Ich würde einleitend gerne anmerken, dass alle meine Ausführungen meine subjektive Sicht widerspiegeln und keinen Anspruch auf allgemeine Gültigkeit erheben. Obwohl dies aus dem Kontext meiner Aussagen hervorgehen sollte, besteht die Möglichkeit, dass meine Ausdrucksweise unbeabsichtigt einen anderen Eindruck vermittelt:
FibaAmrih schrieb am 30.12.2024:Jede Erkenntnis basiert auf meinem eigenen, begrenzten konzeptionellen Rahmen.
nocheinPoet schrieb:Eventuell fängt man noch tiefer an und fragt erstmal, ob es Wahrheit überhaupt gibt
Aus meiner Sicht: ja und nein, denn dazu fehlt die Grundlage: Der Begriff "Wahrheit" ist vieldeutig und müsste dazu klar definiert werden, um Missverständnisse zu vermeiden. Und selbst dann wäre es tendenziell spekulativ, als Arbeitshypothese aber wohl geeignet..
FibaAmrih schrieb am 30.12.2024:Ein „Begriff“ ist eine subjektive Erfindung, die in der Realität nicht existiert. Die Realität besteht aus konkreten Phänomenen, wie die Personen, die du triffst. Das Konzept, dass es sich dabei um „Menschen“ handelt, ist eine abstrakte mentale Konstruktion. Nicht, weil es keine Menschen gäbe, sondern weil es nur die konkrete individuelle Erscheinung gibt: Klaus, Gerda, Frank und Inge. Die Kategorie „Mensch“ existiert nicht als solche, sondern wird als Werkzeug der Anschauung vom Geist geschaffen. Jede Anschauung ist auch (immer?) kontextabhängig und damit subjektiv.
Das trifft insbesondere für solche Begriffe zu, die man nicht angreifen (berühren) kann. Etwas, das real existiert, das wir beide berühren können; davon können wir uns einen relativ konsistenten „Begriff“ machen. Wenn der Apfel auf dem Tisch liegt, können wir beide eine sehr gute Übereinstimmung darüber finden, was das ist: ein Apfel. Aber für rein mental konstruierte Begriffe, wie "Wahrheit“ trifft das nicht zu. Dabei rede ich – in diesem Zusammenhang - explizit nicht davon, dass es keine Wahrheit gibt, sondern dass es so etwas wie eine Wahrheit im Bereich der Phänomene (der konkreten Dinge, die es in der Realität zu geben scheint) nicht gibt. Kurz: wir können Wahrheit nicht vor uns hinlegen, anfassen und eine übereinstimmende Vorstellung davon entwickeln, was das genau meint, wenn wir den Begriff benutzen.
Ich neige hier gern zu "Wort-Spielchen":
Realität - das ist real, realisiert
Wirklichkeit - das "wirkt" als ob es Realität wäre
Wahrheit - das ist das, was wirklich passiert ist, was wirklich ist. (Betonung liegt hier auf WIRKLICH im Sinne der vorhergehenden Assoziation)
...soll und muss nichts bedeuten. Nur ein wirklich unausgefeilter, mentaler Auswurf
;)
In der Philosophie gibt es verschiedene Ansätze zur Wahrheit, z. B.:
- Korrespondenztheorie: Eine Aussage ist wahr, wenn sie mit der Realität übereinstimmt.
- Kohärenztheorie: Wahrheit besteht in der logischen Stimmigkeit innerhalb eines Systems von Aussagen.
Die Korrespondenztheorie scheidet für mich aus, weil Realität uns nicht zugänglich ist:
FibaAmrih schrieb: dass sich die "Ebene" (Natur, Konstitution, Dimensionalität, Komplexität, Kausalität) unserer Wahrnehmung so diametral von "Realität" unterscheidet
Nun könnte man berechtigterweise kritisieren, dass ich diesen Begriff selbst verwende! Dazu möchte ich sagen, dass Begriffe leider essenziell für jedweden sprachlichen Austausch sind, da sie als gemeinsame Grundlage dienen. Ohne klare Definitionen können Missverständnisse entstehen. Daher ist es wichtig, über die Bedeutung von Begriffen nachzudenken und sie in den eigenen Erkenntnisraum zu reflektieren. Noch besser ist es natürlich, diese gemeinsam zu definieren. Jedoch ist es dabei nicht einfach, die jeweilige Schwelle zu definieren, den Kenntnisstand des anderen abzuschätzen, was mir als Autist leider ohnehin schwerfällt bis unmöglich ist.
