Ist nur Demokratie "gut"?
08.04.2013 um 12:48Ich bin gerade auf folgenden Artikel gestossen und frage Euch nun, ob Ihr der Ansicht seid, dass nur Demokratie "gut" im Sinne von lebenswert für eine Gesellschaft ist.
Ökonomen-Konferenz in Hongkong: "Ich glaube nicht, dass Demokratie der beste Weg ist"
Bei einem Wirtschaftskongress in Hongkong zeigt sich, wie sehr die Finanzkrise die westliche Geisteselite verunsichert hat. Selbst für Nobelpreisträger ist China das neue Vorbild. Und die ersten Philosophen fangen bereits an, über das Ende der Demokratie nachzudenken.
Daniel A. Bell fällt auf im Hongkonger Hotel Intercontinental. Unter seinem Jackett sticht ein traditionelles chinesisches Hemd mit Stehkragen hervor. So etwas tragen hier normalerweise nicht die Gäste, sondern die Kellner.
Der Kanadier lehrt politische Philosophie an der Pekinger Elite-Universität Tsinghua. Was er sagt, passt zum Hemd: "Ich glaube nicht länger daran, dass Demokratie in der Form 'Eine Person - eine Stimme' der beste Weg ist, um ein politisches System zu organisieren." Bell, inspiriert von konfuzianischen Lehren, plädiert stattdessen für eine Auslese der politischen Führungselite nach intellektuellen Fähigkeiten und moralischen Standards. Ein System, das er in der Kommunistischen Partei Chinas (KPC) zwar nicht perfekt, aber doch in Ansätzen verwirklicht sieht. In Ansätzen, die sich auszubauen lohnen.
Wahlen? Die hält nur auf der lokalen Ebene für sinnvoll, "da fallen falsche Entscheidungen nicht so sehr ins Gewicht".
Seine Rolle als bekennender Anti-Demokrat würde Bell in Deutschland vermutlich eine Passage im Jahresbericht des Verfassungsschutzes bescheren. Im Rest der Welt hat ihn sein Standpunkt zum intellektuellen Popstar gemacht, mit Kolumnen in der "Financial Times", im "Guardian", der "Huffington Post". Auch an diesem Freitagnachmittag darf Bell seine Thesen vor einem illustren Publikum ausbreiten: Bei der Jahrestagung des Instituts für Neues Ökonomisches Denken, eines illustren Think-Tanks, finanziert von der Hedgefonds-Legende George Soros. An der Konferenz nehmen zahlreiche Wirtschafts-Nobelpreisträger teil, dazu Historiker, Soziologen und Politikwissenschaftler aus Oxford, Princeton, Berkeley. Die Elite der westlichen Welt in Sachen Wirtschafts- und Sozialwissenschaften.
In seinem Vortrag räumt Bell ein: Sicher, auch in der KP laufe vieles nicht perfekt, der Kampf gegen die Korruption sei eine Herausforderung. Die Presse müsste freier sein. Und vielleicht könnte man sich für die Zukunft einen "konstitutionellen Moment" vorstellen, in dem die Chinesen einmalig in einem Referendum dem derzeitigen System Legitimation verleihen. Wobei man über die Stimmrechte in dieser Volksabstimmung noch mal nachdenken sollte. "Denkbar wären mehr Stimmen für Menschen mit besserer Erziehung."
Die Begriffe Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit erwähnt Bell kein einziges Mal.
Klingt nach Provokation - und provoziert hier niemanden. Ein paar höfliche Nachfragen, wie man es denn verhindern könne, dass die Meritokratie zu Vetternwirtschaft ausarte. Bells Idee: Wenn die Amtszeit eines Politikers endet, müsse seine gesamte Familie ihre Vermögensverhältnisse offenlegen. Der freundliche Hinweis, des (chinesischen) Moderators, dass die KPC ja längst so etwas sei wie die "Personalabteilung Chinas" - zuständig dafür, dass die Besten rekrutiert und befördert werden. Und dann ist auch schon Zeit für den Cocktail-Empfang.
Nur eine Momentaufnahme, aber eine, die auf einen tiefergehenden Trend hindeutet: Die sechs Jahre seit Beginn der Finanzkrise haben ausgereicht, um das herrschende Weltbild der westlichen Geisteselite zu erschüttern. Jenen Wertekanon, demzufolge Demokratie und freie Marktwirtschaft zusammen das beste aller Systeme bilden - nicht nur für den Westen, sondern für die gesamte Welt.
