Islamkunde in Berlin ein halbes Jahr nach dem Beginn des Weltkrieges. Darin hieß es: »Der osmanische Sultan-Kalif führt diesen Kleinen Dschihad mit Bundesgenossen, vor allem Deutschen, gegen die Feinde des Islam, die Briten, Franzosen und Russen.« Dies sei nun eine individuelle Pflicht auch für Muslime im Feindheer, die den Dschihad gleich gegen ihre Herren kehren sollen. Der Dschihad werde antikolonial und national geführt.
Das war kühn. Der Scheich erhob den Dschihad von einer allgemeinen Pflicht, die immer besteht, solange es noch nichtislamische Gebiete gibt, zur individuellen Pflicht. Indirekt nahm er den Zerfall des Osmanischen Reichs in Nationen vorweg. Das kam Muslimen, die an die höhere Einheit des Kalifats gewöhnt waren, fremd vor. Andererseits sollte dieser kriegerische Panislamismus, in dem nur gewisse Ungläubige als Feinde des Islams galten, eine einigende Klammer gegen die Tendenzen eines nationalistischen Zerfalls des Reichs der Osmanen bilden. Zugleich erinnerte Scheich Salih an die alte Unterscheidung zwischen dem Großen und dem Kleinen Dschihad, die auf den Propheten Mohammed zurückgeführt wird. Demnach sei der Kleine Dschihad die kriegerische Wiederherstellung oder Ausweitung der Herrschaft des Islams sowie das Töten der Feinde. Der Große Dschihad aber bedeute, mit der eigenen Seele um innere Selbstüberwindung zu ringen, um niedere Leidenschaften abzuwenden und vorzügliche Sitten zu erwerben: die Hebung der Seele von der viehischen Niedrigkeit zu engelhafter Höhe.
Doch zu Beginn des Ersten Weltkrieges ging es darum, die Lehre vom Kleinen Dschihad an die Fronten anzupassen. Hier trafen sich Oppenheims und Scheich Salihs Ansinnen. Der Deutsche dachte im Berliner Interesse daran, den kolonisierten Orient durch die Muslime »befreien« zu lassen. Der Araber sah in einem islamistischen Dschihad das Mittel dafür. Oppenheim stand in der Tradition. Die Deutschen waren den kolonialen Imperien ihrer Nachbarn kritisch und durch ihre Dichter dem Islam freundlich gesinnt. Ihnen erschien dies als »Befreiungskampf« (eine Losung übrigens, welche die Nazis mit der These von »natürlichen Bündnispartnern« erhärteten). Auch der Scheich sah sich im Recht, denn die Europäer hätten die Länder des Islam entweiht, wirtschaftlich zerstört und politisch in das Chaos geführt. Also müsse man jetzt mit den Osmanen und (ungläubigen) Bundesgenossen durch den Dschihad die Ungläubigen vertreiben.
Dieser Ansatz zur Destabilisierung von Gebieten hinter den Fronten fand seine Parallele im deutschen Versuch, Rußland im Krieg durch Revolutionierung zu schwächen. Aber nicht nur durch die Muslime am Rande des russischen Reichs, sondern auch durch die Bolschewiki im Zentrum. Doch im Gegensatz zum Erfolg letzterer enttäuschte die Aktion der Muslime ihre Planer.
Gewiß, der Dschihad begeisterte einige Afrikaner in Deutsch-Ostafrika. Manche sollen sich zum Islam bekehrt haben. Benachbarte Briten sorgten sich, aus dem Dschihad könne wie am Nil – »Ägypten den Ägyptern« – ein »Afrika den Afrikanern« werden. Aber dies betraf einen Nebenschauplatz. Anderenorts wurden die Alliierten durch Desertionen verunsichert. Doch viele Muslime ignorierten den Dschihad, so daß es ein kaum faßbares Ergebnis gab. Deutsche Militärs kamen schließlich zu dem Schluß, daß es illusorisch gewesen war, sich von Dschihad und Fatwa eine kriegsentscheidende Wirkung zu erhoffen.
Spätere Islamisten führten in die Lehren des Glaubenskrieges vier Neuheiten ein: Der »große Satan« sei der Westen und speziell die USA. Dschihad dürfe auch gegen Zivilisten im Aus- und Inland geführt werden, darunter in Israel (wie üblich hatte Scheich Salih Dschihad gegen Alte, Frauen und Kinder verboten, ebenso, diese zu verstümmeln und zu töten, es sei denn, sie kämpften wie erwachsene Männer mit Waffen) – dann sahen Muftis Selbstmord als Mittel des Dschihads an. Schließlich erklärten Führer von Islamisten wie Osama Bin Laden nach dem Kalten Krieg einen globalen Dschihad gegen »Christen und Juden«, bis die Welt islamisch werde.
