@wuec
RoseHunter schrieb:
Meine Privatdeutung geht in die Richtung, dass der überall aufkommende Fundamentalismus nur eine Gegenbewegung einer an sich ideologiearmen, überpragmatischen und damit vor allem auch sehr unverbindlichen und orientierungslosen Zeit ist.
Und gleichzeitig zweifelst du an den Beweggründen von Cabu & Co. Sie haben sich doch wie nur wenige andere aufgelehnt.
Ich zweifle nicht groß, ich weiß es nicht.
Bis vor einigen Tagen kannte ich das Blatt einfach nicht.
Es gibt noch andere Motive, die Leute scheinbar auf der guten Seite stehen lässt, aber darüber würde ich erst urteilen, wenn ich die Leute kenne und das ist nicht der Fall.
wuec schrieb:Sie fochten für ihre Werte, die mit unseren in großen Teilen deckungsgleich sind, gingen dabei einigen oftmals zu weit, wodurch sie ziemlich allein blieben - heute "ist man Charlie". Das mutet wie ein morbider Totenkult an.
Brrr, da gruselt´s mich.
So richtig viel kann ich solchen Solidaritätsbekundungen post mortem auch nicht abgewinnen.
Wenn wir nun einerseits beklagen, dass sich "die meisten"
RoseHunter schrieb:
kampf- und klaglos
ergeben, gleichzeitig jene die sich auflehnen als Grund für eine Gegenbewegung sehen - dann sind uns just in diesem Moment die Mittel ausgegangen. Dann können wir den Laden dicht machen.
Nein.
Es gibt doch zig Arten zu kämpfen. Direkte, indirekte, subversive, durch Stärkung bestimmter Formen der Gesellschaft. Satire ist doch nicht das einzige Mittel.
wuec schrieb:Zudem sehe ich das Ganze etwas anders.
Wo ist denn die provozierte Reaktion (also "nur Gegenbewegung) bei der ETA? Terroristen wollen ihren Quadratschädel durchsetzen und ihr Mittel ist der Terror.
NSU - eine Gegenbewegung? ISIS - eine Gegenbewegung?
Oh nein. Es ist ein Fehler bei bekennenden Irrationalisten nach rationalen Motiven zu suchen.
Die Motive sind gar nicht gänzlich irrational, die Rationalität der Fundamentalisten ist nur eine zirkelschlüssige. Darauf kann man unablässig hinweisen, es muss nicht der Metzger bei REWE begreifen, aber wenn es genug kulturell Kreative begreifen, dann ist das was.
wuec schrieb:Hör dir das Telefonat des einen Geiselnehmers (Paris) an. Er hätte keine Zivilisten ermordet, meint er. So was täte nur der böse Westen.
Er deklariert seine Opfer zum Nicht-Zivilisten, denn Soldaten darf man ja im Krieg töten. (es gab mal eine Zeit in Deutschland, da hat man ganz bestimmten Menschen das Menschsein abgesprochen um die "Weiterbehandlung" damit zu legitimieren. Niemand der bei Trost ist, würde sagen, dass das nur eine Reaktion gewesen sei, ich denke da sind wir uns einig)
Damit hast du zwei Motive von Terroristen, Extremisten und Fundamentalisten mMn richtig benannt:
1) Sie werten sich selbst auf und wollen auf der Seite der "Guten" sein.
2) Sie entwerten andere, die sie zu Untermenschen, Tieren ... herabwürdigen.
wuec schrieb:Die erfassen ihre Taten doch gar nicht mehr. Die haben doch jedweden Bezug zur Realität verloren.
Nein, eben nicht. Gewiss, ihre Logik hat teilweise paranoide Züge, aber psychotisch ist da wenig. Sie haben bestimmte Abwehrkonzepte - sie alle haben sie und sie haben strukturell immer die gleichen. Petitio principii (in der Sprache der Logik/Philosophie) und Paranoia (in der Sprache der Psychologie). Erkennen, benennen, erklären, öffentlich machen.
Immer und immer wieder. Bis es nervt, bis man es rückwärts beten kann, bis es sozusagen zum Mem mit Eigenleben wird.
wuec schrieb:Und solchen willst du unterstellen, ihre Taten wären nur eine (determinierte) Reaktion? Damit stellt du die auf ein Podest, auf dem sie nichts verloren haben.
Nein, tue ich eigentlich nie.
Ich empfinde eine tiefe Verachtung für die Niederungen der Hirnforschung und ihren Vulgärdeterminismus.
wuec schrieb:Das Stichwort Religion greife ich mal nicht auf(*). Da drin sollten wir uns nicht zu tief verstricken, denn das hat noch mal eine besondere Note und Tiefe.
Wie du magst.
wuec schrieb:Nichtreligiös motivierten Massenmördern und Serientätern diagnostiziert man wahnhafte Psychosen (ugs: die sind krank!)
Reliös motivierten diagnostiziert man religiöse Verwirrung/Verblendung?
Stimmt in den meisten Fällen nicht, das mit den Psychosen.
wuec schrieb:Deshalb ist die Phrase "das waren keine echten Moslems" reinste Dummbeutelei. Das waren Moslems, immerhin genügt es ja, dass die es selbst dachten. Der entscheidende Punkt aber ist, dass es sich um irre Moslems handelte.
Wie wird schon feststellten ist der Extremismus das Problem.
RoseHunter schrieb:
Wenn du mich fragst, sind da etliche Züge bereits abgefahren.
Woraus aber nicht zwingend folgt, dass wir weitere Züge fahren lassen sollten. Ziemlich am Anfang unserer Diskussion hatten wir Konsens dahingehend, dass man Probleme erkennen, isolieren und abstellen sollte. Hier ist das doch nicht anders. Fehler aus der Vergangenheit müssen revidiert werden, soweit möglich. Die Daseinsberechtigung von Fehlern liegt im Lerneffekt, nicht im verschließen der Augen.
Im Grunde ja.
Wie gesagt die Mixtur aus entwicklungspsychologischen Faktoren (zu viele Menschen, auch bei uns, die es nur bis zur Ebene konventioneller Moral geschafft haben, sowie eine starke Zunahme schwerer Persönlichkeitsstörungen), massenpsychologischen Effekten (hier sind Regressionen auf eine Ebene der schwarz/weiß, Freund/Feind Moral zu nennen), der wirtschaftlichen Entwicklung und der gefühlten Ungerechtigkeit in der Verteilung Finanzen und des Eigentums zwischen Arm und Reich, sind Faktoren, die wenig rosig sind.
Die demographsichen Daten sind durchwachsen, einerseits durch das genau Gegenteil eines youth bulge in Europa sedierend (in der muslimischen Welt sieht das mitunter völlig anders aus), andererseits durch einen Wegfall an Vitalität wird Europa schnell bedeutungsloser werden. Dass Europa und die Demokratie nicht zum Vorbild für die Welt geschafft hat, ist eine der Kränkungen die wir konfrontieren müssen.
Positiv ist mMn, dass wir nicht Massen "umdrehen" müssen, sondern, dass es helfen kann, an bestimmten exponierten Orten eine Bewusstseinsentwicklung zu forcieren. Modelle, wie das gehen könnte, gibt es, Menschen, die sich dafür einsetzen, auch.