Noumenon schrieb am 28.12.2024:Insbesondere sind Aussagen festgelegt durch Syntax und Semantik - das sind Basics, da gibt's nicht allzu viel dazu zu sagen, nur kurz:
Syntax regelt die Struktur und Grammatik eines Satzes, also die Form, in der Wörter und Symbole angeordnet werden. Semantik wiederum verleiht dieser Struktur eine Bedeutung, indem sie festlegt, was die Wörter und Sätze inhaltlich ausdrücken. Und die (wahrheitsfähige) Aussage entsteht dann, wenn ein Satz mit seiner Bedeutung (Semantik) einen bestimmten Sachverhalt beschreibt, ein Satz eben einen propositionalen Gehalt erhält, der wahr oder falsch sein kann.
nocheinPoet schrieb am 29.12.2024:Ja, ist aber auch klar und unbestritten, der Disput begann ja im anderen Thread zur Frage, ob es eine objektive Wahrheit gibt. Ich bin auch gerne sehr pedantisch, aber ich versuche schon zu greifen, was mir wer als Antwort schreibt und reite da nicht neben dem Weg. Wenn nur das hier das Problem gewesen wäre, hätte man das doch recht schnell klären können. Es war doch aber klar, was ich meine, um was es mir geht und da gehe ich eben dann auch davon aus, dass darauf Bezug genommen wird, Antworten in diesem Kontext zu verstehen sind.
Dir ging es, soweit ich es verstanden hatte, vor allem darum, dass Aussagen schlichtweg wahr sind, oder eben nicht. Daher sei bspw. auch eine Differenzierung zwischen objektiv und subjektiv o.ä. überflüssig. Und mir ging es darum, dass Aussagen nicht wahr
per se sind. Selbst ein Korrespondenztheoretiker muss einräumen, dass der Wahrheitsgehalt einer Aussage natürlich
abhängig ist von den
Tatsachen, die sie zum Ausdruck bringen will. Das ist ziemlich trivial: Die Aussage
"Schnee ist weiß" ist natürlich nur dann wahr, wenn Schnee tatsächlich weiß ist.
Ich würde hier nun aber noch ein, zwei Schritte weiter gehen und bspw. sagen, dass der Wahrheitsgehalt einer Aussage u.a. auch abhängt bspw. von der
Bedeutung. Die Aussage
"Atome sind unteilbar" war in der Antike bspw. wahr - ein klassisches
analytisches Urteil a priori. Analytische Urteile a priori sind nun aber
notwendig wahr und können sich nicht als Irrtum herausstellen. Dennoch würde heutzutage jeder sagen, dass die Aussage
"Atome sind unteilbar" ganz klar falsch ist. Was ist hier passiert?
SpoilerRichtig, die Definition, die Bedeutung des Begriffes 'Atom' hat sich geändert, damit also auch der propositionale Gehalt der Aussage.Noumenon schrieb am 28.12.2024:Blöderweise ist Bedeutung zutiefst subjektiv, eine objektive Bedeutung gibt es schlichtweg nicht. Die Bedeutung ist festgelegt durch subjektive kognitive Prozesse und mentale Modelle. Und damit wird's dann eben auch schwierig, von einer rein objektiven Wahrheit - bzw. einer rein objektiven Übereinstimmung von Aussage und Wirklichkeit - und dann auch noch unabhängig von Kontext etc. pp. zu sprechen. Hier prallen eben auch buchstäblich zwei Welten aufeinander: Sprache und Wirklichkeit. Und während Tatsachen ganz objektiv bestehen oder nicht bestehen, ist es mit Aussagen über Tatsachen noch einmal 'ne ganz andere Kiste...
nocheinPoet schrieb am 29.12.2024:Und nun ist es wieder kaputt. Oder zerkratzt, wir haben hier schon einige Begriffe, welche wir wohl nicht genau genug zueinander abgegrenzt haben und somit wohl nicht immer gleich verstehen. Auch über "Tatsachen" könnte man wie über "Wirklichkeit" und "Wahrheit" Bücher schreiben. Oder "objektiv", und dazu haben wir dann nur die Sprache. Und da macht man dann nun auch noch "Aussagen" wie, es existiert eine Wahrheit. Und dann haben wir noch "Existenz" mit als Begriff im Boot.
