Ulla Jelpke (Ossietzky)
Der schwarz-rote Überwachungsstaat
Was linken Journalisten schon x-mal widerfahren war, traf im Spätsommer 2005 dieZeitschrift Cicero: Mit fadenscheiniger Begründung ließ die Potsdamer Staatsanwaltschaftdie Redaktionsräume und
die Privatwohnung des Autors Bruno Schirra durchsuchen.Angeblich sollten Rückschlüsse auf »undichte Stellen« im Bundeskriminalamt gezogenwerden. Dazu fand man nichts, dennoch wurden zig Ordner mit Material »sichergestellt«,das Schirra zu anderen Themen, beispielsweise dem Parteispendenskandal, recherchierthatte. Die Ermächtigung zur Strafverfolgung hatte zuvor das Bundesinnenministerium OttoSchilys (SPD) erteilt.
Daß diesmal ein konservatives Magazin betroffen war, führte zueiner stärkeren öffentlichen Wahrnehmung der seit langem feststellbaren Repressionengegen die Presse. Die neuesten Nachrichten über Observationen von Focus- undSpiegel-Journalisten in den Neunziger Jahren durch den Bundesnachrichtendienst bestätigendie Einschätzung, daß sich die BRD längst auf dem Weg in den Überwachungsstaat befindet.
Wortwörtlich diese Bewertung gab dieser Tage der ehemalige Innenminister GerhartRudolf Baum (FDP) ab, der wegen seiner kritisch-bürgerrechtlichen Haltung zeitweilig inder eigenen Partei nicht gut gelitten war. Die Serie von Sicherheitsgesetzen, die seitder Bedrohung durch die Terrorgruppe RAF in den siebziger Jahren bis heute erlassenworden seien, gehe weit über das Notwendige hinaus, sagte Baum bei einem Symposium in derEvangelischen Akademie Berlin. Er beobachte, daß dem Sicherheitsbegriff absolute Geltungeingeräumt werde. Die Politik müsse aber den Bürgern klar machen, dass es absoluteSicherheit ohnehin nicht gebe. Durch den Kampf gegen den Terrorismus seien dieMenschenrechte in die Defensive geraten, rügte Baum.
Ähnlich argumentierte auf diesemSymposium Wolfgang Grenz von Amnesty International. Er stellte fest, daß Menschenrechteunter dem Vorwand der Sicherheit erheblich beschnitten würden. Eine vernünftigeSicherheitspolitik müsse sich aber auf die Menschenrechten gründen.
Wer imKoalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD eine Auseinandersetzung mit dieser prinzipiellenKritik sucht, wird in dem 143 Seiten starken Geheft nicht fündig. Die öffentliche Debatteüber die Grenzüberschreitungen des Präventionsstaats Schilyscher Prägung, der bereits zumÜberwachungsstaat mutiert ist, läßt die schwarz-roten Koalitionäre kalt. Zugegeben: DieseDebatte wird in der BRD viel zu leise geführt. Die Bürger haben sich offenbar an dieBehauptung der rot-grünen Vorgängerregierung gewöhnt, es gebe ein »Grundrecht aufSicherheit«, dem sich alles andere unterzuordnen habe. Sonst könnte am Beginn desinnenpolitischen Teils der schwarz-roten Koalitionsvereinbarung nicht der ungeheuerlicheSatz stehen: »Freiheit und Sicherheit müssen immer wieder neu – je nach den sichändernden äußeren Bedingungen – ins Gleichgewicht zueinander gebracht werden.« So könnteauch ein George W. Bush formuliert haben. Wir haben ja erlebt, wie die USA bei sichändernden äußeren Bedingungen (sprich der von Bush behaupteten terroristischen Bedrohung)Freiheit und Sicherheit neu gewichtet haben, beispielsweise in Guantanamo oder AbuGhraib. Schon dieser eine Satz in der Koalitionsvereinbarung verrät, daß wie in denletzten sieben Jahren auch künftig die Freiheitsrechte dem Sicherheitsdenken ge- opfertwerden sollen.
