Wieso tun Menschen das ?
11.04.2006 um 00:41
Hab endlich was dazu gefunden :
Die Haken stecken in Rücken, Brust und Zunge,auf den Schultern ruhen 60 Kilo Stahl, Pfauenfedern und Blumen - um Lord Murugas Gunst zugewinnen, ist voller Körpereinsatz gefragt. Das Thaipusam-Fest in Singapur gilt als dasgrößte hinduistische Fest außerhalb des indischen Subkontinents.
Singapur - Wenndie kleinen Metallhaken und Spieße in seine Brust eindringen, holt Prakash zischend Luft.Irgendwie bewältigt er die Schmerzen, er stiert und wirkt nach innen gekehrt. SechsWochen lang hat sich der 24-jährige Hindu auf das Thaipusam-Fest vorbereitet. Er hat aufSex, Alkohol, Zigaretten und Fleisch verzichtet und nur einmal am Tag gegessen. Und wieHunderte andere ist Prakash an diesem Morgen in den Tempel Sri Srinivasa Perumal imindischen Viertel von Singapur gekommen, um sein Gelöbnis zu erfüllen.
Er isthier, um Lord Muruga - Sohn der hinduistischen Obergötter Shiva und Parvathi,sechsgesichtige Gottheit des Heldenmutes und gnädiger Erfüller von Wünschen - seineDankbarkeit zu zeigen: "Ich wollte studieren und einen guten Job. Alles hat geklappt",erklärt er auf Singlish - der typisch Singapurer Mischung aus Englisch und Malaiisch. MitGebeten und Geschenken - Honig, Milch und Blumen - ist es aber nicht getan: Um MurugasGunst zu gewinnen, ist nach Ansicht vieler Hindus voller Körpereinsatz gefragt. "Das istdas Höchste, was man Gott geben kann: den Schmerz", sagt Prakash. "So haben es uns dieEltern beigebracht. Das ist Tradition."
Universelles Fest, um Danke zu sagen
Wenn im Monat Thai, dem zehnten des hinduistischen Kalenders, der Stern Pusam amHimmel steht und Vollmond ist, feiern Millionen Tamilisch sprechende Hindus in Südindienund Sri Lanka Thaipusam, im Jahr 2005 am 25. Januar. Nirgendwo wird dieses religiöseVolksfest, dessen Ursprünge rund 2000 Jahre zurückliegen, so spektakulär gefeiert wie beiden Exil-Indern in Malaysia und im Stadtstaat Singapur, wo es als das größtehinduistische Fest außerhalb des indischen Subkontinents gilt.
"Thaipusam isthier zu einem universellen Fest geworden, um Danke zu sagen", erklärt Uma Rajan, Ärztinund engagiertes Mitglied der indischen Gemeinde. Inzwischen beteiligen sich sogarNicht-Hindus - vor allem junge Männer - an den Ritualen.
Im Hinterhof desTempels Sri Srinivasa Perumal bereiten sich unter aufgebauten Zelten die Devotees - diesich Hingebenden - vor. Umringt von Frauen und Kindern stehen die Devotees, die mit ihrennackten Oberkörpern und den weit geschnittenen, meist safrangelben Stoffhosen jedemHollywood-Flaschengeist zur Ehre gereichen, geistesabwesend, aber ansprechbar inmitteneiner lauten, farbenfroh gekleideten Masse.
Lautsprecherdurchsagen mischen sichmit indischer Religionsmusik: Trommeln, Rasseln, Schlangenbeschwörerflöten und Klatschenverquirlen in schnellem Rhythmus zu einer exotischen Symphonie, die die Sinne betört -und den Devotees vielleicht auch die Schmerzen lindert.
Geschmückt mitPfauenfedern, Blumen und Götterbildern
Männer lassen sich von FreundenStahlhaken an Brust und Rücken durch die Haut treiben. Auf manche werden Orangen undZitronen gesteckt, an andere Milch in Tetra-Pak-Tüten gehängt. Die Männer wollen mitihren Gaben von hier über die Seragoon Road und vier weitere Straßen bis zum rund dreiKilometer entfernten Sri-Thendayuthapani-Tempel laufen, denn dort ist Muruga zu Hause,dort befindet sich der ihm gewidmete Schrein.
Einige lassen sich sogarhölzernere Bollerwagen an die Haken in ihrer Haut hängen, um Statuen und Bilderhinduistischer Gottheiten zum Sri-Thendayuthapani-Tempel zu ziehen. Auch Prakash wirdgleich zu seiner rund anderthalbstündigen Leidenstour durch die Stadt aufbrechen: Freundesetzen ihm einen Kavadi - ein bis zu 60 Kilo schweres Metallgestell mit weit ausladenenBögen - auf die Schultern. Sie schnallen es fest und drücken dünne Verstrebungen, die anFahrradspeichen erinnern, in Prakashs Haut.
Die Bögen des Kavadi sind mitPfauenfedern, Blumen und Götterbildern geschmückt. Schließlich werden ihm durch Wangen,Lippen und Zunge schmale Spieße gesteckt - waagerecht und senkrecht, so dass sie sich imMund kreuzen. Blut fließt dabei seltsamerweise kaum. Dann begibt sich Prakash mitlangsamen, wackeligen Schritten auf die Strecke, die wie bei einem Stadtmarathon mitrot-weißen Plastikbändern und Absperrgittern dem Berufsverkehr abgerungen wurde.
Milch für Muruga
Thaipusam ist sicherlich der spektakuläre Höhepunkt desFeiertagskalenders in Singapur. Doch in einem Vielvölkerstaat, in dem noch vor Indernhauptsächlich Malaien und Chinesen leben, die sich als Moslems, Buddhisten, Hindus oderChristen zudem noch an eigenen Kalendern orientieren, ist es nur ein Fest unter vielen.
Der Reigen der jährlichen Feiertage beginnt mit Neujahr, von dem es auch einechinesische und eine hinduistische Variante im Februar und im April/Mai gibt. Es folgenFeste wie das chinesische Mondkuchen-Festival, der buddhistische Geburtstag desAffengottes Hanuman oder auch Ramadan und sogar Weihnachten.
Vor den Treppen zumSri-Thendayuthapani-Tempel - dem Ziel der Prozession - stauen sich die Läufer. Manchemist jetzt die Last der schweren Kavadis deutlich anzusehen. Begleiter träufeln Wasser indie mit gekreuzten Spießen verschlossenen Münder. Andere wirken fit: Im Tempel drehen siePirouetten und tanzen zur Musik. Die an Gelenken befestigten Pfauenfedern wippen im Takt.
Die mitgebrachten Milchtüten werden im Tempel Helfern übergeben, die sie öffnenund in einen großen Trichter schütten. Von dort läuft die weiße Flüssigkeit - ein Symbolfür Reinheit - in den Schrein Murugas. Aus einem kleinen Rohr hinter dem Schrein fließtder Milchstrom wieder heraus, um dann in einem Gully zu versickern.