Was genau hier "kaputt" oder "zerkratzt" sein soll, sehe ich mal wieder nicht. Es ging hier ja lediglich um das Spannungsverhältnis zwischen
Sprache und
Wirklichkeit...
paxito schrieb am 25.12.2024:Jeder normale Mensch versteht den Satz: „Harry Potter ist ein Zauberer.“ und weiß, dass er wahr ist.
nocheinPoet schrieb am 29.12.2024:Geschickt gemacht, ja, eben, so eine "Aussage" kratzt schon, da steckt ja einiges drin, ich habe recht, jeder "normale" Mensch versteht das so wie ich, damit ist ja klar, Du bist nicht normal. Das wirkt nun mal nicht konstruktiv, sondern rechthaberisch und wo auch etwas persönlich.
Gut, zwischenmenschliche Kommunikation wurde ja schon hinreichend analysiert (bspw. durch P. Watzlawick, F. S. v. Thun uvm.), erspare ich mir an dieser Stelle mal. Aber man erkennt viele typische Muster wieder...
:)nocheinPoet schrieb am 29.12.2024:Ich frage mich da wirklich immer, will man mich nicht verstehen, liegt es doch an mir, sucht da wer Streit, was soll diese Show? Ist da wirklich noch der Wunsch gegeben, dass man zusammenfindet, oder ist das mehr ein Debattierklub, wo man einfach nur die Debatte gewinnen will.
Ja, solche Überlegungen, wie sie wohl selbst in den besten Ehen oder elitären Kreisen der Wissenschaft vorkommen, haben zwar durchaus ihre Berechtigung, basieren aber zum größten Teil auf Spekulation und helfen in der Regel auch kaum weiter, sofern man nicht explizit und
miteinander Metakommunikation betreiben möchte.
nocheinPoet schrieb am 27.12.2024:Zeige ich noch mal auf, ein weiteres mal, die Aussage "alle Aussagen sind kontextabhängig" beansprucht offensichtlich universelle Gültigkeit.
Noumenon schrieb am 28.12.2024:Nein, der Relativist beansprucht eben nicht, dass seine Aussagen absolute Gültigkeit haben. Siehe etwa:Der Wahrheitsrelativismus (ontologischer Relativismus) wiederum vertritt die Ansicht, dass es keine absolute Wahrheit gibt, sondern die Wahrheit vom Beobachter abhängt. Jede Überzeugung (Religionen, Ideologien, Wissenschaften, Weltbilder etc.) baue auf Dogmen und Axiomen auf. Da diese Dogmen und Axiome hinsichtlich ihres Absolutheitsanspruches von Relativisten angezweifelt werden, findet er keine absolute Wahrheit mehr. Weil aber absolute Wahrheiten wegen ihrer grundsätzlichen Beziehungslosigkeit gar nicht für spezielle Problemlösungen verwertbar sind, sucht der Relativist auch keine absoluten Wahrheiten, sondern nur Begründungsendpunkte, von deren Geltung er zwar persönlich überzeugt ist, für die er aber grundsätzlich keinen Absolutheitsanspruch stellen kann und will.
Quelle: Wikipedia: Relativismus#Wahrheitsrelativismus
nocheinPoet schrieb am 29.12.2024:Ich habe das mal eben zitiert, wenn der Link schon da ist, kann man es auch "kurz" hier in den Beitrag holen, ich sage mal, meine Aussage war, die Aussage beansprucht offensichtlich universelle Gültigkeit, dass Relativisten das anzweifeln mag gut sein.
Das ist
non sequitur. Die einzige logische Schlussfolgerung wäre an dieser Stelle, dass die Aussage
"alle Aussagen sind relativ", wie sie der Wahrheitsrelativismus tätigt, auch für sich selbst gelten muss. Die Aussage
"alle Aussagen sind relativ" besagt auch nur, dass der Wahrheitsgehalt jeder Aussage von ihrem Kontext abhängt, sei es durch das zugrunde liegende System, das Modell oder die Interpretation. Das bedeutet, dass keine Aussage unabhängig von ihrem Kontext als
absolut wahr betrachtet werden kann. Wenn man diese Aussage auf sich selbst anwendet, dann tut also auch sie lediglich im Kontext eines bestimmten Systems (bspw. einer bestimmten Interpretation, einem Modell oder einer möglichen Welt) gelten.
