@sunshinelight Unter der grossen globalen sozialistischen Weltrevolution wollte ich es früher, so um 1970 herum, ja auch nicht machen.
Im Laufe der Zeit gewöhnt man sich daran, dass man nicht jeden retten kann und dass man auch bei der Politik der kleinen Schritte herzhaft auf die Nase fallen kann.
Weil ich zu faul bin, alles noch mal zu schreiben und immer gleiche Fragen nach immer gleichen Antworten verlangen:
Ich habe mit 14 (das war das berühmt-berüchtigte Jahr 1968) angefangen, mich für Politik zu interessieren. Ich wollte wissen, warum es den Menschen in meinem Umfeld schlechter ging als den Pfeffersäcken an der Elbchaussee. Ich habe angefangen, mir Bücher zu besorgen, sie zu lesen und zu verstehen. Ich habe angefangen, Fragen zu stellen, meinen Eltern, meinen Lehrern, meinen Kumpels - und wenn ich mit den Antworten nicht zufrieden war, habe ich versucht, anderswo welche zu finden.
Ich habe mich sehr früh politisch engagiert, und habe, auch wenn ich nicht mehr alle Standpunkte meiner "wilden Jahre" vertrete, nicht aufgehört, politisch zu denken und zu handeln.
Politische Aktivität diente bei mir nicht zur "Beruhigung des Gewissens", sonder erwuchs aus Zorn über alltäglich erfahrene Ungerechtigkeit von Menschen gegenüber Menschen. Eigentlich etwas, was das proletarische Kind in problematischen Wohngegenden irgendwie tagtäglich "automatisch" mitbekommt. Dann kannst Du entweder abstumpfen - oder dich wehren.
Angefangen habe ich in der Schule, als Klassensprecher und im Rahmen der "Schülermitverwaltung" wie man es damals nannte. Man opponiert "gefühlsmässig" gegen Lehrer, Unterrichtsformen und -inhalte. Man erfährt Solidarität - aber auch Verrat. Man hat Erfolge und erlebt Niederlagen. Daran wächst man.
Nach der Schule engagierte ich mich gewerkschaftlich, politisch, zunächst aufgrund von früheren Kontakten in Richtung SDAJ/DKP, schliesslich gab es nach dem KPD-Verbot noch genug "illegale" im Familien- und Bekanntenkreis. Jugendvertretung, Betriebsrat, Wechsel in den im Hafen stark vertretenen Kommunistischen Bund.
Später dann Arbeit mit anderen Jugendlichen, die noch schlechter dran waren als ich, sogenannte Randgruppenarbeit mit Drogenabhängigen, TrebegängerInnen, Kriminellen. War ja irgendwie "mein Millieu".
Im Laufe der Zeit entdeckte ich, dass Schreiben durchaus etwas bewegen kann. Daraus entwickelten sich Reisen in Brennpunkte des Weltgeschehens etc. - vieles davon sollte langjährigen LeserInnen meiner Forums-Beiträge bekannt sein.
Später engagierte ich mich bei der GAL bzw. den Grünen, bei einer Wählergemeinschaft vor Ort und nach 1990 aus "Rache" für den Aufkauf der DDR bei der PDS/Die Linke.
Nun, was habe ich bewegt?
Möglicherweise habe ich damals Jugendlichen geholfen, so etwas wie politisches Bewusstsein zu entwickeln, zu erkennen, dass nur sie selbst sich helfen können: "Hilf' Dir selbst - sonst hilft Dir ein Sozialarbeiter" wie wir damals sagten.
Für die Arbeit im Betriebsrat gilt ähnliches wie für das Engagement in der Schülervertretung: Erfolge und Niederlagen hielten sich die Waage.
Ob ich mit Schreiben etwas bewirkt habe? Na, ich hoffe doch. Sicher habe ich damit keine Leben gerettet, keine Revolution bewirkt - nur Personen und Ereignisse aus dem Dunkel geholt. Ganz egoistisch gesagt, war es natürlich auch für mich spannend und aufregend, auch mit all seinen Schrecknissen. Damals trieb mich offengestanden neben politischem Engagement auch Abenteuerlust in die Welt hinaus.
Konkret als "Erfolge" würde ich werten, dass ich mit daran beteiligt war, die umweltvergiftende Chemiefabrik Boehringer in Hamburg zu schliessen und den Senat zur Sanierung des Geländes zu zwingen.
Auch die Prügeleien an den Bauplätzen der Atomanlagen in den 70/80er Jahren waren meiner Meinung nach nicht ganz umsonst. Wer die Ausbaupläne des sozialdemokratischen Atomprogramms von damals erinnert, wird feststellen, dass nach Brokdorf eigentlich nichts mehr von der ursprünglichen Idee blieb, hunderte von AKW in die Republik zu stellen.