Dahin ist die Überzeugung, dass freie Wirtschaft und freie Gesellschaft einander langfristig bedingen und auch China diesen Zusammenhang über kurz oder lang begreifen werde. Kaum zu glauben, dass amerikanische Neokonservative noch vor zehn Jahren dafür plädierten, Demokratie und Marktwirtschaft notfalls mit Waffengewalt zu exportieren.
"Demokratien haben einen zu kurzen Zeithorizont"
Zu besichtigen ist dieser Sinneswandel zum Beispiel bei James Heckman, Wirtschafts-Nobelpreisträger des Jahres 2000 und nebenbei auch noch Jura-Professor. Nahezu sein gesamtes Berufsleben hat er an der legendären Wirtschaftsfakultät der Universität von Chicago verbracht. Dort, wo der liberale Kapitalismus mit all seinem globalen Sendungsbewusstsein miterfunden wurde. Und jetzt? Sitzt er in Hongkong und sagt Sätze wie diesen: "Ein Teil des chinesischen Erfolgs besteht wahrscheinlich darin, dass die Führung dort nie einer bestimmten ökonomischen Theorie gefolgt ist - sondern einfach nur ihrer Nase."
Oder Michael Spence, Wirtschafts-Nobelpreis 2001. Um so erfolgreich zu wachsen wie China, brauche ein Land eine Führung "mit Ausdauer". Am einfachsten lasse sich solch eine Erfolgsgeschichte wohl in einem "wohlwollend autoritären System umsetzen, denn Demokratien haben einen zu kurzen Zeithorizont".
Niall Ferguson, Historiker aus Oxford, lässt in Hongkong zwar keinen Zweifel, dass er Rechtsstaatlichkeit für wichtig hält. Doch in seinen Augen sind die USA gerade im Begriff, "die Herrschaft der Gesetze gegen eine Herrschaft der Anwälte einzutauschen". Was in Fergusons Augen maßgeblich zum allgemeinen Niedergang der USA und Westeuropas beiträgt.
Sicher, der Westen stagniert seit Beginn der Finanzkrise vor sich hin, während China mit automatenhafter Zuverlässigkeit hohe Wachstumsraten produziert. Der Westen versucht, Demokratie in den Irak und nach Afghanistan zu exportieren - und scheitert.
Und doch: Für die ideologische Verbeugung vor dem Regime in Peking gibt es eigentlich keinen Grund. Der Korrelation zwischen dem Wohlstand eines Landes und dem Grad seiner demokratischen Freiheit ist nach wie vor beeindruckend hoch. Und je weiter ein Land auf der Wohlstandsskala nach oben rückt, desto stärker wird dieser Zusammenhang. Aus der von der Weltbank definierten Gruppe der Staaten mit mittlerer Wirtschaftsleistung pro Kopf (zu der auch China gehört) haben es in den vergangenen Jahrzehnten mehrere Dutzend geschafft, in die Riege der Länder mit hoher Wirtschaftsleistung aufzusteigen. Fast alle Aufsteiger sind Demokratien, darunter viele Staaten Ost- und Südeuropas.
Eigentlich ein logischer Zusammenhang: Je höher das Wohlstandsniveau, desto wichtiger werden den Bürgern immaterielle Werte wie Freiheit, Rechtssicherheit oder demokratische Teilhabe. Und umgekehrt: Will eine Volkswirtschaft aus dem Mittelfeld der Wohlstandsskala in die Spitzengruppe klettern, ist sie auf pfiffige Innovationen angewiesen, die am besten in einer freien Gesellschaft gedeihen. Vielleicht gelingt es China, nach Singapur zur zweiten Ausnahme von dieser Regel zu werden - doch noch steht der Beweis aus.
Einen Tag nach seinem Vortrag hat Daniel A. Bell sein Konfuzius-Hemd gegen ein normales, blau-weiß gestreiftes ausgetauscht. Mit seiner modischen Nerd-Brille würde der Endvierziger jetzt ebenso gut in ein Straßencafé in Brooklyn oder Berlin-Mitte passen. Natürlich seien ihm Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte wichtig, sagt er. "Aber nicht arm zu sein, ist auch ein fundamentales Menschenrecht, und da hat China gewaltige Fortschritte gemacht." Auch in Sachen Rechtsstaatlichkeit gehe es in China voran.
Und als das Gespräch schon fast zu Ende ist, sagt er noch: "Vor 20 Jahren hätte ich mich ziemlich aufgeregt, jemanden wie mich reden zu hören."
http://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/oekonomen-und-sozialwissenschaftler-zweifeln-an-der-demokratie-a-892991.html
Also was meint Ihr dazu?
