Gemeinsame Sache der NPD und DVU bis 2006
12.10.2004 um 12:50
Langer Text, aber sehr gut geschrieben !
Extremismus !
Deutschradikale Republik !
Von Regina Mönch
"Sie sind das Produkt unserer Gesellschaft, es sind unsere Kinder", schrieb der ostdeutsche Bürgerrechtler Konrad Weiß Ende des Jahres 1988. Sein Essay war der erste, der sich mit der erstarkenden rechtsradikalen Jugendkultur in der DDR auseinandersetzte.
Viel Beifall bekam er dafür nicht. Seine Analyse, so bitter sie war, klang trotzdem vorsichtig, eher suchend nach einer Erklärung, die sich nicht auf genaue Untersuchungen stützen konnte. Weiß berichtete schon damals von Feindbildern, die sich bis heute nicht geändert haben:
Fremdenhaß, Antiamerikanismus, Vorbehalte gegen die westliche Demokratie, Antisemitismus. Und er stellte in Frage, daß mit der Verurteilung Tausender Naziverbrecher und dem verordneten Bekenntnis zum Antifaschismus die Vergangenheit tatsächlich aufgearbeitet worden ist.
Diskreditierter Antifaschismus !
Er glaubte vielmehr, daß der Antifaschismus als Staatsdoktrin es allzu vielen Nazimitläufern ermöglichte, zur neuen Tagesordnung überzugehen, ohne jemals öffentlich über Schuld und Verstrickung nachdenken zu müssen. Stalinistischer Terror habe den Antifaschismus zudem moralisch diskreditiert, die latente Bereitschaft zur Abkehr schlug bei einem Teil um in einen neuen Fanatismus. Diese "rückbekehrten Faschisten", angepaßte DDR-Bürger, reichten ihre Gesinnung schließlich an die Generation der Enkel weiter, vermutete Weiß.
Er beschrieb einen Alltag, der diese "jungen Faschisten", wie er sie nannte, lieber ausblendete, obwohl ihre brutalen Entgleisungen unübersehbar waren. Die sich antifaschistisch gebärdende Staatsmacht war statt dessen damit beschäftigt, alle zu jagen, die sich zum gewaltfreien Frieden, zum Schutz der Umwelt bekannten, die Menschenrechte und eine anständige Behandlung der ausländischen Arbeiter einforderten und gegen die Militarisierung des Schulunterrichts opponierten. Die antifaschistische Staatsmacht jagte also alle, die dem dumpfen Nationalismus, dem Haß auf alles Fremde und andere in dieser geschlossenen Gesellschaft vorgeblich Gleicher etwas hätten entgegensetzen können.
Noch kein ernst zu nehmender Streit !
Der Appell von Konrad Weiß, sich dieser verlorenen Kinder endlich anzunehmen und nach den Ursachen zu forschen, verhallte damals zwar nicht ungehört. Doch zu einer ernsthaften Auseinandersetzung in aller Öffentlichkeit konnte es nicht kommen, dazu war es noch zu früh. Jetzt aber, fast sechzehn Jahre später, sitzen rechtsradikale Parteien in ostdeutschen Landtagen, und sie geben sich damit nicht zufrieden. Neue Wahlbündnisse werden geschmiedet, um noch mehr Einfluß zu gewinnen. Es fällt schon auf, daß es zum ernst zu nehmenden Streit über Ursachen und Traditionen dieser Art von sozialen Bewegung immer noch nicht gekommen ist.
Mag sein, daß sich diese Parteien innerhalb weniger Wahlperioden aus den Parlamenten wieder verabschieden, so wie es im Westen der Republik bisher immer noch geschehen ist. Aber vielleicht schafft eine NPD/DVU aus dem Osten, was sich heute niemand vorzustellen vermag: zum ersten Mal den Sprung in den Bundestag. Es sei darum davor gewarnt, auch dieses Problem ins konsensuale Beruhigungsbad zu legen und es als einen von vielen Ost-West-Unterschieden den selbstheilenden Kräften einer starken Demokratie zu überantworten. Die Rechtsradikalen im Osten sind ein Problem, über das sich vor allem Ostdeutsche streiten müssen die, die sich genau daran erinnern, wie es wirklich war, mit jenen, die das noch nie wahrhaben wollten.