Es wird also eben nicht behauptet, dass diese Aussage unter allen möglichen Umständen immer wahr ist, sondern nur in einem Kontext, der die Relativität von Wahrheiten anerkennt.
nocheinPoet schrieb am 29.12.2024:Davon mal abgesehen, meine Position zum Wahrheitsrelativismus oder auch nur Relativismus ist ja inzwischen wohl klar, ein radikaler Relativismus kann zu einem Selbstwiderspruch führen, da die Behauptung, alle Wahrheiten seien relativ, selbst einen absoluten Anspruch darstellt.
Nein, warum? Die Aussage ist:
"Alle Aussagen sind nur relativ wahr (in Bezug auf den Wahrheitsgehalt anderer Aussagen)." Und das bedeutet nur, dass der Wahrheitswert einer Aussage...
a) entweder logisch abgeleitet ist aus dem Wahrheitswert anderer Aussagen, also bspw. der Wahrheitswert von
A∧B logisch abgeleitet aus den Wahrheitswerten von
A und
B, oder...
b) die Aussage selbst ein Dogma/Axiom ist, deren Wahrheit lediglich angenommen oder vorausgesetzt wird, aber nicht
absolut gilt.
Insbesondere stellt sich der Wahrheitsrelativismus damit gegen jeglichen Absolutheitsanspruch für Wahrheit, wie er etwa im Rahmen diverser Glaubenssysteme vorzufinden ist. Bspw. in der frühen Neuzeit gab es im Christentum einen klaren Absolutheitsanspruch bezüglich der Wahrheit, der sich auf die göttliche Offenbarung stützte. Die christliche Theologie betonte damals vor allem, dass es eine wahre göttliche Ordnung und ein göttliches Gesetz gäbe, deren absolute Wahrheit der Mensch erkennen und befolgen müsse. Über Thomas von Aquin warst du ja selbst schon gestolpert, der unter Wahrheit bspw. die Übereinstimmung einer Sache mit dem Intellekt verstand, wobei Gottes Intellekt dabei den
absoluten Maßstab definierte.
Selbst so scheinbar absolute Wahrheiten wie
Tautologien (bspw. "wenn A, dann A") sind lediglich wahr
im Kontext eines logischen Kalküls (siehe unten).
Noumenon schrieb am 28.12.2024:Allerdings gibt es Logiken, die ohne diesen Satz auskommen:
Wikipedia: Paraconsistent logic
nocheinPoet schrieb am 29.12.2024:[...] Es ist nun auch eine besondere Form der Logik, weiß nicht wie tief das nun auch in die Philosophie gedrungen ist.
Sehr tief. Siehe etwa (unter "siehe auch"):
Wikipedia: Philosophische Logik(der englische Artikel ist ausführlicher, aber die hier angegebene Übersicht genügt ja schon)
Und selbst, wenn man nur bei der klassischen Aussagenlogik bleibt... und dabei sogar die Prädikatenlogik mal noch beiseite lässt... wird man früher oder später feststellen, dass auch diese nicht voraussetzungslos ist, sondern eben auf festgelegten
Axiomen und Regeln (Kalkülen) basiert.
Gentzen- bzw. Regel-Kalküle (Kalküle natürlichen Schließens) basieren bspw. auf wenig Axiomen, dafür mehr Regeln,
Hilbert- bzw. Axiomenkalküle basieren hingegen auf vielen Axiomen, sind formal präziser, kommen aber mit viel weniger Regeln aus (bspw. Modus ponens). Auf welchem Kalkül man die (klassische) Logik aufbaut, ist mehr oder weniger Geschmacksache. Die Frage, die sich mit Blick auf die Diskussion hier vor allem stellt: Warum sollten bestimmte Axiome und Regeln in besonderer Weise ausgezeichnet gegenüber allen anderen möglichen Axiomen und Regeln sein bzw.
absolute Gültigkeit besitzen?
Axiome wiederum werden, wie irgendwo auch schon gesagt, lediglich als wahr angenommen, sie sind nicht wahr
per se. Mit den Regeln (bzw. logischen Schlussregeln) ist das noch einmal 'ne ganz andere Sache. Regeln (wie bspw.
Modus ponens) sind keine Aussagen, sondern Operationen, die festlegen, wie man von gegebenen Annahmen (Prämissen) zu neuen Aussagen (Konklusionen) kommt. Sie definieren gewissermaßen die
Struktur des Schließens, nicht den Wahrheitsgehalt von Aussagen, d.h. Regeln werden nicht als "wahr" im semantischen Sinne betrachtet, sondern als gültig oder angemessen, abhängig davon, ob sie das logische Schließen korrekt und vollständig ermöglichen. Oder anders ausgedrückt: Regeln müssen
wahrheitserhaltend sein, d.h. sie sollen sicherstellen, dass aus wahren Prämissen nur wahre Konklusionen folgen, um schlussendlich konsistentes und kohärentes Denken über die Wirklichkeit zu ermöglichen.
