Tiergarten schrieb:Und ich hatte immer gedacht, in solchen Schlussbeiträgen bringt man etwas total auf den Punkt, statt bloß mit dem Zaunpfahl zu winken.
Tiergarten schrieb:Es ging um die Verteidigung insgesamt.
Und da finde ich schon, dass es eine unvertretbare Diskrepanz gab zwischen dem, was die Anwälte von Sebastian T. in den Mittelpunkt der Beweisaufnahme rückten (die Unfalltheorie), und dem, was davon in ihren Plädoyers übrig blieb.
Ich finde, eine Thematik, die zentralen Raum im Prozess einnahm, muss ihren Niederschlag auch in den abschließenden Statements finden - zumindest in Kurzform. So jedenfalls entstand aus meiner Sicht der Eindruck, dass für die Verteidigung das Unfallthema zu einer inhaltlich völlig belanglosen Randerscheinung mutiert war. Und das wirft die Frage auf, aus welchen Motiven das geschah.
fassbinder1925 schrieb:Aber ich finde die Verteidigung kann es dann auch schwammiger aussprechen. Zumal es wie gesagt klar war, auf was Rick hinauswollte. Sie haben es sich halt so aufgeteilt. Baumgärtl spricht über Verena und Frank über Lea und Adrian M. Das waren ja auch die Säulen des Staatsanwalts.
Wüsste jetzt nicht, dass man gesetzlich oder moralisch verpflichtet wäre, eine Sache zu behandeln, wo man weiß, dass die ohnehin keinen Anklang finden würde. Noch dazu wenn man eben wieder niedergemacht wurde, dass man von dieser Taktik nicht ablässt. Insofern fand ich das eigentlich legitim wie es gemacht wurde, es kam alles irgendwie dran.
Na ja, der interessierte Jurastudent und vor allem die engagierte Rechtsreferendarin nach bestandenem 1. Examen lernt irgendwann einmal, worum es bei einem Schlussplädoyer geht: es ist die letzte Gelegenheit für den jeweiligen Anwalt, das Gericht "mitzunehmen" bei der Bewertung der im Prozess erhobenen Beweise, mitzunehmen auf seine/ihre Theorie des Gesamtfalls. Idealerweise sollen die Richter innerlich bei jedem Wort des Anwalts zustimmend nicken und denken: "genau so ist es!"
Was uns Anwälten von Vorbildern immer wieder eingeschärft wird ist: so früh wie möglich soll man sich eine Theorie der Sache zu eigen machen und immer wieder üben, diese stringent darzulegen und zu vertreten. Die Beweise, welche die eigene Theorie bekräftigen hervorheben und das alles logisch und möglichst koherent und auch spannend im Schlussplädoyer noch einmal darstellen. Und das Schlimmste ist, neben eindeutigen Falschaussagen, die Richter zu langweilen. Wenn diese mitten in deinem Plädoyer denken "jadda jadda jadda, was hab ich denn heute eigentlich noch so vor...?" - dann hast du verloren.
Da ist es dann folgerichtig, Dinge, die nicht dazu dienen, die eigene Theorie zu untermauern entweder gar nicht zu behandeln, oder so darzustellen, dass dem Gericht möglichst einsichtig wird, dass diese Dinge entweder falsch sind oder irrelevant.
Insofern scheint mir hier schon richtig gewesen zu sein, dass die Verteidigung die m.E. abgehakte Unfalltheorie nicht mehr besonders angesprochen hat. Es ist nicht hilfreich dem Gericht trotzig ein "Eure Gutachter liegen alle falsch, ich weiss es besser..." hinzuwerfen. Wenn das Verfahren deutlich macht, dass hier kein Unfall sondern ein Verbrechen vorliegt, dann muss ich als Verteidiger mich auf diesen Punkt konzentrieren: "Verbechen, ja, aber mein Mandant ist nicht der Täter - bzw. die Anklage hat keinerlei überzeugenden Beweis erbracht, dass mein Mandant der Täter ist."
Ich habe z.B. vergangene Woche ein ähnliches Problem gehabt: mein Mandant hat in der polizeilichen Vernehmung Aussagen gemacht, die ihn sehr belasten. Er wollte, dass ich das alles irgendwie anders darstellen soll, als hätten die Beamten jedes seiner Worte falsch interpretiert, verdreht usw. Mir ist aber klar, dass ich damit keinen Blumentopf gewinnen kann. Ich habe das im Plädoyer überhaupt nicht angesprochen, sondern ganz auf die Zeugen gesetzt, die eben sehr entlastende Angaben machen. Usw.
Die Plädoyers von allen Beteiligten in Hannas Prozess waren m.E. nun keine exzellenten Plädoyers, die man eines Tages in einem Lehrbuch lesen wird. Aber, wie gesagt, es war folgerichtig von der Verteidigung, Theorien nicht zu verfolgen, wo abzusehen ist, dass das Gericht ihnen nicht folgen wird.
Viel wichtiger ist, die einzelnen Punkte, die für den Mandanten sprechen, klar und besonders deutlich und immer wieder zu betonen. Das war hier aus der Sicht der Verteidigung sicherlich das Problem Verena & Co.
Es gibt da auch kein klares "richtig oder falsch." Im Englischen sagt man: "[Plädieren] is a form of art, not a science. " Eine Kunst, keine Wissenschaft. Schon vor dem Jurastudium begann ich historische Beispiele zu studieren, da ich diese "Kunst" faszinierend fand. M.T. Cicero gilt heute noch unter vielen Juristen als einer der Besten in diesem Fach, und der plädierte immerhin vor über 2000 Jahren im alten Rom. Ein wahrer Künstler der "überzeugenden Sprache." Oder noch heute, ebenso umstritten wie unvergessen, der grosse Johnnie Cochran, der im Prinzip sein ganzes Plädoyer in einen Satz zusammenfasste: "If it doesn't fit you must acquit! (Wenn er nicht passt, müsst ihr ihn freisprechen!)" (Im Prozess gegen O.J. Simpson)
Nächste Woche werden wir wohl erfahren, ob "es passt" oder nicht.