Badewannenunfall von Rottach-Egern
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12.10.2020 um 09:26Naja, also... Diese Einschätzungen sind insgesamt nicht sehr rühmlich. Ein Gerichtsreporter ist nicht gleich ein Gerichtsreporter. Der von unserem Blatt ist hochgradig bewandert, da er den Job schon seit gut 15 Jahren macht. Und im Gegenteil, er bauscht nichts auf, er macht nichts spannender, sondern ahnt in manchen Fällen schon den Aufruhr der Leserschaft (zu harte Strafen, zu lasche Strafen) und erklärt zumeist im Artikel schon, wie das Gericht zur Entscheidung kommt.
Keine Ahnung, will nur sagen, das kann man, wie alles, nicht verallgemeinern. Ja, wenn du ein Blatt wie "Die Harke" hast, denen es auch nicht so blöd war, seinerzeit in Edathys Wohnung herumzuschnüffeln, okay. Aber es gibt Zeitungen und ihre Angestellte, die sich dieser Verantwortung mehr als bewusst sind.
Nur um noch mal ne Lanze für meine Kollegen zu brechen.
Keine Ahnung, will nur sagen, das kann man, wie alles, nicht verallgemeinern. Ja, wenn du ein Blatt wie "Die Harke" hast, denen es auch nicht so blöd war, seinerzeit in Edathys Wohnung herumzuschnüffeln, okay. Aber es gibt Zeitungen und ihre Angestellte, die sich dieser Verantwortung mehr als bewusst sind.
Nur um noch mal ne Lanze für meine Kollegen zu brechen.
Badewannenunfall von Rottach-Egern
12.10.2020 um 12:04Sorry, aber einiges ist hier doch naiv gedacht. Natürlich ist es möglich, Journalisten für eigene Zwecke einzuspannen, und je weniger diese von der Sache verstehen, desto weniger sind ihnen kritische Nachfragen möglich. Ich würde derlei nicht schreiben, wenn ich so etwas nicht aus eigener Erfahrung wüsste.
Beispiel Rottach-Egern: Da liest man überall, und so wird es prompt von Lesern/Usern hier auch wiedergegeben, dass der Verdacht, „widerlegt“ sei, MG habe besagte 8.000 vom Geld der Frau K. bezahlt, und dass das Geld aus anderweitigen „völlig legalen“ Quellen stamme.
Aber kein Journalist hat es offenbar bisher für nötig befunden, mal nachzufragen, welche Quellen das denn waren. Und kein Journalist hat verstanden (oder schreiben wollen), dass der Verdacht betreffend die veruntreuende Unterschlagung bezüglich jener 8.000 € weder widerlegt noch bestätigt wurde, sondern dieser Anklagepunkt schlicht vorläufig eingestellt wurde.
Man mag die Notwendigkeit, derlei Feinheiten aufzudröseln, als peanuts ansehen. Das sind sie aber weder in Bezug auf den Sachverhalt noch rechtlich, und alle die sonst so genau sind, müssten mir darin recht geben. Wenn so was medial unzutreffend dargestellt wird, entsteht der -falsche - Eindruck, ein Gericht habe einen Angeklagten für schuldig gehalten, obwohl der sich doch so wunderbar eindeutig entlastet habe. Bei so manchem, was da manchmal geschrieben wird, habe ich wiederum den Eindruck, dass so ein Eindruck auch entstehen SOLL. Im Fall Ursula Herrmann etwa ist das ziemlich deutlich, wenn bis heute (in) den Medien erzählt wird, Mazurek sei allein wegen eins falschen Tonbandgutachtens verurteilt worden.
Beispiel Rottach-Egern: Da liest man überall, und so wird es prompt von Lesern/Usern hier auch wiedergegeben, dass der Verdacht, „widerlegt“ sei, MG habe besagte 8.000 vom Geld der Frau K. bezahlt, und dass das Geld aus anderweitigen „völlig legalen“ Quellen stamme.
Aber kein Journalist hat es offenbar bisher für nötig befunden, mal nachzufragen, welche Quellen das denn waren. Und kein Journalist hat verstanden (oder schreiben wollen), dass der Verdacht betreffend die veruntreuende Unterschlagung bezüglich jener 8.000 € weder widerlegt noch bestätigt wurde, sondern dieser Anklagepunkt schlicht vorläufig eingestellt wurde.