Im Detail langweilt das Kapitel Innenpolitik im Koalitionsvertrag.Denn statt klarer Aussagen finden sich vielfach nur unverbindliche »Prüfaufträge«. Ankeiner Stelle vermittelt die Vereinbarung den Eindruck, hier gehe jemand daran,Grundrechtseinschränkungen der letzten Jahre rückgängig zu machen. Anlaß dazu gäbe esgenug. Wenn sich CDU/CSU und SPD schon über die Kritik von Linken und Liberalen,Journalisten- und Anwaltsverbänden oder Menschenrechtsorganisationen hinwegsetzen, sohätte doch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sie zu einer Kursänderungbewegen müssen. Karlsruhe hat beispielsweise den großen Lauschangriff gekippt undNiedersachsens Polizeigesetz mit der Befugnis zur vorbeugenden Telefonkontrolleaufgehoben. Ein Gesetzgeber, der das höchste deutsche Gericht ernst nähme, müßtedaraufhin alle staatlichen Eingriffsbefugnisse auf den Prüfstand stellen, um demGrundsatz der Verhältnismäßigkeit wieder Geltung zu verschaffen, also Einschränkungen derGrundrechte auf das unabdingbare Minimum zu beschränken.
Doch das Gegenteil zeichnetsich ab. Schwarz-Rot wird die Gesetze weiter verschärfen – und zwar nicht nur symbolischwie im Sexualstrafrecht. Da sollen die Freier von Zwangsprostituierten sich künftigstrafbar machen. Woher aber weiß ein Freier, ob eine Prostituierte, mit der er sicheinläßt, den Beruf freiwillig oder unter Zwang ausübt? Das zu klären, wird den Gerichtenviel Mühe bereiten.
Die geplanten Regelungen zur Unterbindung von Zwangsheiratenwerden vermutlich allgemeinen Beifall finden, denn wer könnte eine Zwangsheirat gutheißen (wenngleich auch hierzulande noch manche Heirat mit mehr oder weniger Nachdruckarrangiert wird). Zu befürchten ist, daß eine solche Strafvorschrift instrumentalisiertwird, um Bevölkerungsteile mit Migrationshintergrund als rückschrittlich zu diffamieren,während es darauf ankäme, sich endlich zu einer wirksamen Integrationspolitik zuentschließen.
Die Migrationspolitik wird mit inhaltsleeren Bekenntnissen zurIntegration bezeichnenderweise im Kapitel Sicherheitspolitik abgehandelt. DasZuwanderungsgesetz soll zwar evaluiert werden. Daß ausgerechnet die Befürworter diesesAbschottungsgesetzes es ins Humane wenden werden, glaubt aber im Ernst niemand.
GroßeGefahren ziehen im Strafvollzug auf. Die Zuständigkeit hierfür geht auf die Bundesländerüber. Fachleute warnen schon vor einem »Wettlauf der Schäbigkeit«. Das Ziel derResozialisierung wird in vielen Ländern angesichts leerer Kassen, aber auch ideologischenGründen gänzlich aufgegeben werden, der »Verwahrvollzug« aus der Zeit vor derStrafvollzugsreform in der Siebziger Jahren wird wieder zur Regel werden. Zur Abkehr vomResozialisierungsauftrag paßt die Absicht, Jugendliche in Sicherungsverwahrung zu nehmen.
Notwendig wären Schritte zu einer Eindämmung der etwa 30 000 Telefonüberwachungen,die jährlich nach dem Strafprozeßrecht angeordnet werden. Die Koalitionsvereinbarungenthält nur einen vagen Prüfungsauftrag. Noch schlimmer: Der Europäische Haftbefehl,soeben vom Bundesverfassungsgericht in Bausch und Bogen abgelehnt, soll sofort ininnerstaatliches Recht umgesetzt werden. Evaluiert wird die Praxis der akustischenWohnraumüberwachung (großer Lauschangriff), doch niemand sollte sich der Illusionhingeben, daß die gerade im Mai 2005 beschlossene Neuregelung rückgängig gemacht wird.Die verabredete Evaluierung der Vorschriften über die DNA-Analysen hat offenkundig denSinn, eine Ausweitung vorzubereiten, damit im Sinne der CDU/CSU der genetischeFingerabdruck als »Standardmaßnahme« eingeführt werden kann.
Der Datenschutz wird als»Hindernis effektiver Terrorismusbekämpfung« bewertet. Daß er ein immer wichtigerwerdendes Grundrecht ist – 1982 vom Bundesverfassungsgericht im Volkszählungsurteil ausdem Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit entwickelt –, wird nicht einmalerwähnt.
Für den Fall, daß das Bundesverfassungsgericht in seinem für März 2006 zuerwartenden Urteil über das Luftsicherheitsgesetz (Abschuß von Passagierflugzeugen)solche Bundeswehreinsätze im Innern zuläßt, hält sich die große Koalition die Möglichkeitoffen, dem Militär noch mehr Kompetenzen im Innern zu geben.
Der schwarz-rote Staatwird nicht liberaler, nicht sozialer, aber er möchte sehr stark werden.
HeftOssietzky 24/05
http://www.linksnet.de/artikel.php?id=2068 (Archiv-Version vom 18.02.2006)