Muslime unterm Hakenkreuz
Zum zweiten Fall, in dem Berlin Islamismus verbreitet hat. Der deutsche Abu Dschihad, Max von Oppenheim, legte 1940 dem Auswärtigen Amt seinen kleinen Plan der Revolutionierung islamischer Feindgebiete vor. Da es so schien, als könne der Mittlere Osten der nächste Kriegsschauplatz werden, spitzte er es antibritisch zu, zumal die Franzosen ausgeschaltet und die Russen noch nicht im Krieg waren. Aber die Türkei hatte das Kalifat abgeschafft, auch die islamische Leitfigur. Ankara blieb neutral. Die Lücke füllte Jerusalems Großmufti Amin al-Husaini.
So hatte es Oppenheim geplant. Er schlug die »Revolutionierung« Syriens vor. Von dort sollte der Funke in den Irak, nach Transjordanien, Palästina und Saudi-Arabien überspringen. Britische Truppen seien zu binden, ihre Ölversorgung sowie der Sueskanal zu blockieren und letztlich die britische Vorherrschaft im Vorderen Orient zu brechen. Der Gesandte Fritz Grobba sollte von Damaskus aus den Raum revolutionieren. Als bekannter Gegner Englands sei sein Name ein Programm, sein Auftauchen ein Fanal nicht nur für Syrien, sondern für alle Araber. Diese warteten wie der Irak nur auf einen deutschen Wink, um gegen England vorzugehen. Dr. Grobba sei mit dem Mufti von Jerusalem befreundet, der eben in Bagdad weile. Im Irak sei der Außenminister Nuri as-Said zu beseitigen, eventuell mit Gewalt.
Geplant, getan. Ende April 1941 putschte sich Rashid Ali al-Kailanis an die Macht. Doch die Briten schlugen seinen Coup einen Monat später nieder, zumal die deutsche Luftunterstützung im Sonderunternehmen Irak spät und halbherzig kam. Der Mufti und Iraks Expremier lebten bald als Regierungsgäste in Berlin. Dort bot der Mufti Hitler eine arabische Legion an, rekrutierte Muslime unter dem Hakenkreuz und rief im Radio zum Dschihad gegen »Briten und Juden« auf. Vier Jahre lang beschwor Amin al-Husaini von Berlin aus das arabische Märtyrertum. Das Motto: Fremde raus aus Arabien, Stopp der jüdischen Einwanderung. Doch alles half nichts, bei Stalingrad und al-Alamain gingen alle Pläne der Nazis und ihrer Helfer unter. Hitler meinte in seinen letzten Tagen, »ein kühnes Bündnis mit dem Islam« versäumt zu haben.
Großer statt Kleiner Dschihad
Auch wenn Deutsche den Dschihad nicht erfunden haben, so instrumentalisierten sie ihn doch in den Weltkriegen. Oppenheim sowie Osmanen und muslimische Würdenträger hielten zum politisierten Glaubenskrieg an. Dies geschah im ersten Fall durch Rede und Schrift, im zweiten Fall kam das Radio hinzu. Im Kalten Krieg halfen die Westeuropäer und Amerikaner »ihren« Islamisten je nach Opportunität. Die Staaten des Warschauer Vertrages folgten in bezug auf Ajatollah Khomeinis Iran der neuen Linie des Kreml, wonach sich der Fortschritt auch unter dem Banner des Islams entfalten könne.
In Afghanistan hatten sich Muslime mit den US-Amerikanern gegen die Russen verbündet. Einige Islamisten wie Osama Bin Laden entsagten nach dem Abzug der Sowjetarmee aus Kabul und dem Niedergang der UdSSR, die sie für sich verbuchten, den Pakten mit Ungläubigen. Nach dieser »Rückkehr zu reinen Ursprüngen« der Dschihad-Lehren, die im Internet verfolgt werden kann, wenden sie den Ungeist des Glaubenskriegs gegen die Erben jener, die ihn in heißen und kalten Kriegen als »panislamischen Befreiungskrieg« heraufbeschworen hatten. Deutsche Akademiker, Diplomaten und Militärs um Max von Oppenheim gehören mit ihren Partnern zu Vätern des Islamismus. Es bedarf vieler Mühen im Westen, die Werte der Aufklärung zu sichern, die nicht nur im Dschihad, »made in Germany«, verspielt worden sind.
Und im Orient? Dort wäre es eine echte Revolutionierung, wenn sich viele Muslime in ihrem Alltag auf den Großen Dschihad besinnen, dem Kleinen Dschihad und radikalislamischen Lehren entsagen würden. So könnten sie die Islamisten in einer großen Religion auf den Platz verweisen, der diesen zusteht: an den Rand des Spektrums. Noch drücken Extremisten dem Islam ihren Stempel auf. Tritt jene moderate Umwälzung im Innern der betreffenden Gesellschaften ein und finden Menschen der islamischen Räume zu ihrer kongenialen Moderne, dann vermögen die Kinder der Aufklärung und des Großen Dschihads in Frieden miteinander zu leben.<<<
Trying to be two hundred thousand years younger
So I could excuse myself from human kind