Ich möchte diesbezüglich anregen, ChatGPT für derartige Reflektionen zu nutzen. Auch ich nutze ihn hin und wieder, um meinen wirren Gedanken klarere Struktur zu geben.
Ich neige ferner zum sogenannten
Divergenten Denken.
nocheinPoet schrieb:Schon seltsam, wenn ich Dich nach Deiner Differenzierung zwischen "Ich" und "Selbst" frage, wirst Du gnatzig. Also das "Selbst" als "abstraktes" und damit weitestgehend undefiniertes Konzept als gegeben angenommen.
Das mag in der Tat verwirrend oder widersprüchlich sein. Dennoch ist es eine effektive Methode der Systemanalyse, bei der zunächst die bloße Differenzierung zwischen zwei unbekannten Einflussgrößen als Prämisse für darauf aufbauenden Betrachtungen dient – divergentes Denken.
nocheinPoet schrieb:Wir haben also ein "Ich" und ein "Selbst", beides unterscheidet sich, und letzteres ist dann irgendetwas, was eben nicht "ich" ist.
…genau, ABER:
FibaAmrih schrieb:Man kann, und sollte, jedoch argumentieren, dass die Dichotomie zwischen "Ich" und "Selbst" zu einfach ist [um] die komplexe Natur des menschlichen Bewusstseins vollständig abzubilden. Es bleiben abstrakte Modelle der SELBST-Erkenntnis 😉
Weiterführende Ansätze könnten bspw. dem Studium von Nietzsche entnommen werden, ohne dass dies implizieren will, darin läge „Wahrheit“. Was es leisten könnte, ist eine Erweiterung des persönlichen Assoziationsrahmens.
Meine Gnatzigkeit mag sich darauf bezogen haben, dass eine Differenzierung der beiden Begriffe durch Nietzsche eingeführt ist, wenngleich ohne konkrete Definition, und ich mich explizit darauf berufe. Die Frage nach meiner Abgrenzung ist daher – in meiner Wahrnehmung – nicht zielführend, sondern ich hätte mir gewünscht - ohne dass ich es explizit fordern will - , dass eine eigene, kurze Reflexion der Worte Nietzsches erfolgt. Sicherlich ist meine Reaktion auch durch folgendes Statement getriggert:
nocheinPoet schrieb am 30.12.2024:Hört sich toll an, was immer Du damit nun meinst, so kann ich damit nichts anfangen. Bin recht sicher, dass die Aussage von Nitsche von verschiedenen Menschen auch verschieden verstanden wird, ...
Der kategorische Imperativ ist einer der bekanntesten Gedanken der Philosophie überhaupt. Die Unkenntnis dessen, zusammen mit einer doch sehr resolut anmutenden Argumentationsweise, lässt in mir eine gewisse Skepsis der Fruchtbarkeit weiterer Diskussionen aufkeimen. Ich hoffe das ist zumindest plausibel? Ebenso wie deine Kritik an meinem Video für mich absolut plausibel war!
Begriffe sind assoziativ, was konkret bedeuten soll, dass sie mit verschiedenen Gedanken verbunden sind. Regen ist z. B. mit "naß", "Wolken" usw. verknüpft. Jeder hat diesbezüglich seinen eigenen Assoziationsrahmen. Wenn ein Begriff gar keine innere Bedeutung hat, sondern diese Bedeutung nur durch die jeweilige Person zugemessen wird, nenne ich das Ambiguität [Milton Modell der Sprache].
