Sartre = Mit dem Bewusstsein die Freiheit zu bewahren?!
13.01.2008 um 13:54
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0. Einleitung
Sartres Leben und Werk sind vor allem durch sein immer währendes Engagement für die Freiheit geprägt. Ob als Philosoph, Staatsbürger, Dramaturg oder Schriftsteller stets galt das Hauptinteresse Sartres dem Thema der Freiheit. So schreibt er 1947 über das Dasein des Schriftstellers: „ob er nur von den individuellen Leidenschaften spricht oder das System der Gesellschaft angreift, als freier Mensch, der sich an freie Menschen wendet, hat er nur ein einziges Sujet: die Freiheit“ (L S.54)1. Auch für Sartres späteres Denken bleibt der in seinem philosophischen Hauptwerk Das Sein und das Nichts2 aus dem Jahre 1943 unternommene Versuch einer ontologischen Begründung der Freiheit grundlegend.
Da der Mensch die Erfahrung der Freiheit macht, d.h. sich als selbstbestimmt handelnd und denkend versteht, erhebt sich die Frage einer philosophischen Begründung der Freiheit. Sartre fasst die Freiheit nun aber nicht wie zum Teil in der Tradition vor ihm als eine Eigenschaft des Menschen auf, sondern als eine Grundbestimmung des menschlichen Seins, die von seiner Existenz nicht zu trennen ist. Deshalb sagt Sartre: „jeder Mensch ist offensichtlich Freiheit“ (CF 103)3.
Zunächst versteht Sartre wie auch Kant Freiheit als Freiheit von Kausalität. Eine freie Tat ist als eine absolut neue Schöpfung zu verstehen, deren Keim nicht in einem früheren Zustand der Welt enthalten ist, denn dann wäre sie ja nicht frei, sondern kausal bestimmt. Infolgedessen sind Freiheit und Schöpfung eins. Während Kant die Frage der Vereinbarkeit von Naturkausalität und Freiheit löst, indem er eine Trennung von Dingan- sich und Erscheinung vornimmt, versucht Sartre ohne eine solche Trennung auszukommen, indem er Freiheit vor aller Bestimmung im Sein des Menschen verankert: „sie [sc. die Freiheit] ist keine hinzugefügte Qualität oder Eigenschaft meiner Natur; sie ist ganz genau der Stoff meines Seins“ (SN 762/514).
In der vorliegenden Arbeit soll es darum gehen, diese ontologische Begründung der Freiheit nachzuzeichnen. Dabei soll die zentrale Bedeutung der Intentionalität und Negativität herausgestellt und gezeigt werden, inwiefern dem Bewusstsein eine Schlüsselstelle in der Sartre´schen Philosophie zukommt. Schließlich sollen auch die aus dem Sartre´schen Freiheitsverständnis resultierenden Konsequenzen für das Handeln des Menschen thematisiert werden.
Das erste Kapitel geht zunächst auf die Schrift Die Transzendenz des Ego4 aus dem Jahre 1936 ein. In dieser spiegelt sich die Auseinandersetzung Sartres mit der Phänomenologie Husserls wider, auf deren Basis Sartre seine eigene Philosophie weiterentwickelt und schließlich zur phänomenologischen Ontologie gelangt, wie sie sich in Das Sein und das Nichts findet. Sartre besteht auf der völligen Leere des Bewusstseins und übernimmt von Husserl die Auffassung, dass Bewusstsein sei immer intentional auf etwas außerhalb seiner selbst gerichtet. Ausgangspunkt Sartres ist das Cogito. Herausgestellt werden soll, dass es Sartre in seiner Untersuchung gerade nicht um eine erkenntnistheoretische Frage geht, sondern um die Seinsweise des Bewusstseins, die er als „Abwesenheit von sich“ kennzeichnet. Die besondere Bedeutung des präreflexiven Bewusstsein und die sich daraus ergebenden weit reichenden Konsequenzen für den Freiheitsbegriff Sartres werden im Verlauf der Arbeit immer deutlicher hervortreten.
