@niurick:
"Kannst Du mir Mut machen? Gibt es "Erfolgserlebnisse" für Dich?
Siehst Du konkret, dass sich durch Dein Engagement "etwas" verbessern lässt, oder dient es dazu, Dein Gewissen zu beruhigen?"
Will man rasche Erfolge, so greife man zur Waffe.
Nee, mal ernsthaft: Politische Aktivität diente bei mir nicht zur "Beruhigung des Gewissens", sonder erwuchs aus Zorn über alltäglich erfahrene Ungerechtigkeit von Menschen gegenüber Menschen. Eigentlich etwas, was das proletarische Kind in problematischen Wohngegenden irgendwie tagtäglich "automatisch" mitbekommt. Dann kannst Du entweder abstumpfen - oder dich wehren.
Angefangen habe ich in der Schule, als Klassensprecher und im Rahmen der "Schülermitverwaltung" wie man es damals nannte. Man opponiert "gefühlsmässig" gegen Lehrer, Unterrichtsformen und -inhalte. Man erfährt Solidarität - aber auch Verrat. Man hat Erfolge und erlebt Niederlagen. Daran wächst man.
Nach der Schule engagierte ich mich gewerkschaftlich, politisch, zunächst aufgrund von früheren Kontakten in Richtung SDAJ/DKP, schliesslich gab es nach dem KPD-Verbot noch genug "illegale" im Familien- und Bekanntenkreis. Jugendvertretung, Betriebsrat, Wechsel in den im Hafen stark vertretenen Kommunistischen Bund.
Später dann Arbeit mit anderen Jugendlichen, die noch schlechter dran waren als ich, sogenannte Randgruppenarbeit mit Drogenabhängigen, TrebegängerInnen, Kriminellen. War ja irgendwie "mein Millieu".
Im Laufe der Zeit entdeckte ich, dass Schreiben durchaus etwas bewegen kann. Daraus entwickelten sich Reisen in Brennpunkte des Weltgeschehens etc. - vieles davon sollte langjährigen LeserInnen meiner Forums-Beiträge bekannt sein.
Später engagierte ich mich bei den Grünen, bei einer Wählergemeinschaft vor Ort und nach 1990 aus "Rache" für den Aufkauf der DDR bei der PDS/Die Linke.
Nun, was habe ich bewegt?
Möglicherweise habe ich damals Jugendlichen geholfen, so etwas wie politisches Bewusstsein zu entwickeln, zu erkennen, dass nur sie selbst sich helfen können: "Hilf' Dir selbst - sonst hilft Dir ein Sozialarbeiter" wie wir damals sagten.
Für die Arbeit im Betriebsrat gilt ähnliches wie für das Engagement in der Schülervertretung: Erfolge und Niederlagen hielten sich die Waage.
Ob ich mit Schreiben etwas bewirkt habe? Na, ich hoffe doch. Sicher habe ich damit keine Leben gerettet, keine Revolution bewirkt - nur Personen und Ereignisse aus dem Dunkel geholt. Ganz egoistisch gesagt, war es natürlich auch für mich spannend und aufregend, auch mit all seinen Schrecknissen. Damals trieb mich offengestanden neben politischem Engagement auch Abenteuerlust in die Welt hinaus.
Konkret als "Erfolge" würde ich werten, dass ich mit daran beteiligt war, die umweltvergiftende Chemiefabrik Boehringer in Hamburg zu schliessen und den Senat zur Sanierung des Geländes zu zwingen.
Auch die Prügeleien an den Bauplätzen der Atomanlagen in den 70/80er Jahren waren meiner Meinung nach nicht ganz umsonst. Wer die Ausbaupläne des sozialdemokratischen Atomprogramms von damals erinnert, wird feststellen, dass nach Brokdorf eigentlich nichts mehr von der ursprünglichen Idee blieb, hunderte von AKW in die Republik zu stellen.
Na ja, Hafenstrasse Hamburg, überhaupt die Hausbesetzer-Szene: Hier wurde ein Bewusstsein für Spekulation, Luxussanierung, innerstädtische Vertreibung und letztlich auch alternative Wohnformen geweckt. Lang, lang ist's her.
Arbeit im Gemeinderat. Na ja? Auf dem Dorf ist vieles anders. Vieles läuft informell ab, das ist manchmal gut - manchmal schlecht. Hier einzelne politische "Erfolge" zu benennen und zu gewichten, erscheint vielen schon aus dem Nachbardorf vielleicht lächerlich: sichere Radwege, Ampelanlagen auf Schulwegen, PC-Ausstattung von Schulen, Schaffung von Kitaplätzen, Aufforstung, Renaturierung von Gewässern, Bodenentsiegelung, Verkehrsberuhigung, Seniorenbetreuung, Jugendförderung...
Irgendwie alles nichts "gesellschaftsumwälzendes" - aber trotzdem irgendwie notwendig, dass es jemand anspricht, durchsetzt und macht. Die Fragen der menschlichen Gesellschaft sind nicht immer so grundlegende wie Krieg und Frieden oder Kapitalismus vs. Sozialismus.
Ich gebe zu, heute hätte ich wenig Lust, früh um fünf im Winter vor Werkstoren Flugblätter zu verteilen, nächtens auf Brücken herum zu turnen und zu sprühen: "Buback, Ponto, Schleyer, der Nächste ist ein Bayer!" oder mich auf Demos mit Polizisten zu prügeln. Man wird halt alt - und lässt sein Geld arbeiten, in Projekten zu Bildung, Gesundheit, Frauen, Obdachlosigkeit, hierzulande, in Frankreich, Irland und Nicaragua.
Aber ich hoffe, ich habe meinen Kindern mit auf den Weg gegeben:
WER SICH NICHT WEHRT, LEBT VERKEHRT.
(Meine Güte, klingt wie mein eigener Nachruf)