Ich habe mir den OLG-Beschluss vom 23.09.21 (im Wiki verlinkt) angesehen. Mittlerweile denke ich, eine Verurteilung wegen Mordes wird sich nicht halten lassen. Dennoch gehe ich weiterhin davon aus, dass M. Genditzki für den Tod von L. Kortüm verantwortlich ist.
Zu den neuen Gutachten zum Todeszeitpunkt: Die Verteidigung hat hierfür drei Sachverständige herangezogen:
1. Herrn Prof. Dr. Hansen (thermodynamisches Gutachten),
2. Frau Prof. Dr. M. (Gutachten zum Todeszeitpunkt auf der Grundlage des thermodynamischen Gutachtens, Berechnungen mit unterschiedlichen Methoden, u. a. auf der Grundlage der Methode der finiten Elemente),
3. Herrn Prof. Dr. P. (Gutachten zum Todeszeitpunkt aufgrund medizinisch-pathologische Aspekte).
Zitate daraus (Quelle ist der OLG-Beschluss):
so zu einem "möglichen Todeszeitpunkt ... gegen 17.00 Uhr
Bei Anwendung der "Nomogramm-Methode von Henßge" liege ein "Todeszeitpunkt von 4,5 bis 5 Stunden vor der Messung der Körpertemperatur nahe.
Die Temperatur wurde gegen 21.15 Uhr gemessen (zu dem Zeitpunkt wurde jedenfalls auch die Wassertemperatur gemessen). Das ergibt einen Todeszeitpunkt zwischen 16.15-16.45 Uhr.
Frau Prof. Dr. M:
Todeszeitpunkt wäre daher 15.27 Uhr bzw. 16.51 Uhr. Aufgrund bestehender Unsicherheiten müsse jedoch "eine Fehlerbreite von wenigen Stunden in Anschlag" gebracht werden.
Zusammenfassend kommt die Sachverständige zu dem Ergebnis, dass "sämtliche uns bekannten Anknüpfungstatsachen für einen Todeseintrittszeitpunkt von deutlich nach 15.00 Uhr [sprechen], selbst unter Berücksichtigung der ungünstigsten Abschätzungen".
Nun ziehen wir die Erkenntnisse aus früheren Gutachten mit heran. Aus dem Strafurteil des LG München II aus 2012:
Die beiden Kopfschwartenhämatome müssten daher vor dem Hineinkommen in die
Badewanne verursacht worden sein. Diesen überzeugenden Ausführungen hat sich die
Kammer angeschlossen.
(Seite 77)
... eine Einblutung in einer derartigen Größe eine gewisse Zeit benötige, um sich auszubreiten, d.h. um „einzubluten", was nach dem Ertrinken aufgrund des Kreislaufstillstandes nicht mehr möglich sei. Die Zeitspanne des Ertrinkungsvorgangs reiche für eine derartige Einblutung nicht aus.
(Seite 77).
Es muss also etwas Zeit zwischen Prellung und Ertrinken liegen, damit die Hämatome sich überhaupt ausbilden können. LK wird also nicht in die volle Badewanne gestürzt sein.
Die Strafkammer ging auch zu Recht davon aus, dass die Kopfschwartenhämatome bei einem Unfall vor dem Sturz in die Wanne entstanden sein müssen. Die damit einhergehende Bewusstlosigkeit, die eine Selbstrettung verunmöglichte, müsste wiederum beim oder direkt nach dem Wannensturz eingetreten sein. So ergab sich das Erfordernis Prellung-Wannensturz-Bewusstlosigkeit-Ertrinken in direkter zeitlicher Abfolge. Durch die Computersimulation sei dieses Erfordernis nach Auffassung der Verteidigung erbracht. Das bezweifle ich, ich halte die Sturzsimulation für unvollständig und angreifbar, was bei den Gutachten zum Todeszeitpunkt nicht der Fall ist. Die erscheinen mir schlüssig. Es kommen aber weitere Gesichtspunkte hinzu, die bisher nicht berücksichtigt wurden.
LK ist nicht in die volle Wanne gestürzt. Der Wasserhahn muss bei einem Unfall vorher aufgedreht gewesen sein, denn durch den Sturz ist die alte Dame bewusstlos geworden und konnte sich nicht mehr retten, den Wasserhahn aber auch nicht mehr betätigen.
Damit die erforderliche Zeit zwischen dem Einbluten und dem Tod gegeben ist, muss LK bei einem Unfall in die noch leere oder fast leere Wanne bei geöffneten Wasserzulauf gefallen sein.
Dagegen spricht, dass dann weitere Verletzungen zu erwarten gewesen wären, die sie nicht hatte:
Gesetzt den Fall, zum Zeitpunkt des Sturzes habe sich kein oder nur sehr wenig Wasser in der Wanne befunden, so wären zudem Verletzungen im Gesicht zu erwarten gewesen, wenn auch nicht zwingend
(Seite 58).
Wenn Frau Kortüm bei einem Unfall den Hahn nach dem Sturz nicht mehr betätigte, gilt dieser Zustand für den durchgehenden Wasserzulauf seit dem Sturz:
die Aussage der Zeugin Stenpaß, welche die Geschädigte um 18.30 Uhr auffand und berichtete, dass aus dem Wasserhahn noch "leicht" Wasser in die Wanne nachlief, bevor sie den Hahn abdrehte
Quelle: OLG-Beschluss
Wenn das Wasser also sehr langsam erst einlief (damit die notwendige Einblutungszeit erreicht wird und weil Frau Kortüm den Hahn wegen Bewusstlosigkeit nicht mehr betätigte) und die Wanne noch leer war, dann ergibt sich rückgerechnet (unter Berücksichtigung von Toleranzzeiten) für das in-die-Wanne-kommen wieder ein Zeitpunkt, zu dem MG noch in der Wohnung war. Entscheidend ist also die Dauer des Wassereinlaufs bis zum Pegelstand, der für das Ertrinken reicht, bei nur leicht aufgedrehtem Wasserhahn.
Eine Stunde würde ich dafür schon veranschlagen. Dann stimmen zwar die neuen Gutachten, aber MG hat Frau K. dennoch auf dem Gewissen, er hat sie allerdings in eine leere Wanne gelegt, den Hahn nur leicht aufgedreht und ist dann gegangen.
Wenn er dachte, dass sie bereits tot ist, und das kann man dann nicht mehr ausschließen (es ist sogar recht wahrscheinlich), dann entfiele das Verdeckungsmerkmal. Gehandelt hat er ursprünglich in Körperverletzungsabsicht. Wenn er dachte, dass sie durch seine Schläge auf den Hinterkopf gestorben sei und er dies verdecken wollte, war es kein Mord und die Strafe würde entsprechend geringer ausfallen.
Egal, wie das Wiederaufnahmeverfahren ausgeht, MG wird mMn. wohl nicht zurück ins Gefängnis müssen.