Kinder des Mythos !
Denn die neuen jungen Wähler am rechtsradikalen Rand sind die Kinder jener Kinder, vor deren antidemokratischem Potential Konrad Weiß schon zu DDR-Zeiten warnte. Inzwischen könnte jeder wissen, daß auch die Mythen und Doktrinen des verblichenen Staates DDR den Nährboden bildeten für die verheerende Entwicklung, mit der wir es heute in vielen Gegenden des deutschen Ostens zu tun haben. Es gibt genügend Studien, die die Hypothesen von Weiß bestätigen. Sie sind fast alle veröffentlicht worden, nur haben sie kaum öffentliches Interesse erregt.
Wer weiß schon, daß in einer Industriestadt im Osten bereits Ende Oktober 1989 auf einer Montagsdemonstration ein erstes Plakat auftauchte, das "Deutschland den Deutschen, Schwarze raus aus der DDR" verlangte. Es ging damals fast unter im Ruf nach freien Wahlen und "Wir sind das Volk". Es gab schon damals nur wenige Schwarze in dieser Gegend, in der sich, wie in der Sächsischen Schweiz oder in der Oberlausitz heute, Schüler und Jungwähler zuraunen, man sei "überfremdet".
Mag manch einem Außenstehenden unerklärlich sein, wie Xenophobie sich derart ausbreiten kann bei weitestgehender Abwesenheit von Ausländern; drinnen nehmen das viele anders wahr.
Sonderwahlgebiet Ost !
Drinnen, im Sonderwahlgebiet Ost, machen sie dann, kaum erwachsen geworden, ihr Kreuzchen bei den Parteien, die ihnen bestätigen, was sie fühlen und was ihnen weder Lehrer noch Eltern als falsch, verlogen oder gefährlich erklärten. Sie munkeln da drinnen statt dessen von Ausländeranteilen zwischen zwanzig und sechzig Prozent, auch wenn es der reale gerade mal auf zwei bis sechs Prozent brächte. Sie selbst werden sich kaum noch erinnern, wie man zu DDR-Zeiten ganz offiziell mit "Schwarzen", mit Vietnamesen, die bei einigen schon damals "Fidschis" hießen, ja wie man mit fast allem Fremden umsprang.
Ihre Eltern aber wissen das schon. Die sahen, wo man die Leiharbeiter unterbrachte, die man aus fernen Ländern, die ihre Schulden beim DDR-Staat nicht abzuzahlen vermochten, anwarb. Diese Fremden lebten abgeschottet von der Gesellschaft, in Wohnheimen, nicht selten auch in Barakken auf verwahrlostem Werksgelände, auf einen entsetzten Einspruch reagierte einmal ein Be-triebsdirektor, "die" es handelte sich um Kubaner, bemerkten das gar nicht, sie seien zuvor schließlich in Angola, im Krieg, gewesen.
Fremde als Menschen zweiter Klasse
Die fremden Arbeiter, die empfindliche Lücken an den Fließbändern und Werkbänken der "volkseigenen" Industrie schlossen, verdienten weniger als ihre deutschen Kollegen, sie sollten deren Sprache nicht lernen, sie hatten keine Aufstiegsmöglichkeit, und wenn doch, konnte es geschehen, daß sich Deutsche weigerten, unter so einem zu arbeiten. Natürlich waren nicht alle so, doch jeder konnte wissen, was geschieht, wenn man derart unwidersprochen Fremde als Menschen minderer Klasse behandelt.