Ökonomen-Konferenz in Hongkong: "Ich glaube nicht, dass Demokratie der beste Weg ist"
Bei einem Wirtschaftskongress in Hongkong zeigt sich, wie sehr die Finanzkrise die westliche Geisteselite verunsichert hat. Selbst für Nobelpreisträger ist China das neue Vorbild. Und die ersten Philosophen fangen bereits an, über das Ende der Demokratie nachzudenken.
Daniel A. Bell fällt auf im Hongkonger Hotel Intercontinental. Unter seinem Jackett sticht ein traditionelles chinesisches Hemd mit Stehkragen hervor. So etwas tragen hier normalerweise nicht die Gäste, sondern die Kellner.
Der Kanadier lehrt politische Philosophie an der Pekinger Elite-Universität Tsinghua. Was er sagt, passt zum Hemd: "Ich glaube nicht länger daran, dass Demokratie in der Form 'Eine Person - eine Stimme' der beste Weg ist, um ein politisches System zu organisieren." Bell, inspiriert von konfuzianischen Lehren, plädiert stattdessen für eine Auslese der politischen Führungselite nach intellektuellen Fähigkeiten und moralischen Standards. Ein System, das er in der Kommunistischen Partei Chinas (KPC) zwar nicht perfekt, aber doch in Ansätzen verwirklicht sieht. In Ansätzen, die sich auszubauen lohnen.
Wahlen? Die hält nur auf der lokalen Ebene für sinnvoll, "da fallen falsche Entscheidungen nicht so sehr ins Gewicht".
Seine Rolle als bekennender Anti-Demokrat würde Bell in Deutschland vermutlich eine Passage im Jahresbericht des Verfassungsschutzes bescheren. Im Rest der Welt hat ihn sein Standpunkt zum intellektuellen Popstar gemacht, mit Kolumnen in der "Financial Times", im "Guardian", der "Huffington Post". Auch an diesem Freitagnachmittag darf Bell seine Thesen vor einem illustren Publikum ausbreiten: Bei der Jahrestagung des Instituts für Neues Ökonomisches Denken, eines illustren Think-Tanks, finanziert von der Hedgefonds-Legende George Soros. An der Konferenz nehmen zahlreiche Wirtschafts-Nobelpreisträger teil, dazu Historiker, Soziologen und Politikwissenschaftler aus Oxford, Princeton, Berkeley. Die Elite der westlichen Welt in Sachen Wirtschafts- und Sozialwissenschaften.
In seinem Vortrag räumt Bell ein: Sicher, auch in der KP laufe vieles nicht perfekt, der Kampf gegen die Korruption sei eine Herausforderung. Die Presse müsste freier sein. Und vielleicht könnte man sich für die Zukunft einen "konstitutionellen Moment" vorstellen, in dem die Chinesen einmalig in einem Referendum dem derzeitigen System Legitimation verleihen. Wobei man über die Stimmrechte in dieser Volksabstimmung noch mal nachdenken sollte. "Denkbar wären mehr Stimmen für Menschen mit besserer Erziehung."
Die Begriffe Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit erwähnt Bell kein einziges Mal.
Klingt nach Provokation - und provoziert hier niemanden. Ein paar höfliche Nachfragen, wie man es denn verhindern könne, dass die Meritokratie zu Vetternwirtschaft ausarte. Bells Idee: Wenn die Amtszeit eines Politikers endet, müsse seine gesamte Familie ihre Vermögensverhältnisse offenlegen. Der freundliche Hinweis, des (chinesischen) Moderators, dass die KPC ja längst so etwas sei wie die "Personalabteilung Chinas" - zuständig dafür, dass die Besten rekrutiert und befördert werden. Und dann ist auch schon Zeit für den Cocktail-Empfang.
Nur eine Momentaufnahme, aber eine, die auf einen tiefergehenden Trend hindeutet: Die sechs Jahre seit Beginn der Finanzkrise haben ausgereicht, um das herrschende Weltbild der westlichen Geisteselite zu erschüttern. Jenen Wertekanon, demzufolge Demokratie und freie Marktwirtschaft zusammen das beste aller Systeme bilden - nicht nur für den Westen, sondern für die gesamte Welt.
