Ich verstehe wirklich nicht warum ausgerechnet Plato als kompetenter Kritiker heutiger Demokratien gelten sollte.
Ich wuerde mir nicht anrechnen Platos Gedanken vollkommen zu verstehen,oder seine Schriften zu kritisieren (habe auch nur Auszuege gelesen), aber man sollte doch einige Tatsachen ins Auge fassen:
1. Platos Kritik basiert nicht auf Beobachtungen (ausser denen von griechischen Stadtstaaten) oder statistischen Fakten. Ausser den Demokratien in Athen und anderen griechischen Stadtstaaten hatte er keine Möglichkeit demokratische Systeme zu beobachten. Das heisst dann doch wohl das seine Voraussage dass Demokratie (automatisch) zu Tyrrannei fuert reine Spekulation ist.
Ich wuerde denken, dass Freiheits- und Gleichheitsrechte die in heutigen Demokratien Gang und Gebe sind (Wahlrecht fuer alle Staatsbuerger ab einem bestimmten Alter, Versammlungsfreiheit, Meinungsfreiheit, Allgemeine Handlungsfreiheit, Freiheit der Person, Bekenntnisfreiheit, Gleichberechtigung von Mann und Frau......) fuer Plato schon längst zur Tyrannei gefuert haben muessten, wenn man bedenkt, dass seine Kritik sich an den damahligen Demokratien orientierten.
2. Wenn man z.B. das GG der BRD betrachtet so sind Freiheiten fast immer einschränkbar:
Artikel 2
[Allgemeine Handlungsfreiheit; Freiheit der Person; Recht auf Leben]
(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit,
soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich.
In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden. Artikel 5
[Meinungs-, Informations-, Pressefreiheit; Kunst und Wissenschaft]
(1) Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.
(2) Diese Rechte finden ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre.(3) Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei.
Die Freiheit der Lehre entbindet nicht von der Treue zur Verfassung.Artikel 8
[Versammlungsfreiheit]
(1)
Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln.
(2) Für Versammlungen unter freiem Himmel kann dieses Recht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes beschränkt werden.usw.
Das heisst anders als in Platos Vision werden in modernen Demokratien Rechte eingeschränkt, und zwar auf Grund von Verfassung und Rechtssprechung.
Es gibt in Demokratien keine uneigeschränkte Freiheit (im uebrigen auch keine uneingeschränkte Gleichheit, wie man an Artikel 8 abs 1 GG sehen kann).
Alles in Allem wuerde ich sagen, dass man Platos Kritik nicht einfach auf heutige Demokratien anwenden kann, obwohl er selbst die Kritik sehr allgemein angelegt hat, nähmlich auf die Prinzipien von Freiheit und Gleichheit, die ja auch heute noch demokratische Prinzipien sind; eben nur nicht uneingeschränkt.
3. Da ich kein Experte fuer Philosophie im Allgemeinen und Plato im Speziellen bin hab ich noch mal ein Bisschen weitergeschaut, und es scheint das selbst Plato nicht uneingeschränkt Demokratiekritisches geschrieben hat. Offensichtlich gibt es mindestens zwei Werke Platos die sich mit diesem Thema beschäftigen. In
Republik wird der demokratiekritische Strang entwickelt, in
Laws (Gesetze) eine eher positive Betrachtungsweise der Demokratie.Offensichtlich sind sich auch die Gelehrten nicht einig, ob sich diese beiden Auffassungen denn nun in Platos Sicht wiedersprechen, oder nicht. Ich muss mich hier auf die Verfasser verlassen, da ich nicht beide Werke gelesen habe (leider auf Englisch) :
Has Plato changed his mind, then? Has he re-evaluated the highly negative opinion he once held of those who are innocent of philosophy? Did he at first think that the reform of existing Greek cities, with all of their imperfections, is a waste of time — but then decide that it is an endeavor of great value? (And if so, what led him to change his mind?) Answers to these questions can be justified only by careful attention to what he has his interlocutors say.
But it would be utterly implausible to suppose that these developmental questions need not be raised, on the grounds that
Republic and
Laws each has its own cast of characters, and that the two works therefore cannot come into contradiction with each other. According to this hypothesis (one that must be rejected), because it is Socrates (not Plato) who is critical of democracy in
Republic, and because it is the Athenian visitor (not Plato) who recognizes the merits of rule by the many in Laws, there is no possibility that the two dialogues are in tension with each other.
Against this hypothesis, we should say: Since both
Republic and
Laws are works in which Plato is trying to move his readers towards certain conclusions, by having them reflect on certain arguments — these dialogues are not barred from having this feature by their use of interlocutors it would be an evasion of our responsibility as readers and students of Plato not to ask whether what one of them advocates is compatible with what the other advocates. If we answer that question negatively, we have some explaining to do: what led to this change? Alternatively, if we conclude that the two works are compatible, we must say why the appearance of conflict is illusory.
Kraut, Richard, "Plato", The Stanford Encyclopedia of Philosophy (Summer 2004 Edition), Edward N. Zalta (ed.), URL = <
http://plato.stanford.edu/archives/sum2004/entries/plato/>.
he who makes a beast of himself,
get´s rid of the pain of beeing
a man