Im zweiten Kapitel geht es dann bereits um die sich aus Sartres phänomenologischen Untersuchungen des Bewusstseins ergebende Schlussfolgerung, dass es neben dem Bewusstsein noch ein anderes, ein nicht bewusstes Sein geben muss. Dabei wird sich herausstellen, dass auf diese Grundunterscheidung des Seienden in ein solides nicht bewusstes An-sich und in ein Negation schaffendes bewusstes Für-sich die Bestimmung der Freiheit aufbaut. Zentrale Bedeutung kommt dem Nichts als ontologisches Kriterium des Für-sich zu. Denn das Nichts macht gerade die ständige Möglichkeit des Menschen aus, sich von den Gegebenheiten durch einen nichtenden Abstand zu lösen. Gezeigt werden soll, dass gerade diese ständige Möglichkeit der Loslösung von den Kausalreihen − Sartre spricht auch von einem nichtenden Bruch mit der Welt − eins ist mit der Freiheit.
Das dritte Kapitel widmet sich dem Handeln als einer der Hauptkategorien der menschlichen Realität. Hier wird die Frage aufgeworfen, inwiefern davon gesprochen werden kann, dass der Mensch frei und damit selbstverantwortlich handelt. Besonderes Augenmerk wird hierbei auf die Bedeutung des durch die Nichtung realisierten Mangels gerichtet, der durch das Handeln des Menschen überwunden werden soll. Denn die Freiheit offenbart sich gerade in der permanenten Möglichkeit, eine bestimmte Situation durch Losreißen und Überschreiten des Gegebenen als mangelhaft zu erfahren.
Ausgehend von der Freiheit als der ersten Bedingung des Handelns sollen schließlich Begriffe wie Antrieb, Motiv und Zweck aufgegriffen und in ihrer Bedeutung für den Sartre´schen Handlungsbegriff dargestellt werden.
Das vierte Kapitel greift die von Sartre so benannte „Rückseite“ der Freiheit auf, also den Zusammenhang von Freiheit und Faktizität. Für Sartre stehen Freiheit und Faktizität, also das Verhältnis zwischen autonomem Handeln und dem Widerstand der Dinge, in einem engen Zusammenhang. Dabei zeigt sich, dass dem Faktum der Existenz des Anderen eine besondere Bedeutung unter dem Gegebenen zukommt. Sartre geht auch bei der Frage nach dem Anderen vom Cogito aus und versucht zu zeigen, dass es auch in der Auseinandersetzung mit dem Anderen um eine Seinsverbindung geht. Dabei offenbart sich auch hier die Freiheit in der Möglichkeit der Negation, die in der Auseinandersetzung mit dem Anderen eine wechselseitige interne Negation ist. Die Auffassung Sartres, die grundlegende Beziehung zum Anderen sei der Konflikt, spielt gerade im Zusammenhang der Frage nach der Möglichkeit einer Ethik eine besondere Rolle.
Im letzten Kapitel geht es dann schließlich um die Frage nach der Vereinbarkeit von Ethik und Ontologie. Dabei wird sich herausstellen, dass bei Sartre, anders als bei Kant, der über die Bestimmung des Menschen als vernünftiges Wesen zu einem allgemeinen Sittengesetz kommt, die Freiheit völlig unbestimmt bleibt. Das Fehlen jeglicher inhaltlicher Bestimmung der Freiheit führt zu besonderen Schwierigkeiten, wenn es um die Frage der Möglichkeit einer Ethik geht. Es soll herausgearbeitet werden, in welchem Sinne Begriffe wie „Wert“ oder „Verantwortung“, die sich in Sartres Werk finden, zu verstehen sind. Besonderes Augenmerk kommt dem Vortrag Der Existentialismus ist ein Humanismus5 zu, in dem Sartre seine Vorstellungen zur Ethik konkretisiert. Abschließend wird ein Ausblick über die moralphilosophische Entwicklung Sartres gegeben. 5 In: Philosophische Schriften 1, Band 4. (Im Folgenden abgekürzt mit „EH“.)
Nicht auf meinem Mist gewachsen.
1984