Dahin ist die Überzeugung, dass freie Wirtschaft und freie Gesellschaft einander langfristig bedingen und auch China diesen Zusammenhang über kurz oder lang begreifen werde. Kaum zu glauben, dass amerikanische Neokonservative noch vor zehn Jahren dafür plädierten, Demokratie und Marktwirtschaft notfalls mit Waffengewalt zu exportieren.
"Demokratien haben einen zu kurzen Zeithorizont"
Zu besichtigen ist dieser Sinneswandel zum Beispiel bei James Heckman, Wirtschafts-Nobelpreisträger des Jahres 2000 und nebenbei auch noch Jura-Professor. Nahezu sein gesamtes Berufsleben hat er an der legendären Wirtschaftsfakultät der Universität von Chicago verbracht. Dort, wo der liberale Kapitalismus mit all seinem globalen Sendungsbewusstsein miterfunden wurde. Und jetzt? Sitzt er in Hongkong und sagt Sätze wie diesen: "Ein Teil des chinesischen Erfolgs besteht wahrscheinlich darin, dass die Führung dort nie einer bestimmten ökonomischen Theorie gefolgt ist - sondern einfach nur ihrer Nase."
Oder Michael Spence, Wirtschafts-Nobelpreis 2001. Um so erfolgreich zu wachsen wie China, brauche ein Land eine Führung "mit Ausdauer". Am einfachsten lasse sich solch eine Erfolgsgeschichte wohl in einem "wohlwollend autoritären System umsetzen, denn Demokratien haben einen zu kurzen Zeithorizont".
Niall Ferguson, Historiker aus Oxford, lässt in Hongkong zwar keinen Zweifel, dass er Rechtsstaatlichkeit für wichtig hält. Doch in seinen Augen sind die USA gerade im Begriff, "die Herrschaft der Gesetze gegen eine Herrschaft der Anwälte einzutauschen". Was in Fergusons Augen maßgeblich zum allgemeinen Niedergang der USA und Westeuropas beiträgt.
Sicher, der Westen stagniert seit Beginn der Finanzkrise vor sich hin, während China mit automatenhafter Zuverlässigkeit hohe Wachstumsraten produziert. Der Westen versucht, Demokratie in den Irak und nach Afghanistan zu exportieren - und scheitert.
Und doch: Für die ideologische Verbeugung vor dem Regime in Peking gibt es eigentlich keinen Grund. Der Korrelation zwischen dem Wohlstand eines Landes und dem Grad seiner demokratischen Freiheit ist nach wie vor beeindruckend hoch. Und je weiter ein Land auf der Wohlstandsskala nach oben rückt, desto stärker wird dieser Zusammenhang. Aus der von der Weltbank definierten Gruppe der Staaten mit mittlerer Wirtschaftsleistung pro Kopf (zu der auch China gehört) haben es in den vergangenen Jahrzehnten mehrere Dutzend geschafft, in die Riege der Länder mit hoher Wirtschaftsleistung aufzusteigen. Fast alle Aufsteiger sind Demokratien, darunter viele Staaten Ost- und Südeuropas.
Eigentlich ein logischer Zusammenhang: Je höher das Wohlstandsniveau, desto wichtiger werden den Bürgern immaterielle Werte wie Freiheit, Rechtssicherheit oder demokratische Teilhabe. Und umgekehrt: Will eine Volkswirtschaft aus dem Mittelfeld der Wohlstandsskala in die Spitzengruppe klettern, ist sie auf pfiffige Innovationen angewiesen, die am besten in einer freien Gesellschaft gedeihen. Vielleicht gelingt es China, nach Singapur zur zweiten Ausnahme von dieser Regel zu werden - doch noch steht der Beweis aus.
Einen Tag nach seinem Vortrag hat Daniel A. Bell sein Konfuzius-Hemd gegen ein normales, blau-weiß gestreiftes ausgetauscht. Mit seiner modischen Nerd-Brille würde der Endvierziger jetzt ebenso gut in ein Straßencafé in Brooklyn oder Berlin-Mitte passen. Natürlich seien ihm Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte wichtig, sagt er. "Aber nicht arm zu sein, ist auch ein fundamentales Menschenrecht, und da hat China gewaltige Fortschritte gemacht." Auch in Sachen Rechtsstaatlichkeit gehe es in China voran.
Und als das Gespräch schon fast zu Ende ist, sagt er noch: "Vor 20 Jahren hätte ich mich ziemlich aufgeregt, jemanden wie mich reden zu hören."
http://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/oekonomen-und-sozialwissenschaftler-zweifeln-an-der-demokratie-a-892991.html
Also was meint Ihr dazu?