Astronomen/Kosmologen auf falschem Pfad?
15.09.2009 um 08:52
Die Geometrie, mit der wir gemeinhin in der Schule gequält wurden, ist
die Euklidische Geometrie. Physikalisch gesehen, ist die Annahme, der
physikalische Raum sei mit Hilfe der euklidischen Geometrie
beschreibbar, ein Postulat, das wie alle Postulate der experimentellen
Überprüfung zu unterwerfen ist.
Meines Wissens nach hatte diese bahnbrechende Idee als erstes Gauß,
nachdem er die nichteuklidischen Geometrien entdeckt hatte. Er
versuchte nämlich das sog. Parallelenaxiomproblem zu lösen. Im Rahmen
der Euklidischen Geometrie gibt es ja dieses Parallelenaxiom, demnach
zu einer jeden Geraden und einem nicht auf ihr gelegenen Punkt genau
eine weitere Gerade gibt, die die erstgenannte Gerade nirgends
schneidet. Während alle anderen Axiome der Euklidischen Geometrie
irgendwie plausibel oder anschaulich erschienen, ist dieses Axiom
prinzipiell nicht anschaulich, denn man kann ja niemals vollständige
unendlich ausgedehnte Geraden "sehen". Deshalb suchte man Jahrtausende
lang das Parallelenaxiom aus den übrigen Axiomen zu beweisen.
Gauß' geniale Idee war nun, nicht das Parallelenaxiom zu beweisen,
sondern zu zeigen, daß es von den übrigen Axiomen unabhängig ist. Die
Idee war weiter, eine Geometrie zu konstruieren, in der alle Axiome der
Euklidischen Geometrie bis auf das Parallelenaxiom gelten, und das
gelang Gauß. Er hielt aber diese Erkenntnis, also der Nachweis, daß es
nichteuklidische Geometrien gibt, für so schockierend, daß er diese
Entdeckung für sich behielt und erst später Lobatchevskij et al von
neuem auf denselben Gedanken kommen mußten.
Allerdings war Gauß auch Physiker genug, sich zu fragen, ob die
Geometrie des physikalischen Raumes Euklidisch sei oder nicht, und er
nahm eine Triangulation dreier Berge vor (einer soll der Legende nach
der Brocken gewesen sein), konnte aber im Rahmen der Meßgenauigkeit
keine Abweichung von der Euklidischen Geometrie feststellen.
Nachdem Einstein im Jahre 1905 die Spezielle Relativitätstheorie
endgültig formuliert hatte, wurde sie von Minkowski (1909) mathematisch
wesentlich geklärt. Er stellte fest, daß man Einsteins Theorie am
einfachsten darstellen kann, indem man die Raumzeit als einen sog.
(nach ihm benannten) Minkowskiraum auffaßt, also ein vierdimensionales
Kontinuum mit einer indefiniten Pseudometrik (statt einer definiten
Metrik wie in der euklidischen Geometrie).
Diese Vorarbeit nutzend kam Einstein schließlich 1916 auf die endgültige
Formulierung der Allgemeinen Relativitätstheorie (ART), die wiederum
eine Verallgemeinerung des Minkowskiraumes für die Raumzeit benutzt,
ein sog. pseudo-Riemannsches Kontinuum.
Die Frage, welche Geometrie der Raum hat, muß nun damit anfangen zu
definieren, was eigentlich der Raum und was eigentlich die Zeit sind,
und das ist eine "Aufteilung" der Raumzeit, die vom Beobachter abhängt.
Betrachtet man nun die Raumzeit unseres Universums im Großen, hat sich
herausgestellt, daß man eine Klasse ausgezeichneter Beobachter, die
sog. fundamentalen Beobachter (fundamental observers) definieren kann.
Physikalisch gesehen sind das einfach Beobachter, die relativ zur
kosmologischen Mikrowellen-Hintergrundstrahlung (CMBR) ruhen. Die CMBR
ist ja ein Relikt des Urknalls und einfach ein equilibriertes
Photonengas bei T=2.7K (mit winzigen Fluktuationen \delta T/T=10^-5,
deren Winkelverteilung eine der wichtigsten Erkenntnisquellen über das
Universum als Ganzes überhaupt sind). Bis auf diese winzigen
Fluktuationen kann man das Universum relativ zu einem solchen
fundamentalen Beobachter als homogen ("es sieht überall gleich aus")
und isotrop ("es sieht in jeder Richtung gleich aus") betrachten.
Jetzt kann man wieder zur Mathematik zurückkehren und fragen, welche
Raumzeiten mit diesen Eigenschaften im Sinne der ART existieren. Man
gelangt dann zu den sog. Robertson-Walker-Friedmann-Lemaitre-Lösungen
der ART.
Für einen fundamentalen Beobachter ist dann der Raum durch ein
dreidimensionales Kontinuum gegeben, welches im Prinzip nur noch drei
verschiedene Geometrien, nämlich sphärisch, flach oder hyperbolisch,
zuläßt, denn das sind die allgemeinsten isotropen, homogenen
dreidimensionalen Geometrien. Der Abstand zweier relativ zum
fundamentalen Beobachter ruhenden Punkte ist allerdings i.a.
zeitabhängig. Der Abstand ändert sich mit einem sog. Skalenfaktor a(t),
und wie er sich genau ändert hängt vom Materiegehalt des Universums ab.
Es ist nicht einfach, diesen Skalenfaktor a(t) zu bestimmen. Eine
Möglichkeit ist die Rotverschiebungs-Entfernungsbestimmung
(Hubblediagramm) entfernter Sterne bzw. Galaxien. Das Licht entfernter
Galaxien bewegt sich ja durch den sich mit dem Skalenfaktor a(t)
ändernden Raum, und seine Wellenlänge wird auf dem Weg zu uns
entsprechend diesem Skalenfaktor gestaucht oder gestreckt. Unser
Universum dehnt sich aus, daß a(t) wächst an, so daß die Wellenlänge
größer wird, was sich aus einer Verschiebung des Sternenlichts zu roten
Wellenlängen hin äußert. Das ist die besagte Rotverschiebung.
Die Vermessung der CMBR-Schwankungen (u.a. mit den Satteliten COBE und
WMAP) zusammen mit dem Hubblediagramm (u.a. mit dem Hubble
Weltraumteleskop) hat nun ein erstaunlich präzises Modell des
Universums ergeben. Z.B. ist es ca. 14Mrd. Jahre alt, und man weiß, daß
es flach (relativ zu fundamentalen Beobachtern) ist und sich
beschleunigt ausdehnt, d.h. die Beschleunigung des Skalenfaktors ist
positiv.