Hanna W. tot aus der Prien geborgen
06.01.2024 um 02:46fischersfritzi schrieb:Schön dich mal wieder zu lesen :)
Danke für deine Einschätzung.
Ich würde an dieser Stelle gerne mal deine Expertise bemühen und ein, zwei Fragen zur Haftprüfung stellen.
Unter welchen Bedingungen oder Voraussetzungen kann im laufenden Verfahren eine Haftprüfung beantragt werden?
Welche Voraussetzungen müssten vorliegen, damit eine U-Haft im laufenden Verfahren ausgesetzt wird?
Ich gehe, wie bereits mehrfach geschrieben, davon aus, dass die Anwälte/Anwältin des Angeklagten gute Gründe haben, derzeit keine Haftprüfung zu beantragen.
Dennoch würden mich -und vermutlich auch andere User- die grundsätzlichen Voraussetzungen interessieren. Immerhin handelt es sich um ein Verfahren wegen Mordes, die Hürden dürfte entsprechend hoch sein. So zumindest meine laienhafte Annahme.
emz schrieb:Danke, dass du diese Fragen gestellt hast. Ich habe mich schon versucht, durch die diversen §§ durchzuarbeiten, bin aber zu keinem wirklich gesicherten Ergebnis gekommen. Schließe mich also den Fragen an @Rick_Blaine an.Ah ja. Da muss ich etwas ausholen. Nach § 112 StPO muss zum Erlass eines Untersuchungshaftbefehls zweierlei vorliegen: ein "dringender Tatverdacht" und ein "Haftgrund." In diesem speziellen Fall allerdings braucht kein Haftgrund vorliegen, da die Anklage auf Mord lautet, siehe § 112 (3) StPO. Es geht also nur um den "dringenden Tatverdacht," der vorliegen muss. (Manche Juristen nennen den "Haftgrund" in diesem Fall "Schwerkriminalität," so auch der BGH).
Es gibt zwei alternative Lösungen des Problems aus Sicht des Betroffenen: die Aufhebung des Haftbefehls - damit die bedingungslose Freilassung - und die "Aussetzung des Haftbefehls unter Auflagen" - hier werden Bedingungen erlassen, die den Zweck der Untersuchungshaft auch durch weniger einschneidende Massnahman als die Haft an sich wahrscheinlich erfüllen können. Bekanntestes Beispiel für so etwas ist die Anordnung einer Kaution, der Einzug des Reisepasses usw.
Besteht nach Ansicht des Betroffenen ein Haftbefehl zu Unrecht, kann er jederzeit, also auch während einer Hauptverhandlung, eine Haftprüfung beantragen. Hat er dies allerdings schon einmal erfolglos getan, kann er nur nach Ablauf verschiedener Fristen noch einmal eine Haftprüfung beantragen, nämlich erst nach zwei Monaten (§ 118 (3) StPO).
Die Haftprüfung wird vor dem zuständigen Gericht in einer mündlichen Verhandlung verhandelt, aber nicht, wenn die Hauptverhandlung schon läuft - es gibt in dem Fall also keine separate mündliche Verhandlung, sondern man stellt den Antrag während der Hauptverhandlung.
Beschliesst das Gericht, die Untersuchungshaft aufrecht zu erhalten, kann der Betroffene eine Beschwerde gegen diesen Beschluss einlegen, welche dann vor dem zuständigen Oberlandesgericht eingelegt wird (§ 304 StPO).
Eine Untersuchungshaft soll nach dem Willen des Gesetzgebers möglichst nicht länger als 6 Monate dauern, kann aber länger dauern, wenn die Tatsachen des Verfahrens dies notwendig machen. Das wurde mehrfach durch BGH und BVerfG bestätigt. Siehe § 121 StPO. Nach 6 Monaten prüft das zuständige OLG ob die Untersuchungshaft fortdauern kann.
Wichtig ist dabei, dass es in Haftsachen ein "Beschleunigungsgebot" gibt, das sich aus der Verfassung Art. 2 (2)S2 GG und der Europäischen Menschenrechtskonvention ergibt (Art. 5 (3) EMRK) ergibt. Das Kammergericht Berlin sagt dazu sehr verständlich:
„Im Rahmen der Abwägung zwischen dem Freiheitsanspruch des Betroffenen und dem Strafverfolgungsinteresse der Allgemeinheit kommt es in erster Linie auf die durch objektive Kriterien bestimmte Angemessenheit der Verfahrensdauer an, die unter anderem von der Komplexität der Rechtssache, der Vielzahl der beteiligten Personen oder dem Verhalten der Verteidigung abhängig sein kann. Dies macht eine auf den Einzelfall bezogene Prüfung des Verfahrensablaufs erforderlich. An dessen zügigen Fortgang sind dabei umso strengere Anforderungen zu stellen, je länger die Untersuchungshaft schon andauert (BVerfG, Beschl. v. 22.01.2014 - 2 BvR 2248/13 u.a. - juris m.w.N.). Das Beschleunigungsgebot verlangt, dass die Strafverfolgungsbehörden und die Gerichte alle möglichen und zumutbaren Maßnahmen ergreifen, um eine Entscheidung über den Anklagevorwurf mit der gebotenen Schnelligkeit herbeizuführen.Quelle: KG Berlin, Beschl. v. 28.10.2013 - 4 Ws 132/13
Soweit die rechtlichen Rahmenbedingungen. In komplexen Mordfällen ist eine U-Haftdauer von mehr als 6 Monaten oft der Fall und hat bisher ohne weitere Umstände nie einen Verstoss gegen das Beschleunigungsgebot ergeben. In diesem Fall sehe ich das bisher ebenfalls nicht.
Bleibt also allein die Kernfrage, ob weiterhin ein "dringender Tatverdacht" vorliegt. Die Antwort ist freilich immer in gewisser Weise subjektiv. Definiert wird ein dringender Tatverdacht juristisch als "hohe Wahrscheinlichkeit, dass der Angeklagte die ihm zu Last gelegte Straftat begangen hat." Die Antwort muss sich aus allen Ermittlungsergebnissen ergeben.
Hier wird natürlich klar, dass Menschen unterschiedlicher Ansicht sein können. Entscheiden muss aber das Gericht. Aus diesem Grund sind die übergeordneten Gerichte auch immer zurückhaltend, diese Einschätzungen des erkennenden Gerichts in Zweifel zu ziehen, oder mit anderen Worten: diejenigen, die sich in der Hauptsache mit diesen Fragen beschäftigen, haben meist das beste Wissen um die Umstände. Nur bei klar erkennbaren Fehleinschätzungen sind übergeordnete Gerichte bereit, entsprechende Beschlüsse aufzuheben.
Somit sind wir hier bei der Frage angekommen, wie die bisherigen Ermittlungsergebnisse zu interpretieren sind. Darüber haben wir hier in den letzten Wochen diskutiert, am Ende ist das aber Sache des Gerichts.