fassbinder1925 schrieb:Ich denke mehr, als man es sich ursprünglich gewünscht und gedacht hätte.
Ich will es mal so formulieren, die Indizien weisen weit weniger eindeutig und klar auf eine Schuld, als man es sich bei der Staatsanwaltschaft am Beginn vorgestellt hat. Wozu natürlich Verena am meisten beigetragen hat.
Nur wirklich entlastend sehe ich da noch nichts: der Kern ist immer noch der, dass er wohl zur rechten Zeit am rechten Ort gewesen ist und nirgends irgendjemand anders auf den Bildschirm gekommen ist. Dazu noch einige andere unvorteilhafte Indizien bis hin zur Aussage seines Mithäftlings, die man nicht ganz so einfach wegwischen kann, wie manche das hier gerne tun.
Bestenfalls steht es 50:50. Und nun ist die Frage, ob sich das eine Prozent noch findet, das die Waage in die eine oder andere Richtung neigt.
Millennial schrieb:Als ich das gelesen habe, fand ich den Gedanken ganz interessant, dass der Ablehnungsgrund absichtlich gesetzt wurde. Es haben ja schon einige gesagt, dass sie in diesem Fall nicht in der Rolle der Richter sein möchten. Die Indizienlage mag für eine revisionssichere Verurteilung ausreichen. Aber bei vielen bestehen trotzdem Restzweifel, ob der Angeklagte nicht doch unschuldig sein könnte. Könnte sein, dass man sich in solch einem Fall aus der Verantwortung stehlen mag (wenn man sowohl bei Freispruch als auch bei Verurteilung Restzweifel hätte). Klar, im Zweifel sollte man für den Angeklagten entscheiden, aber leicht macht man sich das sicherlich auch nicht.
Nein, das glaube ich auch nicht. Als Richter sollte man schon gewohnt sein, schwierige Fälle professionell zu handhaben. Selbst die Schöffen nehmen ihre Aufgabe in der Regel ernst und suchen nicht einen leichten Ausweg. Wenn man substantielle Zweifel hat, dann bietet die Rechtsordnung ja den richtigen Weg: Freispruch. Und selbst wenn man das Gefühl nicht loswird, dass der Angeklagte vielleicht doch schuldig ist, das hat die Rechtsordnung so vorgesehen und man braucht sich als Richter keinesfalls Vorwürfe machen, wenn man sagt: "sorry, Staatsanwalt, aber ich bin nicht wirklich überzeugt."
Selbst ein Verteidiger kennt ja dieses Gefühl. Und da hilft eben auch, wenn man sich klar macht, dass es nun einmal die Aufgabe der Staatsanwaltschaft ist, die Zweifel zu widerlegen.
Millennial schrieb:Die Richterin wäre in zukünftigen Fällen immer im Verdacht, sich abzusprechen. Eine erneute Verhandlung würde die Kapazität des Gerichts in den nächsten Monaten stark belasten (die bisherigen 31 Prozesstage waren aus Sicht der Kammer ja schon fast zu viel). Der Befangenheitsantrag könnte also die Karriere bremsen.
Auch das würde ich noch nicht überbewerten. Befangenheitsanträge erlebt jeder Richter in seiner Laufbahn, und sollte man in diesem Fall den nicht überstehen, ist damit die Karriere nicht gleich zu Ende. Wie gesagt, das zu beurteilen, dazu wissen wir zu wenige Details. Ich habe schon ganz andere Richter erlebt, die am Ende schön hoch befördert wurden...
:)Man darf ja auch keine unrealistischen Erwartungen haben. Dass bereits während der Verhandlung sich ein bestimmtes Bild im Kopf eines Richters aufbaut ist nicht ungewöhnlich und auch nicht rechtswidrig, so lange man professionell genug ist, dass man anerkennt, das Bild kann sich noch ändern.
Ich versuche mal ein Beispiel: man fährt in den Traumurlaub, 10 Tage sind gebucht und man hat Pech und die ersten vier Tage sind komplett verregnet, das Essen ist schlechter als gedacht und das Hotel auch nicht so, wie man es sich vorgestellt hat. Am Tag vier ist man der Meinung, der Urlaub war ein Griff ins Klo. Aber wenn ab Tag fünf traumhaftes Wetter ist, man Dinge erlebt und sieht, die man gar nicht vorausgesehen hat und wirklich super sind, kann man ohne Probleme am Ende des Urlaubs sagen: es war tatsächlich ein Traumurlaub.
Das ist hier nun die Aufgabe der Verteidigung: es ist normal, dass am Anfang eines Verfahrens die Dinge schlecht für einen Angeklagten aussehen, sonst wäre es nie zur Anklage gekommen. Nun muss man schauen, dass man das Gericht die Sache in einem ganz anderen Licht sehen lässt, und die ersten vier miesen Tage vergessen lässt. Und die Verteidigung hat sich in diesem Verfahren hier auf jeden Fall sehr bemüht, da kann der Angeklagte sich nicht beschweren.
Am Ende müssen die Richter entscheiden. Das ist ihr job und nur ihr job. Und um bei meinem Beispiel zu bleiben, ich sehe noch keinen wirklichen Beweis, dass diese Richterin bereits am Tag vier beschlossen hat, der Urlaub ist nicht mehr zu retten und dass nichts in der Welt sie von dieser Meinung abbringen kann.