Okay, Hafenstrasse Hamburg, überhaupt die Hausbesetzer-Szene: Hier wurde ein Bewusstsein für Spekulation, Luxussanierung, innerstädtische Vertreibung und letztlich auch alternative Wohnformen geweckt. Lang, lang ist's her.
Arbeit im Gemeinderat. Na ja. Auf dem Dorf ist vieles anders. Vieles läuft informell ab, das ist manchmal gut - manchmal schlecht. Hier einzelne politische "Erfolge" zu benennen und zu gewichten, erscheint vielen schon aus dem Nachbardorf vielleicht lächerlich: sichere Radwege, Ampelanlagen auf Schulwegen, PC-Ausstattung von Schulen, Schaffung von Kitaplätzen, Aufforstung, Renaturierung von Gewässern, Bodenentsiegelung, Verkehrsberuhigung, Seniorenbetreuung, Jugendförderung... Augenblicklich engagiere ich mich beispielsweise in der Flüchtlingshilfe im Landkreis.
Irgendwie alles nichts "gesellschaftsumwälzendes" - aber trotzdem irgendwie notwendig, dass es jemand anspricht, durchsetzt und macht. Die Fragen der menschlichen Gesellschaft sind nicht immer so grundlegende wie Krieg und Frieden oder Kapitalismus vs. Sozialismus.
Ich gebe zu, heute hätte ich wenig Lust, früh um fünf im Winter vor Werkstoren Flugblätter zu verteilen, nächtens auf Brücken herum zu turnen und zu sprühen: "Buback, Ponto, Schleyer, der Nächste ist ein Bayer!" oder mich auf Demos mit Polizisten zu prügeln. Man wird halt alt - und lässt sein Geld arbeiten, in Projekten zu Bildung, Gesundheit, Frauen, Obdachlosigkeit, hierzulande, in Frankreich, Irland und Nicaragua.
Aber ich hoffe, ich habe meinen Kindern mit auf den Weg gegeben:
WER SICH NICHT WEHRT, LEBT VERKEHRT!
Ei' hab' ich noch:
Ich sehe Geld durchaus auch als Waffe im politischen Kampf an.
Ich finanziere von meinen Steuergeldern den Krieg in Afghanistan, d.h. mein Geld tötet dort Menschen. Ich unterstütze durch meine Steuergelder eine korrupte, kriminelle Atomindustrie. Von den Schäden durch meine Konsumgewohnheiten will ich gar nicht erst reden. Mein Telefon tötet Kinder, mein Auto Eisbären und meine Heizung ruiniert das Klima.
Alles, was ich tun kann, ist Pflästerchen kleben, so eine Art moderner Ablasshandel:
Ich sorge dafür, dass die Einwohner eines Kaffs in Nicaragua Strom haben, ihe Kinder Schulbücher und Stifte und alle eine Gesundheitsversorgung. Ein Teil unseres Familieneinkommens geht drauf für Obdachlose in Dublin, für misshandelte Frauen in Schleswig-Holstein, für ein paar BIs, Kultur- und Öko-Projekte. Meine Kids kümmern sich um Flüchtlingskinder, helfen beim Spracherwerb und den Hausaufgaben. Die MitarbeiterInnen der französischen Filiale des Unternehmens meiner Frau sind verpflichtet, einen Teil ihrere Arbeitszeit sozialen Projekten zu widmen, u.a. kümmern sie sich um illegalisierte Flüchtlingskinder, organisieren Bildungsangebote und medizinische Versorgung. Das ist alles scheinbar viel - aber letzlich doch zu wenig.
Betroffenheit allein reicht nicht aus, wenn ihr kein konkretes Handeln folgt, auch wenn es letztlich nur einen gutmenschelnden Alibi-Charakter hat. Derjenige, dem man hilft, dem hat man geholfen, weil es kein anderer tut. Dankbarkeit sollte man für Selbstverständlichkeiten allerdings nicht erwarten.
Früher habe ich von meinem in Doppelschichten im Hafen erarbeiteten Geldern Reisen finanziert, u.a. in den Libanon, nach Algerien, nach Ägypten, um für das, was man heute wohl "Alternativpresse" nennen würde, über Befreiungsbewegungen, Guerilla, Bürgerkriege, Folteropfer und untergetauchte Nazis zu berichten. Weil es sonst vielleicht keiner getan hätte - und weil niemand Geld dafür ausgegeben hätte. Es ging und geht mir nach wie vor darum, mit dem Geld, dass wir mit unserer Arbeit verdienen oder verdienten, politische Ziele zu fördern, zu unterstützen, ob es sich nun um Projekte mit "Unterpriviligierten" hierzulande, um Befreiungsbewegungen in der sogen. "3.Welt" oder humanitäre Organisationen handelt. Geld ist allein Mittel zum Zweck und Waffe im politischen Kampf.
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