Ich möchte gerne noch einige weitere Begriffe einführen:
Assoziation: „Als Assoziation gilt die Annahme, dass Vorstellungen in Form einfacher kognitiver Elemente miteinander verknüpft (erlernt) werden. Die Verbindung geschieht unter bestimmten Bedingungen, wie Emotionen oder von Modifikationen einfacher Sinneseindrücke. Denkprozesse seien beispielsweise eine Folge dieser Verknüpfungen.“ [Wikipedia]
Abstrakt: „Das Wort Abstraktion (von lateinisch abstractus ‚abgezogen‘, Partizip Perfekt Passiv von abs-trahere ‚abziehen‘, ‚entfernen‘, ‚trennen‘) bezeichnet meist den induktiven Denkprozess des erforderlichen Weglassens von Einzelheiten und des Überführens auf etwas Allgemeineres oder Einfacheres.“ … was dann nicht mehr das „Ding an sich“ sein kann und auch keine adäquate Repräsentation. Es ist eine Vereinfachung. Da ich stillschweigende davon ausgehe, dass unsere Wirklichkeit auch in Bezug auf seine Dimensionalität vereinfacht ist, nenne ich es gerne abstrakte PROJEKTION. Eine Projektion ist bspw. ein Schatten: eine 2D-Projektion (flacher Schatten) einer 3D-Ursache (Hand). Wir leben in der Welt der Schatten, wo uns Konzepte wie Hand und Licht, als die Ursache der Phänomene, unzugänglich sind.
Objektiv/Subjektiv: Stelle dir ein Bild eines Stuhls vor, dass so weit weg von dir aufgestellt ist, dass du es als Stuhl wahrnimmst. Deine SUBJEKTIVE (du als Subjekt mit dem dir zugänglichen Kontext) Wahrnehmung ist die eines Stuhls. Deine subjektive
Wirklichkeit ist ein Stuhl. Die objektive
Realität (das Objekt an sich) ist aber eine Haufen Zellulosefasern, auf dem sich verschiedene farbige Punkte befinden. Und selbst das ist subjektiv, denn in einer tieferen Ebene der Erkenntnis, sind das wieder nur Atome usw…
Was ist hier nun die Wahrheit?
Nehmen wir nun einmal an, es gäbe eine objektive Wahrheit. Nehmen wir an, die objektive Wahrheit ist das Papier mit bunten Punkten:
FibaAmrih schrieb:liegt es nahe anzunehmen, es gibt so etwas wie subjektive menschliche Wahrheit überhaupt nicht.
Was ich nun damit meine ist: Wir können nun aus unserer Beobachtung des Blattes Papier in großer Entfernung darüber spekulieren, was das wirklich ist. Was „die Wirklichkeit“ ist. Klar ist, dass es einen gewissen Erwartungswert gibt: ein Stuhl. Auf das werden wir uns sicher einigen, das wird unsere subjektive – in dem Fall kulturelle (weil Subjekt übergreifende) - „Wirklichkeit“
FibaAmrih schrieb:in jedem Fall nur ein nützliches, d. h. zweckdienliches Konstrukt? Ich meine das bspw. im Hinblick auf Bor's Atommodell. Bis zu einer gewissen Tiefe der Erkenntnis war es funktional, aber eben nicht "wahr" (es gibt soetwas wie ein Atom nicht).
Klar ist auch, dass es – je nach Auffassungsgabe, Kreativität und Skepsis – nahezu unendlich viele andere Ansätze zur Deutung geben kann. Daher ergibt sich eine unendlich große Fülle potentieller Interpretationen der „Wirklichkeit, und diese sind SUBJEKTIV. Wenn ich nun also sage:
FibaAmrih schrieb:Unter statistischen Gesichtspunkten stellt sich mir die Frage, ob objektive Wahrheit in subjektiver Betrachtung überhaupt "gefunden" werden kann?
…dann meine ich damit, dass es mathematisch sehr unwahrscheinlich ist, dass wir die richtige Interpretation dessen, was das ist, erraten. Und bitte sieh das als massiv simplifiziertes Konzept einer grundsätzlichen Idee!
nocheinPoet schrieb:Finde auch das hier viel zu weit oben angesetzt, was soll "subjektive menschliche Wahrheit" genau sein?
