calligraphie schrieb:Ist es jetzt en Vogue die US amerikanische Rechtssprechung an der deutschen Grenze für null und nichtig zu erklären ? Wir deutschen sind nicht der Nabel der welt und inzwischen schüttelt man nicht nur in Virginia den Kopf über derartige Interpretationen und Verzerrungen der Realität .
BoobSinclar schrieb:Ich finde, man sollte versuchen, die Dinge voneinander zu trennen. Denn das nicht zu tun, ist ein Fehler, den viele Söring Unterstützer aus unterschiedlichen Gründen, vielleicht auch aus Unwissen gepaart mit Antiamerikanismus machen.
Es gibt genügend Gründe, das amerikanische Justizsystem, seine Vorstellung von Strafe, von Straflänge, von Vergeltung etc. kritisch zu beurteilen. Es gibt genügend korrupte eitle Idioten, die sich Verdächtige fabrizieren, Geständnisse fälschen, Rassisten sind und so weiter. Debra Milke und diverse unschuldig zur Todestrafe verurteilte, die sich keinen Anwalt leisten konnten und von voreingenommen Jurys zerissen wurden, kommen da ins Gedächtnis.
Aber: Das nun ausgerechnet an einem solch vergleichsweise banalen Fall wie Söring durchexerzieren zu wollen, ist halt kompletter Käse, das gibt der Fall, das gibt die Person Söring nicht her als Projektionsfläche nicht her. Ein eitler, sich selbst für besonders schlau haltender Diplomatensohn, der ohne Not gesteht, zwei Leute umgebracht zu haben, ist kein Nelson Mandela, kein Rodney King und noch nicht einmal ein Mumia Abu-Jamal. Das macht diesen Fall und die Diskussion drumherum so hanebüchen.
Genau. Mir scheint die aussergewöhnlich emotional geführte Diskussion hier im Thread, wenn ich das mit anderen threads bei ähnlichen Themen ("Justizirrtum") vergleiche, darauf zu beruhen, dass man hier ein gehöriges Mass Antiamerikanismus mit zum klingen bringt. Ich frage mich, ob man genauso hitzig seine Unschuld propagieren würde, wenn er in der Schweiz verurteilt worden wäre. Als schon viele Jahre in den USA als Strafverteidiger praktizierender Jurist kann ich mir so manche Realitätsverweigerung nicht anders erklären. Was wurde da nicht schon alles an den Haaren herbeigezogen, von korrupten Ermittlern zum voreingenommenen Richter zu dummdreisten antideutschen Juroren und so weiter. Das ist aber gerade in diesem Fall hier alles völlig hanebüchen. Ich würde Wetten eingehen, auf der Basis meiner Kenntnisse von diesem Fall, dass das Urteil in Deutschland und in der Schweiz und in England nicht anders ergangen wäre: schuldig. Das ist das eigentlich Ärgerliche an der Diskussion hier. Ein ganz anderes Thema ist freilich die Art und vor allem Länge der Strafe etc. Aber hier geht es ja in erster Linie um die Schuldfrage. Das ist auch irgendwie schade, denn in den anderen themenbezogenen Threads hier, sei es Darsow, Genditzki, Toth usw. ist die Diskussion normalerweise viel sachlicher. Und klar, ich leugne auch nicht, dass in allen Systemen Justizirrtümer passieren, aber gerade dieser Fall ist eben kein solcher, soweit ich das beurteilen kann.
Slaterator schrieb:Ich sehe im Fall JS eigentlich nur einen Ansatzpunkt, der hier diskussionswürdig wäre und der auch schon diskutiert wurde/wird:
Geht von JS eine akute Gefährdung für die Gesellschaft aus ?
Ich ganz persönlich halte das Risiko für ein neuerliches Kapitaldelikt für ähnlich hoch, wie das anderer Mörder, die ebenfalls bereits entlassen wurden. Ausschließen kann man da nichts. Aber das ist das Risiko, wenn man den Verursachern schwerer Straftaten (gute Prognose und verbüßte Haftstrafe vorausgesetzt) ein Leben in Freiheit ermöglichen möchte.