Es kursierten Neidgerüchte, die Schwarzen bekämen Westgeld oder gar Westreisen, was nicht stimmte. Wer immer es war, der diese Gerüchte in Umlauf brachte, vielleicht sogar die Stasi, die damit das Fraternisierungsverbot befeuerte, sie zeigten Wirkung.
Vietnamesen oder Polen, die vom kargen Lohn Nähmaschinen oder Fahrräder kauften für die Familien zu Hause, wurden denunziert von strammen Verkaufsstellenleiterinnen. Die sorgten sich ums Wohl der eigenen, der deutschen Bevölkerung, die dann noch leerer ausgehen würde im antifaschistischen Mangelland.
Unter dem Teppich muffelte es dumpf !
Auf dem Teppich wurde gern von Solidarität geschwafelt, darunter muffelte es dumpf. Die Leiharbeiter waren durch Staatsvertrag zur Keuschheit verpflichtet, Vermischung wurde aktiv bekämpft. Fremde Frauen, die schwanger wurden, mußten das Kind abtreiben oder wurden zurückgeschickt. Man fürchtete eine "negative Beeinflussung" der Bevölkerung durch die Fremden und nahm dafür hin, daß tradierte Vorstellungen aus schlimmen Zeiten vom Fremden, der die Gleichheit und das Eigene bedroht, sich wieder breitmachten. Noch in den neunziger Jahren haben Lehrer im Osten solche Behandlung verteidigt:
Sie war doch "von oben" angeordnet worden.
Als die polnische Solidarnosc Bewegung auch in der DDR Nachahmung zu finden drohte, geisterten wieder die Worte von der "polnischen Wirtschaft" durchs Land, und einige trauten sich schon mal, auch wieder laut zu sagen, was sie von ihren Klassenbrüdern hinter der Oder dachten: "Polacken".
Wer genau hinhörte, hat dergleichen auch in den letzten Jahren hören können. Die örtliche Polizei sah dem Gegröle schlechterzogener Jungnationalisten allzu lange eher hilf und tatenlos zu. Und immer noch sind es viel zu wenige Lehrer, die begriffen haben, was sich da entwickelt, oder die in der Lage wären, dagegen zu intervenieren.
Fatal stumme Pädagogen !
Vielmehr berichten die Unverdrossenen, die dieser Entwicklung im Osten Einhalt gebieten wollen, von fatal vielen stummen Pädagogen, die sich zwar mehrheitlich ganz links definieren, doch dem rechtsradikalen, fremdenfeindlichen und undemokratischen Gefasel ihrer Schüler nichts weiter entgegenzusetzen haben als den Verweis auf die neue Ordnung im Lande, die daran schuld sei. Es macht die Sache nicht weniger schlimm, daß viele Lehrer in ihrem selbstgerechten Schlechte Laune Patriotismus nicht einmal erkennen, wie sehr sie diese Jugend in ihrer Verblendung bestätigen.
Der Mythos vom antifaschistischen Staat, in dem die Sieger der Geschichte lebten, während die Nazis unbestraft im Westen wohnten, er lebt weiter. Keine öffentliche Debatte, die im Osten nach der Wende nachgeholt hätte, die Naziverstrickung der Großeltern zu erkennen, deren Enkel jetzt in erschreckend großer Zahl die Kreuzchen bei Parteien ihrer Gesinnung machen.
Dafür wogte nostalgische Verklärung durchs Land; kein Zwischenruf, der die mediale Verzückung über Spreewaldgurken und Datschistensolidarität in den Farben einer netten DDR hätte stören wollen. Dieses putzige Bild, nur wenige Monate vor den jüngsten Wahlen entstanden, hat noch einmal mit Erfolg die dunklen, die Schattenseiten der stillen Gesellschaft Ost übertüncht. Doch hat es nun einen Riß. Es wäre an der Zeit, es gründlich zu überarbeiten, im Osten, unter Ostdeutschen, denn es sind tatsächlich ihre Kinder.
Text: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 12.10.2004
Ohne Worte !
Niemals aufgeben !