Man mag die Notwendigkeit, derlei Feinheiten aufzudröseln, als peanuts ansehen. Das sind sie aber weder in Bezug auf den Sachverhalt noch rechtlich, und alle die sonst so genau sind, müssten mir darin recht geben. Wenn so was medial unzutreffend dargestellt wird, entsteht der -falsche - Eindruck, ein Gericht habe einen Angeklagten für schuldig gehalten, obwohl der sich doch so wunderbar eindeutig entlastet habe. Bei so manchem, was da manchmal geschrieben wird, habe ich wiederum den Eindruck, dass so ein Eindruck auch entstehen SOLL. Im Fall Ursula Herrmann etwa ist das ziemlich deutlich, wenn bis heute (in) den Medien erzählt wird, Mazurek sei allein wegen eins falschen Tonbandgutachtens verurteilt worden.
Badewannenunfall von Rottach-Egern
12.10.2020 um 17:14@Andante
Sehr richtig. Wenn man den Fall in den Medien verfolgt, dann liest man etwas von einer Computersimulation bdes Sturzes, einen verschwundenen Wäschebeutel und einer sehr engagierten Rechtsanwältin. Die vielen kleinen und größeren Details kamen nie vor.
@EinElch
Man kann natürlich nicht alle über einen Kamm scheren. Aber ein(e) GerichtreporterIn sollte beispielsweise den Unterschied zwischen Berufung und Revision kennen, die Anwendung der "Schwere der Schuld" erklären können und auch wissen, dass eine lebenslange Freiheitsstrafe nicht automatisch 15 Jahre bedeutet.
Sehr richtig. Wenn man den Fall in den Medien verfolgt, dann liest man etwas von einer Computersimulation bdes Sturzes, einen verschwundenen Wäschebeutel und einer sehr engagierten Rechtsanwältin. Die vielen kleinen und größeren Details kamen nie vor.
@EinElch
Man kann natürlich nicht alle über einen Kamm scheren. Aber ein(e) GerichtreporterIn sollte beispielsweise den Unterschied zwischen Berufung und Revision kennen, die Anwendung der "Schwere der Schuld" erklären können und auch wissen, dass eine lebenslange Freiheitsstrafe nicht automatisch 15 Jahre bedeutet.
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12.10.2020 um 17:50Sean300 schrieb:Aber ein(e) GerichtreporterIn sollte beispielsweise den Unterschied zwischen Berufung und Revision kennen, die Anwendung der "Schwere der Schuld" erklären können und auch wissen, dass eine lebenslange Freiheitsstrafe nicht automatisch 15 Jahre bedeutet.Und er sollte den Unterschied zwischen einer Haftstrafe und derUnterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB kennen.
Strafgesetzbuch (StGB)Frau Friedrichsen etwa schrieb gerne, dass der zunächst wegen Mordes an Peggy Knobloch verurteilte und später nach einem Wiederaufnahmeverfahren freigesprochene Ulvi K. jahrelang „unschuldig im Gefängnis gesessen“ habe,
§ 63 Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus
Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist.
Was Frau Friedrichsen dabei übersieht: Die Kleinigkeit, dass Ulvi K. keinen einzigen Tag in Haft verbrachte, weder schuldig noch unschuldig.
Vielmehr war er diverser Missbräuche an Kindern überführt worden. Deretwegen wurde er aber wegen Schuldunfähigkeit freigesprochen und gleichzeitig seine Unterbringung nach § 63 StGB angeordnet, da nach Auffassung des Gerichts von ihm eine weitere Gefährlichkeit für Kinder ausging. Die Haftstrafe, zu der er zunächst wegen Mordes an Peggy Knoblauch verurteilt worden war, musste er deswegen gar nicht erst antreten, er kam gleich ins Landeskrankenhaus, wo er bis zu seinem Freispruch im Mordfall Peggy die ganze Zeit gewesen war.
Für Frau Friedrichsen mag es ja einerlei sein, ob man im Gefängnis sitzt oder in der Psychiatrie, aber von einem Gerichtsreporter kann man erstens erwarten, dass er erstens den Unterschied zwischen Schuldfähigkeit und Schuldunfähigkeit kennt und zweitens auch den zwischen einer Haftanstalt und einer forensischen Klinik und drittens peilt, dass es in manchen Fällen auch mal um mehr als nur eine angeklagte Straftat gehen kann und da je nach Straftat verschiedene gerichtliche Entscheidungen rauskommen können, was man nicht mal einfach zusammenmatschen kann.