Wobei man natürlich durchaus argumentieren könnte, dass wir ja schließlich auch in einer konsistenten und kohärenten Realität leben (basierend auf Naturgesetzen), wie es schon die alten Griechen glaubten, wenn man etwa an so Begriffe wie "Kosmos" oder "Nous" denkt. Wäre die Realität inkonsistent, inkohärent, chaotisch, dann würde sie wohl noch zusammenbrechen, bevor sie überhaupt erst richtig entstanden wäre, und sowieso würde sie auch keinerlei stabile Strukturen oder Entwicklung ermöglichen.nocheinPoet schrieb am 29.12.2024:Es wirkt so, als ob man damit dann aber auch wirklich jeden Unfug belegen könnte, man bastelt sich einfach einen entsprechenden Rahmen, eine besondere Logik und schon braucht das Denken keinen Denker mehr.
Wird damit dann nicht prinzipiell alles möglich?
Ja, aber nicht alles ist immer und in jedem Kontext
sinnvoll. Bspw. die sog.
Deontische Logik ist sinnvoll im Rahmen von Ethik, um also insbesondere normative Phänomene (wie Pflichten, Rechte, Gebote und Verbote) formell zu beschreiben und in einer Weise zu analysieren, die logisch kohärent ist. Solange es aber nicht um
normative Aussagen geht, macht sie nicht allzu viel Sinn.
Ein schöneres - aber vielleicht weniger anschauliches - Beispiel wäre die
Quantenlogik. Dabei geht es u.a. um das dort geschilderte
Ausgangsproblem in der Quantenphysik. Ob und inwieweit die Quantenlogik aber auch tatsächlich sinnvoll ist, vermag ich auf die Schnelle nicht zu beurteilen.
Anderes Beispiel für eine nicht-klassische Logik, die sich definitiv in diversen Systemen und Anwendungsbereichen durchgesetzt hat, wäre etwa Fuzzy-Logik (Anwendung bspw. in Automatisierungstechnik, Medizintechnik, Unterhaltungselektronik, Fahrzeugtechnik oder auch beim Machine Learning). Möglich ist insofern vieles, aber nicht alles ist immer sinnvoll.
nocheinPoet schrieb am 27.12.2024:Offensichtlich ein Widerspruch und so ist gezeigt, damit ein sinnvolle Kommunikation und Argumentation überhaupt möglich ist, müssen kontextunabhängige Wahrheiten existieren.
Noumenon schrieb am 28.12.2024:Wie eben gesagt: Solche Denkgesetze müssen lediglich als fundamentale Prinzipien (oder als wahr) erkannt werden, sie genießen quasi den Status von Axiomen, mehr aber auch nicht, d.h. sie sind nicht notwendigerweise wahr per se, sondern conditio sine qua non des menschlichen Verstandes, um die Wirklichkeit überhaupt erst in sinnvoller Weise verstehen und strukturieren zu können.
nocheinPoet schrieb am 29.12.2024:Axiome finde ich gut, wie ich schon schrieb, es ist vermutlich auch sicher eine Frage der persönlichen Zielsetzung, man philosophiert eben über die Fragen der Existenz, und sucht da schon wo klare Antworten. Auf mich wirkt das so, dass man hier schon eine konsistente Philosophie hat, und dann das Ziel ist, machen wir die mal platt. ;) Also der Ansatz ist wohl nicht der meine.
Ich sehe da eigentlich keinen Widerspruch, also zwischen einem Anspruch auf Konsistenz - die sowieso nicht für die Philosophie als Ganzes gilt, sondern nur für spezifische philosophische Teildisziplinen und Systeme - sowie dem Vorhaben, die philosophischen Grundlagen zu hinterfragen. Hat man ja in der Mathematik auch schon so gemacht, nachdem man über diverse Unstimmigkeiten vor allem im Zusammenhang mit der
naiven Mengenlehre gestolpert war (bspw. Cantorsche und Russellsche Antinomie), die zu Anfang des 20. Jahrhunderts zur sog.
