Nebeneinander von Kulturen = Integration?
08.03.2016 um 16:28Ich sag es mal so: Wenn Kulturen nebeneinanderleben kann man nicht von Integration sprechen.
Als beim Berliner Karneval der Kulturen einmal Angehörige verfeindeter Ethnien in einer Schlägerei aufeinander losgingen, kommentierte das ein Bekannter: "Beim Karneval der Zivilisationen wäre das nicht passiert." Er outete sich damit lässig als eine Art Antideutscher, der die Vergötzung der Kultur hierzulande misstrauisch beäugt. In dieser Idolatrie sind sich Rechte und Linke einig. Die einen feiern den Karneval der Kulturen, im Geist des Multikulturalismus geboren. Die anderen wollen unsere Kultur, unsere Leitkultur, unseren europäischen Kulturraum oder unsere kulturellen Traditionen verteidigen.http://www.welt.de/kultur/article156040809/Was-die-AfD-wirklich-unter-Kultur-versteht.html
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Der Unterschied besteht nur darin, dass die Rechte den Begriff Kultur abgrenzend benutzt, weil selbstverständlich vorausgesetzt wird, dass die eigene Kultur die höchststehende ist (auf jeden Fall sind andere Kulturen raumfremd, wie Alexander Gauland es mit einem Carl-Schmitt-Wort genannt hat). Die Linke dagegen verwendet ihn nivellierend: Für sie sind alle Kulturen gleichrangig. Was erst mal nett von ihr ist. Wenn dieses Denken in perversester Konsequenz nicht gelegentlich dazu führen würde, dass Linke Frauenunterdrückung, Diktatur, Gewalt, Missbrauch und Korruption rechtfertigen, das sei eben Bestandteil der jeweiligen Kultur und jede Kritik daran westlicher Menschenrechtismus. Gemeinsam ist beiden Flügeln, dass sie den Universalismus der Aufklärung ablehnen.
Es ist, beispielsweise von Jan Fleischhauer, zu Recht darauf hingewiesen worden, dass Gauland im Grunde Rasse meine, wenn er Kultur sage. Denn wenn er von einem hier geborenen Christen wie Jérôme Boateng eine Integrationsleistung erwarte, die Teile der AfD-Wählerschaft in Ostdeutschland nie erbracht hätten, dann sei Deutschsein offenbar keine Frage der Sprache, des Geburtsorts und des Verhaltens, sondern durch eine mystische Blutsgemeinschaft definiert.
Kultur war auf der deutschen Rechten eben nie etwas, das freundlich zur Teilhabe einlud, sondern ein Abgrenzungsbegriff. Früher distanzierte man sich damit allerdings nicht vom Islam, sondern von Frankreich, dem man unterstellte, quasi genetisch immer dazu verurteilt zu sein, bloße Zivilisation zu bleiben. Die Abwertung von Kultur gegenüber Zivilisation beginnt in Deutschland mit Immanuel Kant, der 1784 schreibt: "Die Idee der Moralität gehört noch zur Cultur; der Gebrauch dieser Idee aber, welcher nur auf das Sittenähnliche in der Ehrliebe und der äußeren Anständigkeit hinausläuft, macht blos die Civilisirung aus." Bei Kant war das noch eine Kritik an den allgemeinen Zeitumständen, ohne nationalistischen Unterton. Den bekam der Gegensatz erst, seit Herder und die Romantiker die Volksseele entdeckt hatten.
Zugespitzt wurde die polemische Antithese Kultur gegen Zivilisation, dann nach der Reichsgründung, als der Nachbar jenseits der Rheines für Deutsche zum Inbegriff all dessen wurde, was ihnen an der Moderne verdächtig vorkam. Der Erbfeind verkörperte die als negativ empfundenen großen "-ungs": Vermassung, Intellektualisierung, Internationalisierung, Mechanisierung, Ökonomisierung, Nivellisierung.