UNBEDINGT LESEN
11.04.2004 um 22:39Jedem, der sich ernsthaft mit der Geschichte des römischen Altertums befassen will, stellt sich die grundlegende Frage: Wie ist es zu erklären, daß eine kleine mittelitalienische Gemeinde im Lauf der Jahrhunderte ein gewaltiges Reich errichtete, das nahezu alle Teile der damals bekannten Welt umspannte? Diese Frage ist einfach, aber die Antwort weit weniger, denn sie erfordert Wissen, Überblick und Klärungswillen. Grund genug für die modernen Mystagogen auf ihren Lehrstühlen, einen Griff in die Märchenkiste zu wagen: Es saßen einmal vier Diplomaten einander feindlich gesinnter Staaten in einem Eisenbahncoupé. Als der Zug durch einen Tunnel fuhr, ängstigten sie sich sehr, denn ein jeder befürchtete, sein Nachbar könnte in der Finsternis zur Waffe greifen und seinen Erstvorteil ausnutzen. Also griffen sie alle zur Waffe und schossen. So begann der Erste Weltkrieg. -
Mit diesem Gleichnis - oder wie immer man es bezeichnen will - versuchte man mir als Studenten der Alten Geschichte die Dynamik der römischen Herrschaftsentfaltung nahezubringen. Eine vertrackte Sache: Was haben Eisenbahnen in der römischen Antike zu suchen? Oder nehmen wir die Botschaft als solche: Gründete das Weltreich der Römer auf einer Art Putativnotwehr? Was war dies dann aber anderes als die Behauptung römischer Generäle, Politiker und ihrer Geschichtsschreiber, Rom habe immer nur bella iusta, also »gerechte« oder Verteidigungskriege geführt? Man sieht, wie sehr diese einfache Frage an den Kern der Sache rührt, wie eine - heute wenigstens - doch recht einfach zu durchschauende Propagandaformel mühelos zwei Jahrtausende überdauert und via Ideologietransport in Professorenhirnen Wurzeln schlägt. Immerhin ging es um Herrschaftsausübung, Unterjochung fremder Völker, »Imperialismus« gar, und damit ist - das weiß ein deutscher Professor - nicht zu spaßen. Wenn man dann nicht locker ließ und auf der Ausgangsfrage beharrte, überzog sich das professorale Antlitz mit Kummer- und Unmutsfalten, und die etwas genervte Antwort lautete dann wie folgt: Von dem römischen Imperialismus könne man ohnehin nicht reden, denn zwar sei das eine Volk militärisch unterworfen und versklavt worden, zugegeben, aber das andere habe »Freundschaftsverträge« mit Rom geschlossen und sei dabei ganz gut gefahren, außerdem hätten neueste Untersuchungen gezeigt ... und die Quellen ... und überhaupt ... Irgendwann war diese Frage dann unter einem Schwall betulichen Gequassels verschwunden.
Der hier abgedruckte »Rote Leitfaden« leistete mir bei diesen Auseinandersetzungen die besten Dienste. Nicht nur lagen dadurch die Grundzüge einer ganzen Epoche klar zutage - für das Mittelalter kann diesen Anspruch Karl August Wittfogels 'Geschichte der bürgerlichen Gesellschaft' erheben, das wohl aus diesem Grunde nicht mehr aufgelegt wird -, sondern mittels dieses Textes entlarvten sich die Professoren bis zur Kenntlichkeit: als Kopflanger der Herrschenden. Anfangs duldeten sie noch mißmutig die Diskussion dieses Papiers in den Seminaren; wenig später aber - ich hatte einen Zeitvertrag als »Tutor« und als solcher die »Regelanfrage« bei der deutschen Geheimpolizei erfolgreich überstanden - drohte man mir disziplinarische Strafmaßnahmen an, falls ich mich nochmals unterstünde, diesen Text als Diskussionsgrundlage für Erstsemester zu verwenden. Nicht verschwiegen sei, daß diese Seminarleiterin, die kraft ihrer Position, aber nie mit einem Hauch von Argumenten den »Boden der fdGO« in ihrem Seminarräumchen verteidigte, heute Frauenbeauftragte derselben Universität ist. Das besagt so manches. (Auch aus diesem Grund haben wir die Aufforderung zu öffentlicher Diskussion, die heute so befremdlich wirken muß, im Schlußteil des »Nachtrags« belassen, denn dieser Text ist mittlerweile seinerseits schon wieder ein historisches Dokument.)