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12.10.2020 um 18:15@Andante
Das kann man wissen, als langjährige Gerichtsreporterin und auch hier wird von Kaisers Bart gesprochen, aber wichtige Details einfach beiseite gelassen. SpOn
Das kann man wissen, als langjährige Gerichtsreporterin und auch hier wird von Kaisers Bart gesprochen, aber wichtige Details einfach beiseite gelassen. SpOn
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12.10.2020 um 18:47Na ja, da schildert Frau Friedrichsen ihre Eindrücke und Schlussfolgerungen betreffend die mündliche Urteilsbegründung in Sachen Rottach-Egern, behauptet in dem Zusammenhang aber keine falschen Tatsachen. Dass sie (nur) das erwähnt, was ihr wichtig erscheint, ist klar, so sind Kommentare nun mal. Bei einer zweieinhalbstündigen mündlichen Urteilsbegründung könnte man etwas mehr Text bzw. Infos erwarten, aber das muss man sich als mündiger Leser, der fragt, ob das alles war, was das Gericht gesagt hat, dann eben woanders besorgen.
Badewannenunfall von Rottach-Egern
05.12.2020 um 20:54Das LG München I hat entschieden: Der Wiederaufnahmeantrag wurde verworfen. Die eingereichten Beweismittel seien zwar neu, aber nicht geeignet, das Urteil zu erschüttern.
Hier der Bericht von Herrn Holzhaider:
https://www.sueddeutsche.de/bayern/muenchen-genditzki-mord-rentnerin-wiederaufnahme-1.5137781
Nicht ganz nachvollziehbar finde ich die sinngemäße Aussage, das Gericht habe den computersimulierten Sturz für wahrscheinlich gehalten, was aber nicht ausreiche. Das kann eigentlich nicht die Argumentation des Gerichts gewesen sein. Ein wahrscheinlicher Sturz würde das Urteil kippen können, das ja gerade mit einem Sturzausschluss argumentiert. Hierzu wäre der Originaltext im Beschluss interessant.
Hier der Bericht von Herrn Holzhaider:
https://www.sueddeutsche.de/bayern/muenchen-genditzki-mord-rentnerin-wiederaufnahme-1.5137781
Nicht ganz nachvollziehbar finde ich die sinngemäße Aussage, das Gericht habe den computersimulierten Sturz für wahrscheinlich gehalten, was aber nicht ausreiche. Das kann eigentlich nicht die Argumentation des Gerichts gewesen sein. Ein wahrscheinlicher Sturz würde das Urteil kippen können, das ja gerade mit einem Sturzausschluss argumentiert. Hierzu wäre der Originaltext im Beschluss interessant.
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05.12.2020 um 21:30Palio schrieb:Nicht ganz nachvollziehbar finde ich die sinngemäße Aussage, das Gericht habe den computersimulierten Sturz für wahrscheinlich gehalten, was aber nicht ausreiche. Das kann eigentlich nicht die Argumentation des Gerichts gewesen sein. Ein wahrscheinlicher Sturz würde das Urteil kippen können, das ja gerade mit einem Sturzausschluss argumentiert.Nicht das Gericht hat einen Sturz in die Wanne als Wahrscheinlichkeit genannt, sondern das Gutachten. Gleiches gilt für das Thermodynamikgutachten zum Todeszeitpunkt. Die Gutachten können also nicht sicher nachweisen, dass es so wahr, sondern nur als "Wahrscheinlichkeit".
So verstehe ich den SZ-Bericht.
Deshalb hat das Gericht gesagt, nur "wahrscheinlich" reiche nicht, weil der Grundsatz in dubio pro reo im Wiederaufnahmeverfahren nicht gelte.
Zwei Fragen stellen sich mir:
"Wahrscheinlichkeit" gibt es sehr unterschiedlichen Graden: Ob das Gericht auch so entschieden hätte, wenn der Gutachter "mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit" von einem Sturz ausgegangen wäre?
Bedarf es für ein Wiederaufnahmeverfahren tatsächlich "sichere" Beweise, quasi einen Unschuldsbeweis?
In § 359 Nr. 5 StPO ist ja nur von einer "Geeignetheit" neuer Tatsachen oder Beweismittel die Rede.
wenn neue Tatsachen oder Beweismittel beigebracht sind, die allein oder in Verbindung mit den früher erhobenen Beweisen die Freisprechung des Angeklagten (...) zu begründen geeignet sindVielleicht können da ja unsere StPO-Spezialisten, @Andante , etwas dazu erläutern.
Ansonsten noch: Die bayerische Justiz irrt sich nicht. Nie. Fast nie. Also nur auf Anweisung des Ministerpräsidenten.