Grundlagenkrise der Mathematik und später dem sog.
Hilbertprogramm geführt hatten. Die damalige Mathematik war bereits konsitenter als es die Philosophie wohl je sein wird, aber dennoch zunehmend löchrig wie ein Schweizer Käse. Das von David Hilbert vorgeschlagene Programm zielte deshalb darauf ab, eine vollständige und widerspruchsfreie axiomatische Grundlage für die gesamte Mathematik zu finden, was bedeutet, dass sich jede wahre mathematische Aussage aus einem festen Satz von Axiomen ableiten lässt und es keinerlei Widersprüche innerhalb des Systems gibt. Ja, später kam dann der gute Gödel und wies nach, dass ein hinreichend mächtiges formales System nicht gleichzeitig konsistent und vollständig sein kann. Diese Erkenntnis war für die meisten Mathematiker natürlich erschütternd und widersprach u.a. der jahrhundertealten Überzeugung, dass sämtliche mathematischen Wahrheiten auch bewiesen werden können.
Und auch in der Philosophie kennt man ähnliche Herausforderungen, bspw. das sog.
Lügner-Paradoxon, welches insbesondere zu Problemen im Zusammenhang mit dem berühmten Satz vom ausgeschlossenen Dritten führt. Und sowas kannst du halt einfach nicht ignorieren.
nocheinPoet schrieb am 29.12.2024:Axiome finde ich gut...
Dann dürften dir ja eigentlich die
Axiome der Aussagen- & Prädikatenlogik besonders gut gefallen, ist ziemlich kompakt (2 Seiten)...
https://people.math.ethz.ch/~halorenz/4students/LogikGT/Logik2.pdfBeachte, nebenbei, auch die einleitenden Worte:
Falls wir den Symbolen aber eine Bedeutung geben (sozusagen Leben einhauchen), wechseln wir auf die semantische Ebene, und syntaktisch korrekt geformte Zeichenketten werden zu Aussagen über mathematische Objekte, die in Abhängigkeit der Interpretation (bzw. im Kontext, in dem sie stehen) wahr oder falsch sind.
Das erscheint uns gerade bei so einfachen Sachen wie "2 + 2 = 4" kontraintuitiv, weil wir eben schon als kleine Kinder das Zählen und Rechnen gelernt bzw. nach all der Zeit so verinnerlicht haben, dass wir das gar nicht mehr hinterfragen, wie wir überhaupt zu dieser Erkenntnis gelangen.
nocheinPoet schrieb am 27.12.2024:So, dann hatte ich ja schon auch erklärt, dass mathematische Wahrheiten ebenfalls als kontextunabhängig gelten. Ein mathematischer Satz, wie 2 + 2 = 4, ist kontextunabhängig wahr.
Noumenon schrieb am 28.12.2024:Nein, ist nicht korrekt. Ohne ein Modell (hier: die Menge der Natürlichen Zahlen mit entsprechender Axiomatik), ohne Bedeutung und Interpretation, ist das streng genommen nicht einmal eine Aussage, sondern nur ein (unbestimmter) Ausdruck.
nocheinPoet schrieb am 29.12.2024:Wenn man es so genau nimmt, hast Du natürlich recht, ich habe mir erlaubt hier aber auch mal was implizit vorzugeben, ich komme ja nicht aus der Sprache oder der Symbolik raus. [...] Wir könnten ja auch einfach nur zählen, wir haben ein Ding und nehmen noch mal ein Ding dazu und haben dann zwei Dinge und noch ein Ding und dann sind es drei Dinge. Also das meine ich mit einer kontextunabhängigen Wahrheit hier. [...] Ernsthaft, ich denke doch, dass man verstehen kann, was ich hier meine.
Na ja, es ging ja nun einmal um die These, dass mathematische Wahrheiten
kontextunabhängig gelten. Und das ist halt nicht ganz korrekt.
nocheinPoet schrieb am 27.12.2024:Mathematische Wahrheiten und Aussagen beruhen auf axiomatischen Systemen, deren Gültigkeit unabhängig von empirischer Erfahrung ist.
