mostellaria schrieb:Viele interessante Gedanken, doch sollte man mit einem 1er-Abi wirklich Verkäuferin werden? Studium muss ja nicht sein, aber eine dermaßen anspuchslose Ausbildung?
Sollte er etwas anspruchsvolles machen? Gute Frage. Aber die "Sollen"-Formulierung ist eine Kann-Bestimmung, dass heißt eben, dass man es machen kann oder auch sein lassen kann.
Anstatt zu fragen, warum dieser 1er Abiturient nicht etwas anderes, womöglich etwas anspruchsvolleres Erlernen möchte, warum fragt man diese Person nicht lieber erst einmal, wie dieser Gedanke überhaupt zu Stande gekommen ist und sucht nach den Beweggründen.
Ich habe beispielsweise mittlerweile auch ein gutes Abitur absolviert und studiere und habe mich lange gefragt, warum ich das nicht schon vor 6 Jahren geschafft habe, wo ich doch jetzt den Nachweis habe, dass ich es prinzipiell auch damals schon gekonnt hätte?
Aber ich hörte auf über diese Frage nachzudenken und mir deswegen sogar selbst schwere Vorwürfe zu machen als mir klar wurde, dass mein damaliger Schulleiter vollkommen Recht damit hatte als er zu mir meinte, dass ich es mit meiner damaligen Leistungsbereitschaft einfach nicht schaffen würde und er mir deswegen die Wiederholung der 11. Klasse verwehrte, weil ich die Zeit sinnvoller nutzen sollte.
Er hatte damals einfach Recht. Ich war noch fauler als in meinem zweiten Anlauf das Abitur zu machen; mir fehlte einfach die grundlegende Motivation, weil ich damals einfach noch nicht so weit war und eben noch nicht wusste, wohin ich mit diesem Abschluss wollte.
Deswegen erkundete ich die Welt, lernte ganz neue Fassetten von ihr kennen und fand die Orientierung, die mir davor gefehlt hatte.
Damals habe ich mich aus heutiger(!) Sicht wirklich unter Wert verkauft, weil ich einfach nicht wusste wie hoch ich auf mich selbst bieten konnte und deswegen eingeschüchtert und ahnungslos den Ball flach hielt.
Mittlerweile bin ich mir durch erbrachte Leistungen vollkommen bewusst, dass ich deutlich mehr bieten kann als damals, auch wenn ich auch heute wie damals eben ab einem gewissen Punkt nicht weis, ob ich mich überschätze oder unterschätze. Welches von beidem zutreffen wird kann ich jetzt noch nicht sagen, so viel Selbstbewusstsein ich auch haben mag. Der von mir angenommene und tatsächliche Wert meiner jetzigen Entscheidungen wird sich erst irgendwann in der Zukunft zeigen.
Deswegen kann ich jetzt nur meine Situation betrachten und versuchen zu ergründen, was ich will, nicht was meine Eltern oder bei manchen der Lebenspartner will, sondern was ich(!) will und dann daraufhin mit Bestimmtheit eine Entscheidung treffen.
Selbst wenn ich in 4-5 Jahren die Entscheidung für mein Studium bereuen sollte, so müsste ich mir zu dem Zeitpunkt immer wieder klar machen, dass ich jetzige Entscheidung auf Grund meiner jetzigen Situation treffe und nicht auf Grund einer der Situationen, die ich dann in 5 Jahren haben könnte.
Also selbst wenn jemand mit Doktorgrad in Physik auf die Idee kommt selbstständiger Hochzeitskartendrucker zu werden, dann frage zuerst nach seinen Beweggründen für eben genau diese Entscheidung und allerhöchstens danach, warum er nicht eine der unzähligen Alternativen gewählt hat. Denn man kann sich nie so sicher sein, dass man nicht doch genauso gehandelt hätte, wäre man zu dieser Zeit, diese Person mit ihren Lebensumständen gewesen.
Empfehlungen und Ratschläge kann man danach zwar immer noch geben, aber davor sollte man sich wohl erst einmal selbst fragen, wie viel man sich selbst wirklich von anderen reinquatschen lassen würde, wenn man denn selbst einmal von einer Entscheidung vollkommen überzeugt ist.
(Was aber nicht bedeutet, dass es nicht auch manchmal ganz hilfreich sein kann Andere anzuhören.
;) )
So nebenbei: Nur weil ein 1er Abiturient den Entschluss fast eine Verkäuferlehre anzufangen, heißt das ja trotzdem nicht zwnagsläufig, dass er diese Lehre auch abschließen und Verkäufer wird.
Womöglich hat diese Person noch nicht eine Stunde in diesem Beruf gearbeitet oder noch nicht festgestellt wie Berufsschule so ist. Neue Erfahrungen schaffen neue Erkenntnisse und neue Sichtweisen und können über kurz oder lang auch zu neuen Entscheidungen führen, die gänzlich wide einer ehemaligen Entscheidung sind.