Andrea Welsch 1981 auf Ibiza verschwunden
22.09.2018 um 15:17
Vor einiger Zeit habe ich das Buch von Peter H. Jamin gekauft, das er unter Mitarbeit von Kathrin Lenzer 1993 veröffentlicht hat, und möchte die relevanten Abschnitte daraus den bereits am Anfang dieses Themas verlinkten Artikeln hinzufügen, da letztere zwar teilweise Textauszüge daraus enthalten, aber einige Zusammenhänge so noch nicht dargestellt wurden:
Beispiele gibt es viele: Auf Ibiza verschwindet 1981 die damals 20jährige Andrea Welsch aus Coburg – vermutlich von international tätigen Zuhältern und Drogendealern entführt. (Seite 12)
Im August 1991 erhalten Freunde und Bekannte der Familie Welsch aus Süddeutschland eine Din-A4-große Karte. Auf gelblichem Büttenpapier ist ein junges Mädchen abgebildet. Darunter steht in fetter schwarzer Schrift „Andrea Welsch, geboren: 24.10.1959, vermißt: 31.8.1981 auf Ibiza (Spanien)“. Daneben ist ein Text gedruckt: „Wir erinnern an unsere innigstgeliebte Andrea. Seit zehn Jahren gilt Andrea als vermißt – von einem Urlaub nicht mehr zurückgekehrt. Trotz größter Bemühungen konnte ihr Schicksal bis heute nicht aufgeklärt werden. Wir werden nie aufhören, nach Andrea zu suchen und empfehlen sie in der Zwischenzeit der Fürsorge Gottes.“
Wenn es je eine beispielhafte Suche von Angehörigen gegeben hat, dann die nach Andrea Welsch aus Coburg. Sie führt die Familie an den Rand des wirtschaftlichen Ruins und in ein Minenfeld größter Enttäuschungen. Christel Welsch, die heute unter anderem Namen im Süden Deutschlands lebt, ist zu Recht „der Auffassung, selbst alles Menschenmögliche getan zu haben, um das Schicksal meiner Tochter zu erforschen“. Sie recherchiert vor Ort, investiert ihr Vermögen, beschäftigt Rechtsanwälte und Detektive, wandte sich an Politiker wie Bundeskanzler Helmut Kohl oder den spanischen Präsidenten Gonzales. Doch bis heute ist Andrea nicht zurückgekehrt.
Was geschah auf der spanischen Hippy-Flippi-Insel Ibiza? Im August 1981 fliegen Andrea Welsch und eine Freundin zum Urlaub dorthin. Sie quartieren sich in einem Doppelzimmer im Hotel „Florida“, 12 Kilometer außerhalb von Ibiza-Stadt, ein. Am 28. August besuchen die Freundinnen in Begleitung eines Deutschen und eines Österreichers in Hafennähe von Ibiza-Stadt das Restaurant „Marisol“, später wechseln sie gemeinsam ins Restaurant „La Terra“, wo Andrea einen Kakao mit Rum bestellt.
Und dann beginnt das Verhängnis: Gegen Mitternacht wird es Andrea schlecht. Ihr Zustand verschlimmert sich, die 22jährige hat nur noch einen Wunsch, sich hinzulegen. Der Deutsche bietet dem Mädchen an, sich auf seinem Boot „Gitana“, das im Hafen vor Anker liegt, hinzulegen. Andrea willigt ein und bleibt auf dem Schiff, während ihre Freundin mit dem Deutschen in der Nacht noch verschiedene Diskotheken besucht.
Was in der Nacht und dem darauf folgenden Tag passiert, kann bis heute niemand, außer jenen, die mit dem Verschwinden der jungen Frau zu tun haben, genau sagen. Fest steht: Andreas Freundin hat gesehen, wie Andrea auf das Schiff ging, und Zeugen wollen das Mädchen am nächsten Tag auf Deck völlig apathisch, vollständig bekleidet in der Sonne liegend und bei der Ausfahrt des Schiffes aus dem Hafen an Bord gesehen haben. Seitdem wird die Deutsche vermißt.
„Andreas Freundin kehrt am 1. September allein aus Spanien zurück“, berichtet Maria Welsch. „Zu diesem Zeitpunkt erfuhr ich dann zum ersten Mal über das Geschehen der vergangenen Tage.“ Die Mutter schaltet das deutsche Konsulat in Spanien ein, setzt sich mit dem Hotel in Verbindung und erfährt dort, daß sich die gesamte persönliche Habe der Tochter – Reisegepäck, Flugticket, Reisepaß, Bargeld und Schecks – noch dort befindet.