Noumenon schrieb am 28.12.2024:Nein, deren Gültigkeit wird vorausgesetzt, und zwar von Menschen, welche deren Gültigkeit aber auch ablehnen können. Anderenfalls hätten wir auch nicht miteinander konkurrierende Axiomensysteme wie etwa Zermelo-Fraenkel-Mengenlehre einmal mit Auswahlaxiom (ZFC) und einmal ohne Auswahlaxiom (ZF).
nocheinPoet schrieb am 29.12.2024:ZFC kenne ich vom "Mathematiker", ein guter Freund von mir, wenn ich mit dem zwei Stunden diskutiert habe, kann ich immer noch mal eben locker drei Stunden mit Wikipedia verbringen. Es ist ja auch wo schon schön, wenn man Menschen findet, die viel mehr als man selber weiß, nur so kann man auch was neues lernen. Nur finde ich hier immer und immer wieder ein konkretes Problem, ich sage, es gibt Wahrheit, unabhängig von jedem Kontext, und dann kommt immer wer und erklärt, nein, das ist falsch. Leute, wie denn nun, dass ist doch auch nur eine Aussage, welche Ihr da raushaut, wenn nun das "Nein" wahr sein soll, sollte es doch keinen Kontext geben, in dem es unwahr ist.
An dieser Stelle ging es um
Axiome. Deren Wahrheit ist nicht aus anderen Aussagen (bzw. einem Kontext) abgeleitet, sondern wird schlichtweg
vorausgesetzt, wie gesagt. Beispiel hatte ich genannt: Auswahlaxiom. Es gibt insofern also durchaus Aussagen (Axiome), deren Wahrheitsgehalt so gesehen nicht vom Kontext abhängt, sondern eben einfach
vorausgesetzt wird.
nocheinPoet schrieb am 27.12.2024:Wenn mathematische Wahrheiten kontextabhängig wären, könnte in einem Kontext "2 + 2 = 4" gelten und in einem anderen eben "2 + 2 = 5", Berechnungen und logische Schlussfolgerungen würden unzuverlässig mit der Folge, Wissenschaft, Technik und rationale Planung wären unmöglich, weil jede Berechnung kontextabhängig hinterfragt werden könnte und eben auch zwingend hinterfragt werden müsste.
Noumenon schrieb am 28.12.2024:Genau so ist es ja auch, mathematische Wahrheiten sind - natürlich - kontextabhängig. Der Kontext ist aber in der Regel implizit vorgegeben. Hat halt schlichtweg pragmatische Gründe, dass man - insbesondere außerhalb der Mathematik - nicht jedes Mal noch einmal extra darauf hinweist, dass von den natürlichen Zahlen mit entsprechender Axiomatik etc. die Rede ist.
nocheinPoet schrieb am 29.12.2024:Es bleibt dabei, Ihr macht auch nur Aussagen und widersprecht meinen, erhebt doch damit dann aber den Anspruch darauf, dass Eure Aussagen wahr sind. Oder doch nur, es gibt einen Kontext in dem diese auch mal wahr sein können? Dann muss es auch einen geben, in dem meine wahr sind.
Korrekt! Ich weiß, dass es widersprüchlich klingt, aber eben nur, wenn man versucht, einen "Gesamtkontext" zu bilden, ein Aussagensystem, welches beide Aussagen beinhaltet und wo beide Aussagen dann natürlich nicht gleichzeitig wahr sein können. Das Beispiel mit den Menschen, die zaubern können, hatten wir ja schon. Kann in einem bestimmten Kontext wahr sein (Harry Potter...), in einem anderen Kontext ist wiederum genau die gegenteilige Aussage wahr.
Problematisch scheint zu sein, dass wir ja über
die gleiche Wirklichkeit sprechen, gleichzeitig aber zu widersprüchlichen Aussagen gelangen, so dass doch nur eine der beiden Aussagen wahr sein könne. Nur geht es ja primär nicht um die Wahrheit von Tatsachen (Wirklichkeit), sondern um die Wahrheit von Aussagen (Sprache). Und Sprache und Wirklichkeit sind eben zwei unterschiedliche Paar Schuhe. Vertreter der Korrespondenztheorie wollen da zwar permanent einen Bezug zwischen Tatsachen und Aussagen herstellen, übersehen dabei aber, dass die komplette Logik und Mathematik sich mit der
Wahrheit von Aussagen beschäftigt, nie aber mit der
Wahrheit von Tatsachen. Da geht es um Kohärenz und Konsistenz, um Systeme abstrakter Strukturen, die sich vollständig im Bereich von Sprache, Symbolik und Konzepten abspielen, völlig unabhängig von jedweder externen Realität und physikalischen Wirklichkeit, die interessiert da wirklich nicht die Bohne (ähnlich wie im Falle von Aussagen im Kontext fiktionaler Welten).