Mit diesem kleinen Buch liegen die Veröffentlichungen zweier Fachleute vor, deren Biographie, wissenschaftliches Betätigungsfeld und methodisches Instrumentarium zahlreiche, teils verblüffende Übereinstimmungen aufweisen: Beide sind Altphilologen, deren wissenschaftliche Reputation allerdings weniger auf akademischen Graden gründet, sondern auf dem Gehalt ihrer Publikationen (dem alt- wie neuzeitlichen Byzantinismus staatlicher Lohndenker begegnen beide mit der gleichen souveränen Verachtung); beide sind Atheisten ohne Wenn und Aber (für den von den Nazis vertriebenen Rosenberg gilt dies bis zur Zeit seines amerikanischen Exils), und beide sind schließlich, da man so wenig »ein bißchen oppositionell« wie »ein bißchen schwanger« sein kann, Kommunisten. Zugegeben: Das ist ein wenig viel für einen bundesdeutschen Leser, in dessen Land das zwischen Hitler und dem Vatikan geschlossene Konkordat nach wie vor Geltung besitzt und wo der Antikommunismus wesentlich verbreiteter ist als, sagen wir, die Kenntnis auch nur der ersten zehn Artikel des Grundgesetzes. Doch weiter: Beide Autoren fragen in den hier abgedruckten Veröffentlichungen nach den Triebfedern und Gesetzmäßigkeiten, die der griechischen respektive römischen Antike zugrunde liegen; beide bedienen sich der kausalen Geschichtsanalyse, um komplizierte Abläufe zu erklären, anstatt sie bloß zu beschreiben oder gar von subjektiver Warte zu werten, und beider Anspruch ist es schließlich, aus der Vielfalt überlieferter Nachrichten das Wichtige vom Anekdotischen zu sondern und in allgemeinverständlicher Darstellung Übersicht zu vermitteln. Dem Leser bleibe die Entscheidung überlassen, ob die Verfasser den von ihnen gestellten Ansprüchen gerecht werden.
Bei so vielen Gemeinsamkeiten soll allerdings ein fundamentaler Unterschied nicht außer acht bleiben: Während Arthur Rosenberg - Mitglied der KPD seit 1920, 1924/25 ins Politbüro gewählt und von 1924 bis 1928 Reichstagsabgeordneter der KPD - bis 1933 einen außerordentlichen Lehrstuhl für Alte Geschichte und Soziologie an der Universität Berlin innehatte, blieb dem zweiten Verfasser dieses Bandes der Zugang zu einem ordentlichen Lehramt unter fadenscheinigen Vorwänden verwehrt (»zu wissenschaftlich« sei seine Dissertation, sagte ein ordentlicher Professor in geheimer Sitzung, die freilich nicht so geheim war, daß keine Nachrichten über diese Ungeheuerlichkeit durchsickern konnten). Schon allein diese Episode wirft ein treffendes Licht auf die mit teuren Steuergeldern finanzierten Anstalten, aus denen die Wissenschaften zuverlässig verbannt sind und wo nur noch scheuklappenbewehrter Nachwuchs und stromlinienförmige Anpässler herangezüchtet werden.
