Also ich kann nur von eigenen Erfahrungen berichten:
Wenigstens die eine Sache haben sie in der Schule ganz gelassen, sie haben mich nicht umtrainiert. Eins der großen Probleme beim Umtrainieren ist die Tatsache, daß man für etwas gerügt oder gar bestraft wird, das sich ganz natürlich anfühlt. Hatte ich nicht, brauch ich auch ehrlich nicht noch dazu.
Ich habe unter dem Schulzwang, der Inhaftierung mit kleinen Sadisten, genug gelitten. Die Vorstellung, daß mit 6 Jahren mein Innerstes dann auch noch falsch gemacht worden wäre, die ist beängstigend.
Die ganzen linkshänderfreundlichen Gimmicks interessieren mich nicht, haben mich nie interessiert, brauche ich nicht. Da klemme ich die Schere halt ein bißchen und es tut ein bißchen weh, mache ich ja nicht 10 Stunden am Tag. Die Uhr ist trotzdem links und die Gitarre wird/wurde halt mit der falschen Hand gepickt. Wahrscheinlich hat es meinen Lösungsfindemuskel trainiert.
Aber: Ich bin ein ziemlich extremer Linkshänder gewesen. Ich konnte damals immer nur entweder essen oder trinken. Ich hatte Talent zum Zeichnen, für Musik, für Mathematik, für technisches (Lego)
Das Schreiben ist natürlich schwieriger. man muß die ganze Zeit drücken anstatt zu ziehen. Man sieht das geschriebene nicht so einfach, weil es unter der Hand oder dem Stift verschwimmt. Man lernt mit Füller (was wäre am guten 2B von Faber eigentlich falsch gewesen?) und verschmiert viel leichter, weil die Tinte keine Zeit zum Trocknen hat..
Ich weiß nicht, ob es vielen Linkshändern so geht, aber das ganzheitliche Denken bestimmt mich. Ich habe Abgrenzungen und Schubladen längst nicht so gern wie jeder, den ich kenne. Wo andere bei Menschen sofort denken: "nicht ich" da denke ich "auch ich". Für mich ist die Dominanz der rechten Gehirnhälfte eine komplett andere Wahrnehmung oder Gewichtung. Alles hat mit allem zu tun. Und jeder ist wichtig.
Das Zeichentalent ist deshalb so ausgeprägt, weil man zum räumlichen Zeichnen nun mal die rechte Gehirnhälfte nutzen muß. Ansonsten läuft alles schief. Die rechte sieht die Dinge vorurteilsfrei und muß sie nicht in Schächtelchen und Abstrakta einordnen. Dann ist ein Würfel eben ein Würfel, auch wenn er Dank Perspektive keine rechten Winkel und keine gleich großen Seiten hat. Sondern nur drei geschickt schiefe Vierecke.
Buchtip zum Zeichnen, der beste, den ich kenne: Betty Edwards, "Drawing on the right side of the brain". Auf Deutsch trägt es den beknackten Titel: "Garantiert Zeichnen lernen". Es enthält Übungen für den Rechtshänder, die die linke Hälfte so langweilen, daß die richtige Hälfte übernimmt. Zum Beispiel Zwischenräume zeichnen. Sehr lesenswert.
Ein anderer Tip, der klar macht, wie sehr sich meine Wahrnehmung von den anderen 90% unterscheidet:
https://www.ted.com/talks/jill_bolte_taylor_s_powerful_stroke_of_insight?language=deStroke of insight. Eine Gehirnforscherin erlebt den Wegfall ihrer linken Gehirnhälfte. Den Zustand beschreibt sie als Nirvana. Der Wegfall aller Grenzen, alles ist eins. Der Himmel auf Erden.
Für mich ist das Leben unter Abgrenzern die Hölle. Rechtshänderscheren kann ich ab, Rechtshänderdenken nicht.
Also ja, Umerziehen kann massiv schädigen. Auf der ersten Seite steht ja ein langes Interview.