Und keine Ahnung, wer hier neulich mal meinte, wir Menschen seien eigentlich auch nichts anderes als
Large Language Models. Das sind wir zwar nicht, aber dennoch erfüllt ein solcher Vergleich an dieser Stelle seinen Zweck: Im Rahmen deines Sprachmodells kommst du zu für dich wahren Aussagen, die wiederum im Rahmen meines Sprachmodells falsch sein können. Und ja, natürlich, das führt dann auch spätestens dann zu Widersprüchen, wenn man beide Aussagen gegenüberstellt, etwa im Rahmen einer Diskussion, so wie hier im Diskussionsforum.
nocheinPoet schrieb am 27.12.2024:Alles ist möglich?
Vielleicht, aber nicht alles ist kohärent und konsistent. Und im Rahmen meines "Sprachmodells" wäre die Aussage
"Eine Aussage ist wahr, wenn sie mit der Realität übereinstimmt." nicht konsistent vereinbar mit anderen Aussagen bzw. Erkenntnissen über Sprache, Logik und Mathematik. Selbst im Rahmen einer streng platonistischen Sichtweise wäre das schwierig, weil es in der Mathematik eben auch sich widersprechende Aussagen gibt, da sie im Rahmen unterschiedlicher Axiomensysteme formuliert sind.
nocheinPoet schrieb am 27.12.2024:Also kohärentes Denken erfordert nun mal zwingend feste, kontextunabhängige Wahrheiten, weil logische Prinzipien wie der Satz vom Widerspruch universell gelten müssen, um Widersprüche auszuschließen.
Noumenon schrieb am 28.12.2024:Der Satz ist auch dann noch richtig, wenn man 'kontextunabhängig' und 'universell' rausstreicht. Und dass Denkgesetze eben nicht universell gelten, zeigen bspw. auch diverse Geisteskrankheiten, wo Menschen widersprüchliche Überzeugungen oder inkohärente Gedankengänge haben.
nocheinPoet schrieb am 29.12.2024:Ja nun, wenn man mit Geisteskrankheiten und inkohärente Gedankengängen argumentiert, kann man auch einen Zufallsgenerator nehmen. Die Dinge werden beliebig.
Ein Zufallsgenerator denkt nicht.
Noumenon schrieb am 28.12.2024:Wenn hier überhaupt irgendein Drops gelutscht ist, dann der, dass irgendwelche Grundwahrheiten universell und unabhängig vom menschlichen Verstand existieren würden. Ich bin zwar eigentlich ein großer Fan des (modernen) Platonismus, aber da muss halt einfach mehr kommen, um auch wirklich zu überzeugen.
nocheinPoet schrieb am 29.12.2024:Gehe ich einfach nicht mit, einfach auch nur weil das schon wieder eine Aussage ist, die ja einen Wahrheitsanspruch hat, im Sinn, das wäre dann ja eine Grundwahrheit, die dann aber nicht unabhängig vom menschlichen Verstand existiert. Es ist ja wo auch eine Gefühl, tief in mir, ich will nicht bestreiten, dass ich das Universum bin und dieses ich, ich bestreite aber, dass es gar nichts gibt, welches "fest" ist. Eventuell ist das so ähnlich wie mit der Ursache ohne Ursache, da braucht es einfach etwas, was sich nicht selber an den Haaren aus dem Sumpf der Nichtexistenz zieht.
Ja, verstehe, gehe ich mit. Nur sprechen wir da dann aber auch wieder über Wirklichkeit (oder Realität), über Tatsachen. Darum ging es mir an dieser Stelle aber nicht, sondern darum,
"dass irgendwelche Grundwahrheiten universell und unabhängig vom menschlichen Verstand existieren würden", was ich - wie gesagt - bestreite. Ich schreib' das ja nicht umsonst, sondern weil es mir eben auch genau darum geht. Und ich sehe auch nicht die Aussage, dass es
keine Grundwahrheiten universell und unabhängig vom menschlichen Verstand gibt, als Grundwahrheit universell gültig und unabhängig vom menschlichen Verstand, sondern eben lediglich als relative Aussage kohärent und konsistent zu anderen Aussagen innerhalb meiner Gedankenwelt, meinem eigenen "Large Language Modell".
nocheinPoet schrieb am 29.12.2024:Weil nun unterm Strich verstehe ich Dich dann hier an der Stelle doch mal so, dass Du meinst, man kann alles grundsätzlich anzweifeln, selbst dieses und vergessen wir mal Descartes.