In diesem Punkt bin ich gar nicht so skeptisch. Ich glaube allerdings schon, dass JS aus seinem extremen Narzissmus heraus gehandelt hat - meine Tattheorie ist hier, dass er durch Elizabeths Eltern die Existenz seiner Beziehung zu Elizabeth extrem bedroht gesehen hat. Sollte er nun noch einmal in eine solche Situation geraten, wo etwas für ihn extrem Wichtiges existenziell durch andere bedroht wird, dann kann ich mir eine solche Tat auch noch einmal vorstellen. Ich glaube allerdings, dass die Wahrscheinlichkeit, dass er noch einmal in eine solche Situation gerät sehr gering ist und dass er daher kaum eine Gefahr für die Gesellschaft darstellt.
Sector7 schrieb:Auch die Namen der Kinofilme und evtl. letztlich unerkannte Zeichen am Tatort sehe ich im möglichen Bereich von Absicht. Söring hielt sich m.E. für schlauer, als den Rest der Welt, vermutlich rechtfertigte er die Tat vor sich selbst damit, dass die Morde "gerecht" seien, dass die Opfer es aufgrund der (scheinbar schlechten) Behandlung von EH verdient hätten ...
Von daher glaube ich weder seine noch ihre Story, ich glaube, sie waren beide am Tatort. Letztendlich steht die Tatzeit null fest, nicht mal wirklich der Tattag, alles kann inszeniert gewesen sein, selbst das Dinner und der angebliche "Kampf". Womöglich ist die Wahrheit perfider, als alle ahnen, weshalb beide bis heute den Mund halten, anstatt sich gegenseitig und gemeinsam mit echten Beweisen zu belasten.
Ja, dem kann ich zustimmen.
Katelbach schrieb:Das glaube ich nicht. Ich denke, dass er bei seinem Geständnis vor dem deutschen Staatsanwalt sicher war, dass man ihn aufgrund der Spuren am Tatort überführen kann. Den einzigen Ausweg sah er dann nur noch darin, die Tat zu gestehen und entweder auf nicht-vorsätzlich hinzuwirken (daher die Geheimniskrämerei mit dem Messer) oder einen auf vermindert schuldfähig zu machen (daher das mit dem Alkohol getrunken, Erinnerungslücken etc).
Als sich dann bei seinem Verfahren herausstellte, dass die Tatortspuren vielleicht gar nicht reichen würden, kam er auf die Idee, das Geständnis zu widerrufen und sich eine alternative Geschichte auszudenken. Blöd nur: Diese Geschichte musste irgendwie mit den Tatsachen und seinem bisherigen Verhalten korrelieren.
Zumindest ist das sehr naheliegend, denn sein ganzes, im Nachhinein nicht nur unsinniges sondern auch verdächtiges Verhalten begann, als er das Gefühl bekam, dass die Ermittler Spuren am Tatort gefunden hatten, die ihn zumindest sehr belasten. Das widerspricht aber ganz und gar seinen Unschuldsbeteuerungen, denn wäre er nicht am Tatort gewesen, hätte er sehr selbsticher auftreten können und seine Fingerabdrücke etc. abgeben können und einfach weiterleben können. Dass am Tatort nachher weniger eindeutige Spuren gefunden wurden, konnte er zu dem Zeitpunkt noch nicht wissen. Sein ganzes Verhalten zeigt aber die Angst davor, dass diese Spuren existierten - und zeigt damit ein eindeutiges Schuldbewusstsein.