»1933 verlor ich nach der Machtübernahme durch Hitler meine Stellung an der Berliner Universität«, schreibt Arthur Rosenberg in seiner 'Selbstdarstellung' 1938. Damit war Rosenberg einer unter jenen Zehntausenden, die Hitlers »Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums« zum Opfer fielen. Aber wohlgemerkt: Vor 1933, als die Verfassung der Weimarer Republik in Kraft war, konnte er seinem Beruf - ungeachtet seiner politischen Ansichten und Aktivitäten - ungehindert und frei von Repressionen nachgehen. Eben diese Weimarer Republik war nun einmal »der freieste Staat, der je auf deutschem Boden existierte« - jenes Etikett, mit dem sich die BRD der Jetztzeit so dreist und verlogen herausputzt. Die Kurzbiographie eines Wissenschaftlers, der sein Fach ernst nimmt und sich nicht zur staatstragenden Schablone degradieren lassen will, müßte heute dagegen lauten: »Nach den Verfassungsbrüchen von Willy Brandt und seinen Nachfolgetätern - den Berufsverboten - wurde mir eine Anstellung im öffentlichen Dienst aus politischen Gründen verwehrt« (wahlweise: »gekündigt«). Auf der Jagdstrecke dieses fortlaufenden staatlichen Unrechts sind zehntausend dokumentierte Opfer (bei ungleich höherer Dunkelziffer) verblieben, mit dem Resultat, daß bei der Klärung komplizierter Zusammenhänge - nichts anderes ist ja die Aufgabe der Wissenschaft - nicht der Sachverstand, sondern die Willfährigkeit des Beamten das entscheidende Kriterium darstellt. Auf diesen Umstand ist ferner zurückzuführen, daß sich die im Anhang abgedruckte Liste altphilologischer Fachveröffentlichungen beim zweiten Autor verhältnismäßig bescheiden ausnimmt: Arthur Rosenberg konnte beispielsweise noch selbstverständlich Artikel in Pauly/Wissowas 'Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft' (RE) - der »Bibel« der Altphilologen - veröffentlichen; im Staat der Berufsverbote und Gesinnungsschnüffelei ist dies nicht mehr möglich. Allenfalls Beiträge in akademisch verschraubter, andeutungsreicher Sklavensprache haben Aussicht, ein unscheinbares Dasein in einer nur von Fachleuten gelesenen Reihe zu führen. Aber das, so wird man zugeben müssen, ist der Mühe nicht wert.
Wissenschaft findet in keinem luftleeren oder wertneutralen Raum statt, denn die einfache Feststellung, ob etwas wahr ist oder nicht - selbst wenn sie sich auf so entlegene Epochen wie die europäische Antike bezieht -, kann stören: die reibungslose Ausübung von Herrschaft nämlich. Wer einen historischen Abschnitt in seinem Gehalt begriffen hat, ist in der Lage, Vergleiche zu ziehen, die freilich nicht so dämlich sind wie der einleitend präsentierte und den ungeheuren Vorzug besitzen, ausnahmsweise einmal zu stimmen. Es ist ein durchaus lohnendes Unternehmen, bei der Lektüre der nachfolgenden Zeilen einmal vergleichende Betrachtungen zwischen dem Attischen Seebund und der NATO unserer Tage anzustellen, oder zwischen der pax Augusta und der pax Americana (wie würde es sich wohl ausnehmen, wenn in 2000 Jahren ein furchtbar gelehrter Mensch behaupten würde, von dem amerikanischen Imperialismus könne keine Rede sein: zwar sei der Irak zerbombt und ausgehungert worden - zugegeben -, aber Deutschland habe zugleich so viel Vertrauen zu seinem »Verbündeten« gefaßt, daß es nicht nur diesen Krieg mit Milliardensummen finanzierte, sondern seinen gesamten Goldschatz in Fort Knox deponierte? Doch genug davon, hier ist jeder Leser selbst gefordert).
