Vielleicht liegt es an meiner Naivität, aber ich kann immer noch nicht verstehen, wie es in einem Mordprozess reichen kann, freie Beweiswürdigung und Gesamtschau hin oder her, einen Tathergang zu rekonstruieren, ohne überhaupt mal die Möglichkeiten genau zu überprüfen.
An Fakten liegen ja nur die Verletzungen, der ungefähre Todeszeitpunkt, die Todesart, die Handydaten, die Video-Aufzeichnungen und die Fundgegenstände vor. Handydaten und Video-Aufzeichnungen wurden ausgewertet und machen einen angenommenen Tathergang möglich.
Bei den übrigen Fakten liegt die Expertise nicht bei den RichterInnen oder bei der Polizei, also braucht es andere wissenschaftliche Displinen.
Mal ganz nüchtern betrachtet. Der festgestellte Todeszeitpunkt liegt noch vor der letzten Videoaufzeichnung, kann also so nicht stimmen. Es gibt dann ein paar Störvariablen die man nicht alle berücksichtigen kann, daraus ergibt sich eine Zeitspanne, in der es zum Tod gekommen sein muss. Die Todesart ist Ertrinken, mit wenig Wasser in der Lunge, weshalb man von einer Bewusstlosigkeit im Vorfeld ausgehen muss. Interessant wäre hierzu die Einschätzung welche ihrer Verletzungen für die Bewusstlosigkeit ausgereicht hätten. Die Verletzungen wurden eingehend in Bezug auf einen Unfall und Treibverletzungen untersucht. Einige wurden als typische Treibverletzungen eingestuft und andere eher einem Angriff zugeordnet. Aber warum nicht näher ausgeführt oder untersucht?
Die Kopfverletzungen waren ähnlich in Art und Kraftauswirkung, aber eine genauere Einschätzung wie diese zustande kamen, fehlt uns. Ab wann war sie bewusstlos, mit welcher Hand wurden welche Schläge beigebracht, hat sie den Kopf gedreht, wie lässt sich der gleichförmige Kraftaufwand erklären etc. Die Aussagen zu den seltenen Schulterdachbrüchen der Rechtsmedizinerin, sie könne sich ein "schwungvolles" Draufknien vorstellen, aber es gäbe keine Studienlage dazu und des Biomechanikers, dass mit dem geeignetem Werkzeug jeder Knochen gebrochen werden kann, sind eher nichtssagend. Wieso war da nicht mehr Aufklärungswille? Mit einem geeigneten SV oder einer tieferen Literaturrecherche, hätte doch mindestens der benötigte Kraftaufwand, wo die Angriffsflächen für diesen Bruch ist, wann dieser Bruch häufig beobachtet wird etc. herausgefunden werden können. ...
Die Analyse der Fundsachen fand fast gar keinen Eingang in den Prozess, aber es wäre doch bestimmt möglich gewesen, einzugrenzen wie weit die jeweils abgetrieben werden hätten können und ob sich da Rückschlüsse ziehen lassen, wann diese sich wahrscheinlich vom Körper getrennt haben etc.
Aus alldem hätte man doch einen sehr wahrscheinlichen Tathergang schließen können, aber doch nicht aus einem Ausschluss von Treibverletzungen. Wenn schon der Staatsanwalt nichts sachlich Begründetes anbringt, wieso fragt denn ein neutrales Gericht nicht genauer nach und gibt sich mit Nichtwissen zufrieden. Bei Autounfällen wird ja auch nachgeschaut, welcher Unfallhergang möglich ist, egal ob die Beteiligten jetzt reden oder nicht.
Natürlich kann es sein, dass in den Akten all diese Fragen beantwortet wurden.
Fridolin31 schrieb:Soweit dies keinen Einfluss auf die angewendeten Normen oder das Vorliegen bestimmter Mordmerkmale hat, wird ST es so hinnehmen müssen (und alle anderen auch). Das passiert eben, wenn man einen Angeklagten trotz seines Schweigens überführen kann.
Demnach wären alle Unschuldigen massiv im Nachteil, weil sie eben nicht erklären können wie und warum eine Tat begangen wurde. Damit das aber eben nicht so ist, darf ein Angeklagter egal ob unschuldig oder nicht Schweigen und Lügen, die Tat muss ihm nachgewiesen werden und nicht er muss seine Unschuld beweisen.
Ich lass mir ja einreden, dass ein Angeklagter Spekulationen zu seinem Motiv über sich ergehen lassen muss, wenn ihm die Tat nachgewiesen wurde. Das würde er auch über sich ergehen lassen müssen, wenn er redet, denn das Gericht muss ihm ja nicht glauben. Auch in einem Fall, in der die Verletzungen nicht mehr nachweisbar waren, kann ich verstehen, dass man auf andere Indizien zurückgreifen muss,
aber prinzipiell sollte ein Tathergang mE schon auf mehr aufbauen, als auf einer angenommenen Theorie, die zumindest für mich nicht mal sehr schlüssig ist.