Die Mutter hat ein gutes Verhältnis zur Tochter. „Sie war frei, ihre Lebensumstände oder ihren Lebensraum zu verändern, sei es nun mit oder ohne Billigung ihrer Angehörigen“, meint Christel Welsch. „Weder aus familiärer noch aus beruflicher Sicht – meine Tochter war als Industriekauffrau dem Betrieb meines Vaters zugehörig – findet sich eine Erklärung für das Verschwinden.“
Die besorgte Mutter fliegt auf die Insel, geht zur Polizei, zum deutschen Konsulat und versucht, die Tage des Verschwindens zu rekonstruieren und Spuren finden, die zu ihrer Tochter führen könnten. Sie verteilt Fotos der Tochter, forscht in Krankenhäusern, beauftragt deutsche und spanische Anwälte mit Recherchen. Deutsche und spanische Polizeibehörden ermitteln. Mehrmals wird im Verlaufe der polizeilichen Ermittlungen der deutsche Bootsbesitzer in Spanien festgenommen, verhört und wieder freigelassen – er soll wegen Entführung des Mädchens angeklagt werden, doch bis heute hat keine Gerichtsverhandlung stattgefunden.
Die Recherchen der Mutter, die insgesamt fünfmal nach Ibiza reist, um die Aufklärung des Verschwindens ihrer Tochter voranzutreiben, die Nachforschungen von Reportern und die Ermittlungen der Polizei führen schließlich in ein undurchsichtiges Zuhälter-Milieu, in dem Aussagen erpreßt, erlogen und später wieder zurückgezogen werden.
Die Dimension dieser kriminellen Aktivitäten zeigt sich schließlich im ganzen Ausmaß, als ein Ehepaar aus Deutschland, das in die Fänge einer mysteriösen Gewaltszene in Benidorm geraten war, feststellt, daß der Deutsche, der schon mit dem Verschwinden von Andrea in Verbindung gebracht wird, offensichtlich auch hier seine Finger im Spiel hat.
Das Ehepaar aus Norddeutschland besucht eine Diskothek, dem Ehemann wird schlecht, und die Ehefrau wird bei einem Gang zur Toilette von unbekannten Männern entführt. Die Frau wird auf ein Schiff gebracht, wo sie erfährt, daß sie noch in der Nacht nach Marokko gebracht würde. Doch das Schiff, das sie abholen soll, kommt nicht. Dafür erscheint am Morgen ein Deutscher, der sich für das schlechte Benehmen seiner Besatzung entschuldigt, sich dann anbietet, sie zu ihrem Ehemann zurückzubringen, sie statt dessen aber in einem Hotelzimmer des Ortes vergewaltigt und dann verschwindet. Später identifiziert die Entführte ihn als den Deutschen, auf dessen Schiff auch Andrea verschwunden ist.
Im Dezember 1982 wird dieser Mann in Alicante festgenommen, Kriminalbeamte aus Coburg fliegen nach Spanien, um ihn zu verhören. Er liefert ihnen gleich eine Auswahl von Geständnissen, aber keine Fakten, sondern eher einen Beweis seiner Phantasie: Mal ist Andrea beim Baden ertrunken, ein anderes Mal starb sie nach einer Vergewaltigung, dann wieder sprang sie ins Meer und ertrank, als sie auf hoher See auf ein anderes Schiff übergeben werden sollte.
Das Ergebnis aller Bemühungen: Die mutmaßlichen Täter sind wieder frei, und bis heute ist das Schicksal der Vermißten Andrea Welsch nicht geklärt. Und der Mutter drängt sich immer deutlicher „der entsetzliche Gedanke auf, daß meiner Tochter möglicherweise durch ein Verbrechen ein schreckliches Leid zugefügt worden sein könnte – bis hin zur Tötung“.
Nicht zu wissen, was mit einem geliebten Menschen passiert sein könnte, ist schon schlimm. Anhaltspunkte dafür zu erhalten, daß eine Tochter in die Fänge einer Mafia geraten sein könnte, die junge Frauen mißbraucht und entführt – auf Ibiza verschwinden immer wieder junge Mädchen – bedeutet jedoch für die Angehörigen die Hölle seelischer Qualen. Insbesondere, wenn man sich vorstellt, was für einen Leidensweg die betroffenen Mädchen und Frauen mitgemacht haben oder – eine Horror-Vision – in diesem Moment durchstehen.
Aber die kriminelle Welt, in der manche Vermißten verschwinden, ist in der Tat so grausam, daß es kaum zu beschreiben ist – und die Polizei ist in vielen Fällen machtlos. Kenner der Szene wissen schon lange, daß in der Bundesrepublik ebenso wie im übrigen europäischen Ausland international organisierte kriminelle Vereinigungen ihr Unwesen treiben: Drogenhandel und Korruption, Entführung und Erpressung, Raub und Mord gehören zum Standardprogramm. (Seite 67 - 72)
Aus dem Buch: VERMISST! Von Peter H. Jamin unter Mitarbeit von Kathrin Lenzer, 1993, Gustav Lübbe Verlag GmbH, Bergisch Gladbach
(Sachliche Diskrepanzen, z. B. verschiedene Namen der Mutter, unterschiedliche Altersangaben von A. W., wurden unkorrigiert übernommen.)
Wurde "der Deutsche" wegen Vergewaltigung verurteilt?
Es bleiben viele Fragen, den Verfolgungsbehörden scheinen die Hände gebunden gewesen zu sein,
bzw. es lagen ihnen keine ausreichenden Beweise vor?
Alles sehr, sehr seltsam und immer wieder muß man sich fragen: Cui bono?