Über die Aktualität von Arthur Rosenbergs Text, der seit langem vergriffen ist, bleibt wenig zu sagen. Sein Hauptaugenmerk gilt der griechischen Antike, hier insbesondere der athenischen Demokratie - jener Regierungsform, die seinerzeit nicht nur zum ersten Mal in der Menschheitsgeschichte gedacht, sondern den zeitlichen Umständen gemäß auch praktiziert wurde. Es ist eine Geschichte für sich, die Wandlungen dieses Begriffes von seiner Entstehungszeit bis zur bloßen Worthülse, als die er den heutigen Neo-Totalitarismen dient, zu beschreiben. - Soweit erforderlich, wurde Rosenbergs Text der heute üblichen Orthographie und Interpunktion behutsam angeglichen.
HAU WEG DIE SCHEISSE (BUSH)
Mit diesem Gleichnis - oder wie immer man es bezeichnen will - versuchte man mir als Studenten der Alten Geschichte die Dynamik der römischen Herrschaftsentfaltung nahezubringen. Eine vertrackte Sache: Was haben Eisenbahnen in der römischen Antike zu suchen? Oder nehmen wir die Botschaft als solche: Gründete das Weltreich der Römer auf einer Art Putativnotwehr? Was war dies dann aber anderes als die Behauptung römischer Generäle, Politiker und ihrer Geschichtsschreiber, Rom habe immer nur bella iusta, also »gerechte« oder Verteidigungskriege geführt? Man sieht, wie sehr diese einfache Frage an den Kern der Sache rührt, wie eine - heute wenigstens - doch recht einfach zu durchschauende Propagandaformel mühelos zwei Jahrtausende überdauert und via Ideologietransport in Professorenhirnen Wurzeln schlägt. Immerhin ging es um Herrschaftsausübung, Unterjochung fremder Völker, »Imperialismus« gar, und damit ist - das weiß ein deutscher Professor - nicht zu spaßen. Wenn man dann nicht locker ließ und auf der Ausgangsfrage beharrte, überzog sich das professorale Antlitz mit Kummer- und Unmutsfalten, und die etwas genervte Antwort lautete dann wie folgt: Von dem römischen Imperialismus könne man ohnehin nicht reden, denn zwar sei das eine Volk militärisch unterworfen und versklavt worden, zugegeben, aber das andere habe »Freundschaftsverträge« mit Rom geschlossen und sei dabei ganz gut gefahren, außerdem hätten neueste Untersuchungen gezeigt ... und die Quellen ... und überhaupt ... Irgendwann war diese Frage dann unter einem Schwall betulichen Gequassels verschwunden.
Der hier abgedruckte »Rote Leitfaden« leistete mir bei diesen Auseinandersetzungen die besten Dienste. Nicht nur lagen dadurch die Grundzüge einer ganzen Epoche klar zutage - für das Mittelalter kann diesen Anspruch Karl August Wittfogels 'Geschichte der bürgerlichen Gesellschaft' erheben, das wohl aus diesem Grunde nicht mehr aufgelegt wird -, sondern mittels dieses Textes entlarvten sich die Professoren bis zur Kenntlichkeit: als Kopflanger der Herrschenden. Anfangs duldeten sie noch mißmutig die Diskussion dieses Papiers in den Seminaren; wenig später aber - ich hatte einen Zeitvertrag als »Tutor« und als solcher die »Regelanfrage« bei der deutschen Geheimpolizei erfolgreich überstanden - drohte man mir disziplinarische Strafmaßnahmen an, falls ich mich nochmals unterstünde, diesen Text als Diskussionsgrundlage für Erstsemester zu verwenden. Nicht verschwiegen sei, daß diese Seminarleiterin, die kraft ihrer Position, aber nie mit einem Hauch von Argumenten den »Boden der fdGO« in ihrem Seminarräumchen verteidigte, heute Frauenbeauftragte derselben Universität ist. Das besagt so manches. (Auch aus diesem Grund haben wir die Aufforderung zu öffentlicher Diskussion, die heute so befremdlich wirken muß, im Schlußteil des »Nachtrags« belassen, denn dieser Text ist mittlerweile seinerseits schon wieder ein historisches Dokument.)
