Wie viel Ehrlichkeit ist gut?
07.03.2019 um 01:04
Zum Eingangspost: Wenn man mit dem Echo umgehen kann, kann man auch schonungslos ehrlich sein. Ich bin ein Stück weit ein Freund von ungefilterter Ehrlichkeit.
Vor allem wenn Menschen wie der Youtuber aus dem Startpost in der Öffentlichkeit stehen. Die Fußball-Fans wissen sicher was ich meine. Vor und nach jedem Spiel gibt es Interviews und Pressekonferenzen, bei Transfers gibt es Presse-Aussendungen mit vom PR-Manager abgesegneten oder vorgefertigten Texten, die die immer selben wertlosen Floskeln beinhalten. Spieler A unterschreibt bei Verein BVB: "Es war immer mein Traum für diesen großen Verein vor seinen tollen Fans zu spielen bla bla blubb." Nach 2 Wochen küsst er das Vereinswappen auf der Brust und schreibt wöchentlich irgendeinen schwindligen Hipster-Post in das Internet seiner Wahl (Facebook, Instagram, whatever) in dem er erklärt wie sehr er seinen Verein und dessen Fans liebt. Ein Jahr später erhält er ein Angebot von Verein FCB, wird auf der Autobahn mit 300 geblitzt weil die ihm 20% mehr Gehalt zahlen, kommt an und sagt "Es war immer mein Traum für ....etc etc etc...."
Personen die in der Öffentlichkeit stehen sagen zu einem großen Teil genau das, was ihre Zielgruppe (die durch Manager und Marketing-Experten peinlichst genau analysiert wurde) gerade hören will. Und wenn sie morgen etwas völlig anderes hören will als heute, auch egal.
Da rede ich sicher nicht nur vom Fußball. Schaut euch auch Künstler und Politiker an. Oder wieviele Leute durch großartiges soziales Engagement auffallen aber kurioserweise nur wenn eine Kamera "zufällig" dabei ist und sie selbst durch Clicks in den entsprechenden Kanälen noch viel mehr davon profitieren. Schaut euch zB Youtuber an. Überall das selbe.
Aber genau diese Personen: Sportler, Influencer, Künstler. Auch Politiker. Das sind die Ideale der heutigen Generation, jeder junge Bursche will sein wie Cristiano Ronaldo & Co. Dabei weiß niemand wie diese Menschen eigentlich sind weil sie in der Öffentlichkeit einfach Rollen spielen, weil meistens kein Wort von dem was sie sagen, wirklich von ihnen kommt und sie auch (zurecht) nie mehr von sich preisgeben würden, als es ihnen etwas bringt.
Klar, da ist ein Youtuber der einfach mal "Du bist fett", "du bist hässlich", "deine Mutter" hinaus haut, irgendwo fast angenehm, wohltuend. Man darf aber nicht vergessen dass er mit seiner Ehrlichkeit Menschen verletzen kann, und dementsprechend muss er dann auch damit umgehen können dass ihm nicht nur Sympathie entgegen schlägt sondern dass auch viele Leute sehnsüchtig darauf warten dass es ihn auf die Fresse legt. Wer austeilt, muss auch einstecken können. Ich denke dass auch genau das der Grund dafür ist dass viele Leute nur mehr das sagen was gerade in die einheitliche Mainstream-Meinung zu jedem x-beliebigen Thema passt. Man will nicht anecken, sich nicht angreifbar machen.
Mir gefällt der österreichische Kabarettist Alf Poier. Den hab ich auch schon live gesehen. Er unterhält, und polarisiert. Worauf ich aber hinaus will ist dass ich kaum einen Menschen in der Öffentlichkeit gesehen habe, der so schonungslos ehrlich war. Auch auf sich selbst bezogen. Der seinen Gästen erzählt wie total erfolglos, pleite und am Ende er einst war. Er lässt keine "VIP" Gäste aus Politik und Medien kostenlos in die 1. Reihe seiner Konzerte um dann click-bringende Selfies zu machen. Er überprüft seine Aussagen nicht darauf ob sie politisch korrekt sind, hat sich damit vor allem in diversen Twitter-Bubbles bereits einige Shitstorms eingefangen, wurde von allen Richtungen attackiert aber er weiß eben auch damit umzugehen und kann es aushalten, er jammert nicht, er sagt einfach, was er sagt. Er sagt auch, dass er darauf scheißt was die Leute von seinen Aussagen halten. Das kann man machen. WENN man eben wirklich die grenzenlose Ehrlichkeit besitzt, denn ehrlich zu anderen Leuten zu sein ist einfach, ehrlich zu und über sich selbst zu sein nicht immer, meiner Meinung nach.
Wen vom Youtuber, ins echte Leben: Ehrlichkeit ist eine Eigenschaft die ich sehr schätze. Eine sehr wichtige Eigenschaft, in Freundschaft, Beziehung und Beruf. Damit einhergehend ist die Fähigkeit zur Selbstkritik. Ich glaube nur wenige Künstler oder Sportler wären so erfolgreich wie sie sind, wenn es nicht irgendeinen Trainer, Manager, Berater, Kollegen etc gegeben hätte der ihnen gesagt hätte "X und Y musst du besser/anders machen!" und ebenfalls nicht wenn er nicht in der Lage gewesen wäre diese Kritik anzunehmen. Ich sage in der Arbeit zu Kunden und Kollegen immer sie sollen mir bei allem was ich tue, schonungslos sagen was daran verbessert werden sollte, sobald ihnen etwas auffällt. Daraus kann ich lernen, mich zu verbessern. Ich bevorzuge immer die direkte Ansprache, das ist wichtig. Wirklich in jedem Lebensbereich.
Was heißt, man sollte nicht lügen. Manchmal gibt es aber Situationen, in denen eine Lüge legitim ist, v.a. da nicht jede Information für jedermanns Ohren bestimmt ist. Es kann in Verhandlungen auch taktisch sinnvoll sein, Dinge auszulassen. Schließlich werde ich keine Dinge preisgeben, die ich nicht preisgeben muss - wenn ich einen Nachteil daraus ziehe sie anzugeben.
Ich habe bereits zu mehreren Personen im Verlauf meines Lebens ehrlich gesagt, dass ich sie einfach nicht leiden kann und nichts mit ihnen zu tun haben möchte. Der ein oder andere fühlt sich dann angegriffen. Ich finde es ist fairer, als face 2 face eine Rolle zu spielen, zu schleimen und dann hinterrücks zu schimpfen so wie es häufig praktiziert wird. Es gibt auch keine rationale Erklärung für solche Verhaltensmuster, dennoch findet man sie immer wieder. Warum, ich weiß es nicht.