Kann man machen, ich könnte auch anzweifeln, ob ich überhaupt Deutsch lesen und schreiben kann. Die Frage ist halt nur, wie überzeugend das dann letztendlich ist. Alles steht und fällt halt mit Plausibilität, Kohärenz und Konsistenz.
Noumenon schrieb am 28.12.2024:Und wenn ich es richtig sehe, spricht auch Frege von zeitlosen (objektiven) Wahrheiten bzw. zeitlos wahren Gedanken, unabhängig davon, ob irgendjemand sie für wahr hält:Die Gedanken sind weder Dinge der Außenwelt noch Vorstellungen. Ein drittes Reich [im Sinne der Drei-Welten-Lehre] muss anerkannt werden. Was zu diesem gehört, stimmt mit den Vorstellungen darin überein, dass es nicht mit den Sinnen wahrgenommen werden kann, mit den Dingen aber darin, dass es keines Trägers bedarf, zu dessen Bewusstseinsinhalte es gehört. So ist z. B. der Gedanke, den wir im pythagoreischen Lehrsatz aussprachen, zeitlos wahr, unabhängig davon, ob irgendjemand ihn für wahr hält. Er bedarf keines Trägers. Er ist wahr nicht erst, seitdem er entdeckt worden ist, wie ein Planet, schon bevor jemand ihn gesehen hat, mit andern Planeten in Wechselwirkung gewesen ist.
Quelle: Wikipedia: Drittes Reich (Frege)
Und auch andere Quellen bestätigen mir, dass Frege ein Anhänger des Platonismus war und von einem abstrakten Bereich der Realität ausging, in welchem Gedanken existieren, die für alle rationalen Wesen zugänglich und objektiv wahr sind.
nocheinPoet schrieb am 29.12.2024:Ja, da finde ich mich doch wieder. ;)
Auch hier würde ich wieder sagen, dass es um Wirklichkeit geht, um Tatsachen, die objektiv und unabhängig vom menschlichen Verstand bestehen. Wahrheit wiederum bezieht sich für mich auf Aussagen - die können sich auf die Wirklichkeit beziehen, müssen es aber nicht. Und: Aussagen werden gemacht von sprachfähigen Wesen. Ohne sprachfähige Wesen keine Sprache, keine Aussagen und keine Wahrheit. Ich trenne da halt wirklich strikt zwischen Wirklichkeit und Sprache, Tatsachen und Aussagen, wo du da scheinbar etwas laxer mit umzugehen scheinst und dann auch einen strengen Platonismus vertreten musst, während du bspw. die Mathematik scheinbar nur unzureichend überblicken tust. Hört ja bspw. nicht bei einfachen Zahlen, gängigen Konstanten (wie Pi) und Primzahlen auf.
Hier oben rechts bspw. eine schöne Übersicht. Und dann wären da auch noch so lustige Paradoxien wie etwa das berühmte Banach-Tarski-Paradoxon:
Das Banach-Tarski-Paradoxon oder auch Satz von Banach und Tarski ist eine Aussage der Mathematik, die demonstriert, dass sich der anschauliche Volumenbegriff nicht auf beliebige Punktmengen verallgemeinern lässt. Danach kann man eine Kugel in drei oder mehr Dimensionen derart zerlegen, dass sich ihre Teile wieder zu zwei lückenlosen Kugeln zusammenfügen lassen, von denen jede denselben Durchmesser hat wie die ursprüngliche. Das Volumen verdoppelt sich, ohne dass anschaulich ersichtlich ist, wie durch diesen Vorgang Volumen aus dem Nichts entstehen können sollte. Dieses Paradoxon demonstriert, dass das mathematische Modell des Raumes als Punktmenge in der Mathematik Aspekte hat, die sich in der physischen Realität nicht wiederfinden.
Wikipedia: Banach-Tarski-Paradoxon
Keine Ahnung, wie du das mit deinem Verständnis von Realität vereinbaren willst. Vor allem vor dem Hintergrund der Korrespondenztheorie, wonach Wahrheit die Übereinstimmung von Aussagen mit der Realität sind. Ehrlich, ist mir schleierhaft. Und dieses Beispiel ist ja auch nur eines von vielen.