Mit diesem kleinen Buch liegen die Veröffentlichungen zweier Fachleute vor, deren Biographie, wissenschaftliches Betätigungsfeld und methodisches Instrumentarium zahlreiche, teils verblüffende Übereinstimmungen aufweisen: Beide sind Altphilologen, deren wissenschaftliche Reputation allerdings weniger auf akademischen Graden gründet, sondern auf dem Gehalt ihrer Publikationen (dem alt- wie neuzeitlichen Byzantinismus staatlicher Lohndenker begegnen beide mit der gleichen souveränen Verachtung); beide sind Atheisten ohne Wenn und Aber (für den von den Nazis vertriebenen Rosenberg gilt dies bis zur Zeit seines amerikanischen Exils), und beide sind schließlich, da man so wenig »ein bißchen oppositionell« wie »ein bißchen schwanger« sein kann, Kommunisten. Zugegeben: Das ist ein wenig viel für einen bundesdeutschen Leser, in dessen Land das zwischen Hitler und dem Vatikan geschlossene Konkordat nach wie vor Geltung besitzt und wo der Antikommunismus wesentlich verbreiteter ist als, sagen wir, die Kenntnis auch nur der ersten zehn Artikel des Grundgesetzes. Doch weiter: Beide Autoren fragen in den hier abgedruckten Veröffentlichungen nach den Triebfedern und Gesetzmäßigkeiten, die der griechischen respektive römischen Antike zugrunde liegen; beide bedienen sich der kausalen Geschichtsanalyse, um komplizierte Abläufe zu erklären, anstatt sie bloß zu beschreiben oder gar von subjektiver Warte zu werten, und beider Anspruch ist es schließlich, aus der Vielfalt überlieferter Nachrichten das Wichtige vom Anekdotischen zu sondern und in allgemeinverständlicher Darstellung Übersicht zu vermitteln. Dem Leser bleibe die Entscheidung überlassen, ob die Verfasser den von ihnen gestellten Ansprüchen gerecht werden.
Bei so vielen Gemeinsamkeiten soll allerdings ein fundamentaler Unterschied nicht außer acht bleiben: Während Arthur Rosenberg - Mitglied der KPD seit 1920, 1924/25 ins Politbüro gewählt und von 1924 bis 1928 Reichstagsabgeordneter der KPD - bis 1933 einen außerordentlichen Lehrstuhl für Alte Geschichte und Soziologie an der Universität Berlin innehatte, blieb dem zweiten Verfasser dieses Bandes der Zugang zu einem ordentlichen Lehramt unter fadenscheinigen Vorwänden verwehrt (»zu wissenschaftlich« sei seine Dissertation, sagte ein ordentlicher Professor in geheimer Sitzung, die freilich nicht so geheim war, daß keine Nachrichten über diese Ungeheuerlichkeit durchsickern konnten). Schon allein diese Episode wirft ein treffendes Licht auf die mit teuren Steuergeldern finanzierten Anstalten, aus denen die Wissenschaften zuverlässig verbannt sind und wo nur noch scheuklappenbewehrter Nachwuchs und stromlinienförmige Anpässler herangezüchtet werden.
