Palio schrieb:Der Amokfahrer ist in Bezug auf verwerfliche Motivation, kriminelle Energie und Gefährlichkeit noch eine andere Nummer.
Natürlich, jeder Fall ist anders, vergleichen läßt sich das kaum. Es ging, so habe ich es jedenfalls verstanden, ja auch grundsätzlich um Mordmerkmale. Die dürften aber oft nicht das eigentliche Problem sein, sondern eben die Tatsache, dass der Gesetzgeber bei Mord zwingend lebenslängliche Freiheitsstrafe vorsieht, ohne dass das Gericht eine Milderungsmöglichkeit hat (Suchtproblematik und Tatbegehung unter Rauschmitteln jetzt mal außen vor gelassen), was viele für unangemessen halten. Ohne diese Strafandrohung würden die Mordmerkmale, so wie sie derzeit kodifiziert sind, weit eher geschluckt werden. Aber da ist eben der Gesetzgeber gefragt.
Palio schrieb:Stellt auch vor, die Mordmerkmale im Strafrecht wären abgeschafft.
Nun habt ihr über diese Fälle zu entscheiden: Genditzki, der Gartenscherentäter, der Todeskampf-Filmer und der Amokfahrer - Welches Strafmaß würdet ihr jeweils festsetzen, (vorausgesetzt ihr seid überzeugt, dass die Angeklagten das, was ihnen vorgeworfen wird, auch getan haben)?
Du meinst, es gäbe nur noch den Totschlagsparagraphen 212 StGB, und die Verwerflichkeit oder Tat bzw. schulderschwerende Gründe wie besondere Grausamkeit etc., also quasi das, was heute Mordmerkmale sind, würde allein bei der Frage der Höhe der Strafe, also der Strafzumessung, geprüft? Kann man ja machen, aber eine Mindestfestlegung durch den Gesetzgeber, wieviel es mindestens und wieviel es maximal an Strafe für die Tötung eines Menschen unter besonderer Berücksichtigung der Umstände, unter denen die Tötung erfolgte, geben soll, sollte schon sein. Ich halte nicht viel von einer allzu weiten Ausdehnung von Richterrecht. Richter sind nicht vom Volk gewählt, und die Gesetzgebung sollten wir schon den vom Volk gewählten Leuten überlassen.
Was deine Frage betrifft: tendenziell würde ich, da ganz dem Bundesverfassungsgericht folgend, Genditzki härter bestrafen als den Gartenscherentäter, weil Genditzki getötet hat, um eine vergleichsweise geringfügige Straftat, nämliche eine einfache (und nicht etwa schwere oder gefährliche) Körperverletzung zu verdecken, unter diesem Aspekt also ein erhebliches Missverhältnis zwischen Motiv und Tötung besteht.
Das lässt sich so einfach beim Gartenscherentäter nicht sagen. Wut ist natürlich auch ein verachtenswerter Anlass für die Tötung eines anderen Menschen. Wenn es eine Wut von der Art war, wie sie der des Mordes Angeklagte Stephan E. im Fall des Kasseler Regierungspräsidenten Dr. Lübcke schildert, ist das ggf. anders zu bewerten als die Wut eines Ehemannes, der feststellt, dass seine Frau ihn betrügt und daraufhin - nicht im Affekt, sondern nach einiger Überlegung - Ehefrau oder Nebenbuhler umbringt.
Den Amokfahrer von Trier würde ich, Schuldfähigkeit vorausgesetzt, wiederum härter bestrafen als Genditzki. Wie
@monstra halte ich nach dem, was bisher bekannt ist, lebenslänglich für angemessen. Hätte er allerdings nur eine einzige Person getötet und wäre dann gleich gefasst worden, müsste man - ganz vielleicht - noch einmal nachdenken und käme dann - vielleicht - auf den Gartenscherenfall zurück.
Aber das sind unvollständige Gedankenspiele. Vollständig würden sie, wie
@monstra ebenfalls schon angemerkt hat,
in jedem Einzelfall erst mit den gesetzlich festgelegten und vom Gericht zwingend zu berücksichtigenden Strafzumessungselementen des § 46 StGB.
§ 46
Grundsätze der Strafzumessung
(1) Die Schuld des Täters ist Grundlage für die Zumessung der Strafe. Die Wirkungen, die von der Strafe für das künftige Leben des Täters in der Gesellschaft zu erwarten sind, sind zu berücksichtigen.
(2) Bei der Zumessung wägt das Gericht die Umstände, die für und gegen den Täter sprechen, gegeneinander ab. Dabei kommen namentlich in Betracht:
die Beweggründe und die Ziele des Täters, besonders auch rassistische, fremdenfeindliche oder sonstige menschenverachtende,
die Gesinnung, die aus der Tat spricht, und der bei der Tat aufgewendete Wille,
das Maß der Pflichtwidrigkeit,
die Art der Ausführung und die verschuldeten Auswirkungen der Tat,
das Vorleben des Täters, seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse sowie
sein Verhalten nach der Tat, besonders sein Bemühen, den Schaden wiedergutzumachen, sowie das Bemühen des Täters, einen Ausgleich mit dem Verletzten zu erreichen.
(3) Umstände, die schon Merkmale des gesetzlichen Tatbestandes sind, dürfen nicht berücksichtigt werden.