Zugegebener Maßen bin ich froh, dass du es ansprichst, denn dieser Satz ist etwas unschön geraten. Besser wäre es wohl so gewesen:
Im Hinblick darauf, dass sich die "Ebene" unserer Wahrnehmung so diametral von "Realität" unterscheidet, liegt es nahe anzunehmen, dass objektive Wahrheit (der Realität) in subjektiver menschlicher Wahrnehmung (der Wirklichkeit) überhaupt nicht gefunden (erkannt, gedacht, verstanden) werden kann.
Objektiv, das ist also das Ding an sich. Wobei hier – streng genommen – noch einmal differenziert werden muss: Denn in unserem Bespiel wäre die objektive WIRKLICHKEIT ein Blatt Papier, die objektive REALITÄT aber nicht greifbar – nach aktuellem Kenntnisstand ein Haufen Quarks, Gluonen usw.
Papier ist hier schon wieder einer der ABSTRAKTEN Begriffe, von denen ich spreche.
Subjektiv, das ist also unsere Wahrnehmung der Dinge. Und diese basiert auf Modellen (dem Papier) – siehe Zitat oben „Ein „Begriff“ ist eine subjektive Erfindung…“.
Die Wirklichkeit ist unsere subjektive Projektion der objektiven Realität.Im Grunde scheint das tendenziell mit deiner Aussage vereinbar zu sein, jedenfalls in Teilen?
nocheinPoet schrieb:Eventuell schaut mal noch mal, was man so unter "Wahrheit" verstanden wissen will, kann ein Bild, ein Modell von Etwas die Wahrheit über dieses Etwas sein? Braucht es für Wahrheit nicht eine vollständige Beschreibung? Es mag einfache und sehr komplexe Wahrheiten geben.
nocheinPoet schrieb:Ich finde schon, dass ein deterministisches Universum jeder Vorstellung eines freien Willen widerspricht,
Scheinbar ist dem so, und ich will damit auch keine Behauptung aufstellen. Vielmehr ist der Gedanke ein logisch plausibles Konstrukt, in dem Determinismus und Freier Wille koexistieren können. Beides zugleich sind aber wiederum nur abstrakte Begriffe.
nocheinPoet schrieb:Also die Vorstellung des "freien Willen" ist eine Lüge, vom Selbst mit der " kognitiven Verzerrung" erfunden?
Nein, es sind Methapern, um sich einer Idee zu nähern. Die kognitive Verzerrung wiederum ist eine Art „Silikonfuge“ mit dem der Geist gewisse Widersprüche kittet. Unsere Wirklichkeit ist eine Art erfundener Geschichte, die sich das Gehirn ausdenkt, um die Erscheinungen zu erklären, dessen Ursache ihm unbekannt und sehr wahrscheinlich unzugänglich sind.
nocheinPoet schrieb:Puh, ...
Nicht unberechtigt. Ich schreibe explizit: Sollte ich mich festlegen [müssen]“ (sorry, der Satz ist etwas verstümmelt). Ich lege mich – wie dargelegt – aber eben explizit nicht fest, sondern praktiziere „divergentes Denken“ – nicht als Vorsatz sondern irgendwie ist das bei mir der Standard-Modus.
nocheinPoet schrieb:a nun, finde ich schade, hätte nicht Not getan, Kritik alleine sollte in dem Fall doch nicht zur Zerstörung Deiner Arbeit führen. Und schön, dass es Dir nur im Erkenntnis geht, wenn dem so ist, sollten wir doch eine Basis finden können. ;)
Es ist nicht verloren und irgendwie habe ich es auch nicht wirklich hinbekommen, den Channel wirklich zu löschen – obwohl ich das meiner Auffassung nach getan habe - das Video ist aber jedenfalls deaktiviert.
Vielen Dank für deine Neujahrsgrüße, die ich sehr gerne erwidern möchte!