@Wolfshaag Niemand spricht vom einer individuellen Schuld. Es waren ja auch nicht alle Deitschen individuell schuldig, nichtmal damals, als das grosse Morden stattfand.
Es ist ebenso wenig jeder Türke am Genozid an den Armeniern schuldig, und nicht jeder Deutsche am Völkermord an den Herero (zumal der Tausende Kilometer weit weg stattfand).
Ich hoffte, mit meinem Beitrag das etwas geklärt zu haben, wie das mit der Schuld zu verstehen ist, aber das ist offensichtlich untergegangen.
Also nochmal anders:
Es gibt einiges, auf was man so als Deutscher stolz sein kann, oder zumindest sich zugehörig fühlen kann: Kunst, Literatur, Philosophie, Technik, Wissenschafts- und Wirtschaftsleistung u.s.w..
Das alles macht unsere Kultur aus, in der wir uns heimisch fühlen, und die wir auch cooler finden können als andere Kulturen, die in unseren Augen rückständiger sind, weniger Substanz haben, weniger vielschichtig sind und so weiter und so fort. Plus die politische Entwicklung, die uns auch den anderen europäischen Ländern gegenüber Einfluss sichert. Um nicht zu sagen: Man kann vom System sagen, was man will, aber es geht uns am besten und wir haben in Europa am meisten Macht umd Einfluss.
So weit so gut, und so weit kann man Patriotismus auch nachvollziehen. Auch bei aller Kritik am System und Begleiterscheinungen wie Harz 4 und so weiter.
Nun hat das selbe System in der Vergangenheit nicht nur die industrielle Textilproduktion, das perfekte Kanonenrohr, die Vorläufer der Atombombe, die ersten Langstreckenraketen, kommunistische und andere Ideologien, die Desinfektion und viele Brotsorten hervor gebracht, sondern auch die planmässige und industrielle Vernichtung von Menschen. Obendrein die Vernichtung einer Bevölkerungsgruppe aufgrund der Abstammung und ungeachtet, ob integriert, assimiliert, der Religion überhaupt noch angehörig, ...
Ohne die Bürokraten, die auch die sonstige Produktion und Verteilung von Waren organisierten, ohne die umfassende Registrierung und Verwaltung der Bevölkerung hätte der Massenmord in dieser Dimension nicht stattfinden können.
Was haben wir jetzt damit zu tun?
Ich bin froh, in einer demokratischen Republik, und nicht in einer Diktatur wie Franco-Spanien, Jugoslawien oder dem Nachkriegs-Griechenland aufgewachsen zu sein. Unsere Demokratie hat aber eine Vorgeschichte. Es gibt einen Grund, warum Niedersachsen und Bayern einander nicht so spinnefeind sind wie Serben und Kroaten, und warum sogar die andere Hälfte Deutschlands ziemlich sang- und klanglos einverleibt werden konnte, ohne dass wie in Ex-Jugoslawien Bruderzwiste ausbrechen. Es wurde gemeinsam grösste denkbare Scheisse gebaut, und darum können wir uns auf einen kleinsten gemeinsamen Nenner einigen und fügen uns unter eine anfangs aufoktroierte Demokratie, die kein anderes Volk akzeptiert hätte, weil sie eine Utopie realisiert: Eine Demokratie, die Minderheiten schützt und die Gemeinschaft vor Extremismen schützt.
Verantwortung? Ja, auf ganzer Linie. Denn einerseits kann man ja auch auf die Kultur stolz sein, oder? Aber die heutige Kultur führte zu und resultierte aus dem kompletten politischen und militärischen Bankrott.
Wir wären nicht die Menschen, die wir sind und sein wollen, ohne dass wir die Vergangenheit Deutschlands kennen.
Die Forderung, einen Schlussstrich zu ziehen, ist also naiv. Dann müsste ich auch einen Schlussstrich unter Goethes Faust ziehen, oder Brahms. Oder alle anderen Kulturleistungen, denn die sind ganz objektiv und emotionslos betrachtet nicht mehr oder weniger wert als das effiziente Vernichten von Menschen, und wir haben zu ihrer Entstehung ebenso wenig beigetragen.
Ich möchte aber meine Kultur und das ganze drumrum gut finden, also muss ich mich auch mit dem Scheiss auseinandersetzen, den sie hervorgebracht hat.
Und da beginnt die Diskussion um die Schuld, ohne die die Diskussion über unsere Kultur allgemein (die heute umso schärfer stattfindet, als sich ein Bedürfnis nach Abgrenzung zeigt ) nicht stattfinden kann.
Man wird nicht in ein Vakuum geboren, sondern in ein Umfeld, in eine Vergangeheit, in eine antizipierte Zukunft. Man kann nicht nach Belieben den einen Teil der Vergangenheit ausblenden, weil er hässlich ist, und den anderen, angenehmen für sich vereinnahmen.