Sector7 schrieb:Bereits zum Zeitpunkt der Flucht wird Söring davon überzeugt gewesen sein, dass er aufgrund der Spurenlage überführt werden kann, womit er zum Zeitpunkt der Tat noch nicht rechnete.
s.o.
peterlee schrieb:Du hattest entweder hier oder in dem anderen Thread mal die Meinung geäußert, sowohl der amerikanische als auch der deutsche Strafvollzug hätte Vorteile für den Gefangenen und du wüsstest nicht wofür du dich entscheiden würdest. JS hat doch einer möglichen Überstellung damals in den deutschen Strafvollzug zugestimmt, hätte ihn also doch dem amerikanischen vorgezogen. Könntest du kurz erläutern wo du die Vorteile des us vollzugs aus der Perspektive eines Gefangenen sehen würdest? (Als Anwalt kannst du dich ja da eher emreinversetzen als wir)
Herzlichen Dank
Gerne, ich rede hier allerdings nur vom Strafvollzug! Der Strafvollzug in beiden Ländern ist natürlich im Prinzip gleich - man kommt ins Gefängnis. Und in den USA meist länger als in Deutschland. Aber im Vollzug gibt es in den USA teilweise durchaus auch Vorteile verglichen mit Deutschland, zum Beispiel bei den Besuchsregelungen (in der Regel ist in den USA Besuch weitaus öfter erlaubt als in Deutschland), Kontaktmöglichkeiten (telefonischer Kontakt zu Angehörigen und Freunden ist recht grosszügig in den USA erlaubt) usw. Auch hier gibt es zwar Variationen hinsichtlich der konkreten Bundesstaaten und Gefängnisse, aber aus meiner persönlichen Erfahrung empfinde ich diese Punkte als eher für die USA sprechend. Dagegen gibt es wieder andere Dinge, die ich in Deutschland angenehmer empfinden würde, z.B. in einigen Bundesländern mehr, in einigen weniger, erlaubte "Hafturlaube," "Ehepaar-Besuchsräume," Arbeitsmöglichkeiten, Therapieangebote usw. Auch die "Klientel" mit der man nun 24 Stunden lang auf engstem Raum leben muss ist - oder zumindest war zur Zeit, als ich noch in deutschen Gefängnissen ein und ausging - eine etwas andere als die, die man typischerweise in einem amerikanischen Gefängnis vorfinden kann: z.B. das Problem von gewalttätigen Gefängnis-Gangs.
Es kommt hier aber auch immer sehr auf den Einzelfall an und die unterliegen auch ständigem Wandel. Vor ein paar Wochen war ich zum letzten Mal in einem Staatsgefängnis hier und sehe am Eingang einige Häftlinge, die vor(!) dem Eingang den Platz fegen, den Parkplatz saubermachen usw. Solch eine "Freiheit" ist in einem deutschen Gefängnis nicht gegeben. Daher ist es tatsächlich gar nicht so einfach, zu entscheiden, wo man "lieber" inhaftiert wäre. Mir persönlich wären z.B. die häufigen Besuchsmöglichkeiten und Kontaktmöglichkeiten zu Familie und Freunden sehr wichtig. Wer keine Familie und Freunde hat, für den fällt das nicht ins Gewicht. Usw.
Beispiel: Ein Insasse in München Stadelheim kann im Normalfall alle 2 Wochen einen Besuch von maximal 30 Minuten erhalten. Im Staatsgefängnis von New Jersey, einem Maximum Security Gefängnis, kann ein Insasse jeden Tag Besuch von mindestens 90 Minuten erhalten. Das ist ein gewaltiger Unterschied (wir gehen hier vom Regelvollzug aus).
https://www.kanzlei-dollinger.de/rechtsgebiete/strafrecht-2/wissenswertes-im-strafrecht/besuch-in-der-jva-stadelheim/http://www.prisonpro.com/content/new-jersey-state-prisonDas Telefonieren aus dem Gefängnis heraus war zu meiner Zeit in Deutschland unmöglich, inzwischen gibt es in deutschen Gefängnissen ab und zu auch diese Möglichkeit, aber in den USA ist es regelmässig und in der Regel täglich möglich. Und so weiter.
Man kann diese Liste jetzt beliebig weiterführen, Umschluss und Einschlusszeiten anschauen usw, da gibt es grosse Unterschiede.
Gemeinsam haben beide Systeme aber, dass es keinen Kuschelknast gibt - auch in Deutschland ist es kein Leben auf dem Ponyhof, wenn man inhaftiert ist, auch wenn manche das glauben.