DerThorag schrieb:Etwa jeder fünfte erwachsene Deutsche dürfte demnach „Mein Kampf“ ganz oder zu großen Teilen gelesen haben.
Das klingt nicht unplausibel. Man muss das mal ganz nüchtern betrachten: für viele Menschen ist die Idee, ein dickes Buch zu lesen, zumal es weder ein spannender Thriller noch ein schnulziger Roman ist, nicht unbedingt ein wichtiges Anliegen. Das Bildungsniveau war damals auch anders verteilt als heute, viel weniger Menschen hatten sogenannte "höhere Bildung" genossen, als das heute prozentual der Fall ist. Man arbeitete damals länger und im Krieg gab es ganz andere Dinge, mit welchen man sich beschäftigen musste.
Daher ist anzunehmen, dass nicht sonderlich viele Menschen dieses Buch gelesen haben. Man hatte es im Schrank stehen, weil es zu allen möglichen Anlässen verschenkt wurde, zum Beispiel haben meine Grosseltern es zur Hochzeit vom Standesbeamten bekommen.
Mir ist übrigens nicht einmal bekannt, dass es irgendwo Pflichtlektüre gewesen ist, in Schulen, an der Universität etc.
Mein Kampf scheint eher etwas für die "Denker" des Systems gewesen zu sein, ähnlich Rosenbergs "Mythus (sic) des 20. Jahrhunderts." Dieses Buch galt offiziell wohl als zweitwichtigstes nach dem "Kampf," aber selbst unter Nazis war auch dieses nicht sonderlich weit verbreitet, besonders weil sowohl Hitler als auch Goebbels mit vielem darin gar nicht einverstanden waren.
Immerhin war der "Mythus" intellektuell geschrieben, was viele vom "Kampf" nicht behaupteten.
Und selbst die Gegner der Ideologie scheinen sich nicht sonderlich für den "Kampf" interessiert zu haben, aber auch das ist nachvollziehbar, da die intellektuelle Klasse Hitler zumindest anfangs selten für voll nahm, so nach dem Motto: was ist von einem verkrachten Studenten und Möchtegernkünstler aus Österreich schon an geistigen weltbewegenden Ergüssen zu erwarten? In intellektuellen Kreisen der Opposition, hauptsächlich in den Kirchen, scheint man sich weit mehr mit Rosenbergs Buch auseinandergesetzt zu haben.
Die Propagandamaschine des Dritten Reiches setzte dann auch auf ganz andere, weitaus wirksamere Methoden, als das Buchlesen, um ihre Ideologie unters "Volk" zu bringen: der "Völkische Beobachter," Die "Wochenschau" im Kino, die Radioprogramme über den Volksempfänger... damit erreichte man die Massen und bewirkte eine Gleichschaltung des Denkens.