»1933 verlor ich nach der Machtübernahme durch Hitler meine Stellung an der Berliner Universität«, schreibt Arthur Rosenberg in seiner 'Selbstdarstellung' 1938. Damit war Rosenberg einer unter jenen Zehntausenden, die Hitlers »Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums« zum Opfer fielen. Aber wohlgemerkt: Vor 1933, als die Verfassung der Weimarer Republik in Kraft war, konnte er seinem Beruf - ungeachtet seiner politischen Ansichten und Aktivitäten - ungehindert und frei von Repressionen nachgehen. Eben diese Weimarer Republik war nun einmal »der freieste Staat, der je auf deutschem Boden existierte« - jenes Etikett, mit dem sich die BRD der Jetztzeit so dreist und verlogen herausputzt. Die Kurzbiographie eines Wissenschaftlers, der sein Fach ernst nimmt und sich nicht zur staatstragenden Schablone degradieren lassen will, müßte heute dagegen lauten: »Nach den Verfassungsbrüchen von Willy Brandt und seinen Nachfolgetätern - den Berufsverboten - wurde mir eine Anstellung im öffentlichen Dienst aus politischen Gründen verwehrt« (wahlweise: »gekündigt«). Auf der Jagdstrecke dieses fortlaufenden staatlichen Unrechts sind zehntausend dokumentierte Opfer (bei ungleich höherer Dunkelziffer) verblieben, mit dem Resultat, daß bei der Klärung komplizierter Zusammenhänge - nichts anderes ist ja die Aufgabe der Wissenschaft - nicht der Sachverstand, sondern die Willfährigkeit des Beamten das entscheidende Kriterium darstellt. Auf diesen Umstand ist ferner zurückzuführen, daß sich die im Anhang abgedruckte Liste altphilologischer Fachveröffentlichungen beim zweiten Autor verhältnismäßig bescheiden ausnimmt: Arthur Rosenberg konnte beispielsweise noch selbstverständlich Artikel in Pauly/Wissowas 'Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft' (RE) - der »Bibel« der Altphilologen - veröffentlichen; im Staat der Berufsverbote und Gesinnungsschnüffelei ist dies nicht mehr möglich. Allenfalls Beiträge in akademisch verschraubter, andeutungsreicher Sklavensprache haben Aussicht, ein unscheinbares Dasein in einer nur von Fachleuten gelesenen Reihe zu führen. Aber das, so wird man zugeben müssen, ist der Mühe nicht wert.
Wissenschaft findet in keinem luftleeren oder wertneutralen Raum statt, denn die einfache Feststellung, ob etwas wahr ist oder nicht - selbst wenn sie sich auf so entlegene Epochen wie die europäische Antike bezieht -, kann stören: die reibungslose Ausübung von Herrschaft nämlich. Wer einen historischen Abschnitt in seinem Gehalt begriffen hat, ist in der Lage, Vergleiche zu ziehen, die freilich nicht so dämlich sind wie der einleitend präsentierte und den ungeheuren Vorzug besitzen, ausnahmsweise einmal zu stimmen. Es ist ein durchaus lohnendes Unternehmen, bei der Lektüre der nachfolgenden Zeilen einmal vergleichende Betrachtungen zwischen dem Attischen Seebund und der NATO unserer Tage anzustellen, oder zwischen der pax Augusta und der pax Americana (wie würde es sich wohl ausnehmen, wenn in 2000 Jahren ein furchtbar gelehrter Mensch behaupten würde, von dem amerikanischen Imperialismus könne keine Rede sein: zwar sei der Irak zerbombt und ausgehungert worden - zugegeben -, aber Deutschland habe zugleich so viel Vertrauen zu seinem »Verbündeten« gefaßt, daß es nicht nur diesen Krieg mit Milliardensummen finanzierte, sondern seinen gesamten Goldschatz in Fort Knox deponierte? Doch genug davon, hier ist jeder Leser selbst gefordert).
Über die Aktualität von Arthur Rosenbergs Text, der seit langem vergriffen ist, bleibt wenig zu sagen. Sein Hauptaugenmerk gilt der griechischen Antike, hier insbesondere der athenischen Demokratie - jener Regierungsform, die seinerzeit nicht nur zum ersten Mal in der Menschheitsgeschichte gedacht, sondern den zeitlichen Umständen gemäß auch praktiziert wurde. Es ist eine Geschichte für sich, die Wandlungen dieses Begriffes von seiner Entstehungszeit bis zur bloßen Worthülse, als die er den heutigen Neo-Totalitarismen dient, zu beschreiben. - Soweit erforderlich, wurde Rosenbergs Text der heute üblichen Orthographie und Interpunktion behutsam angeglichen.
HAU WEG DIE SCHEISSE (BUSH)