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05.12.2020 um 22:08monstra schrieb:Nicht das Gericht hat einen Sturz in die Wanne als Wahrscheinlichkeit genannt, sondern das Gutachten. Gleiches gilt für das Thermodynamikgutachten zum Todeszeitpunkt. Die Gutachten können also nicht sicher nachweisen, dass es so wahr, sondern nur als "Wahrscheinlichkeit".Man muss hinsichtlich der Beweismittel unterscheiden:
1. Gutachten zum Todeszeitpunkt:
Das Gutachten zum Todeszeitpunkt, heißt es in der Entscheidungsbegründung, könne nur Wahrscheinlichkeiten feststellen. Dies reiche aber nicht aus, um das Urteil in Frage zu stellen, zumal auch das damals urteilende Gericht davon ausgegangen sei, dass ein exakter Todeszeitpunkt nicht feststellbar sei.
Das ist klar: Etwaige abweichende Wahrscheinlichkeitsannahmen reichen nicht aus, denn die Frau kann dann ja immer noch gestorben sein, als Manfred Genditzki bei ihr war. Das hat also keinen Einfluss auf die tragenden Urteilsfeststellungen.
2. Sturzsimulation:
Gleiches gelte für die Computersimulation zum Sturzgeschehen. Auch hier handele es sich nur um Wahrscheinlichkeiten, nicht um Tatsachen, die das Urteil erschüttern könnten.Hier liegt die Beweislage anders. Das Gericht hat kein positives Indiz herangezogen, dass widerlegt werden müsste, sondern eine Negativfeststellung getroffen. Daher müsste der Verurteilte nur eine einzige Sturzmöglichkeit, die auch das Gericht für plausibel (und nicht völlig lebensfern) hält, nachweisen. Die Frage ist, was sagt das Gericht zum simulierten Sturz? Hat es diesen geprüft? Hält es ihn für wahrscheinlich? Das würde mich interessieren.
Frau Rick will übrigens Beschwerde einreichen.
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05.12.2020 um 22:43Palio schrieb:Hierzu wäre der Originaltext im Beschluss interessant.Wie immer ist die Originalquelle am besten. Ich denke aber nicht, dass der Beschluss komplett veröffentlicht werden wird, jedenfalls nicht vom Gericht. Aber vielleicht gibt es Anfang der Woche eine Pressemitteilung.
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05.12.2020 um 23:04monstra schrieb:Gleiches gilt für das Thermodynamikgutachten zum Todeszeitpunkt. Die Gutachten können also nicht sicher nachweisen, dass es so wahr, sondern nur als "Wahrscheinlichkeit".Ja, so verstehe ich das auch. Das im Rahmen des Wiederaufnahmeantrages von Frau Rick eingereichte Thermodynamikgutachten und die ebenfalls vorgelegte Computersimulation gehen von „Wahrscheinlichkeiten“ aus, und das reicht nach Meinung des Wiederaufnahmegerichts anscheinend nicht aus.
So verstehe ich den SZ-Bericht.
Nun wissen wir ja aus Parallelfällen, etwa aus dem Fall Babenhausen, dass bloße Gegengutachten im Regelfall für einen erfolgreichen Wiederaufnahmeantrag nicht genug sind.. Ansonsten müsste ja fast jeder Wiederaufnahmeantrag schon dann positiv beschieden werden, wenn ein anderslautendes Gutachten vorgelegt wird.
monstra schrieb:Zwei Fragen stellen sich mir:Ein definitiver Unschuldsbeweis ist sicher nicht erforderlich, kann auch kaum erbracht werden. Aber das Wiederaufnahmegericht muss halt aus der Perspektive des im Fall der Wiederaufnahme zuständige Tatsachengerichts prüfen, ob die neuen Gutachten „geeignet“ sind, allein oder mit den früher erhobenen Beweisen zu einem Freispruch zu führen. Und neue Gutachten, die einen anderen Geschehensablauf als möglich, selbst als „wahrscheinlich“ erscheinen lassen, sind kaum „geeignet“ in diesem Sinne.
"Wahrscheinlichkeit" gibt es sehr unterschiedlichen Graden: Ob das Gericht auch so entschieden hätte, wenn der Gutachter "mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit" von einem Sturz ausgegangen wäre?
Bedarf es für ein Wiederaufnahmeverfahren tatsächlich "sichere" Beweise, quasi einen Unschuldsbeweis?
In § 359 Nr. 5 StPO ist ja nur von einer "Geeignetheit" neuer Tatsachen oder Beweismittel die Rede.
Mich würde da aber, wie @Palio, auch mal die Meinung des Wiederaufnahmegerichts zu der Computersimulation interessieren. Hat es sich dazu geäußert, ob das eine neue bahnbrechenden biomechanische Beweismethode für die gerichtliche Praxis sein kann? Denn das war ja die Hoffnung, die das Stuttgarter Institut mit der Simulation verknüpft hat.
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05.12.2020 um 23:54Andante schrieb:Hat es sich dazu geäußert, ob das eine neue bahnbrechenden biomechanische Beweismethode für die gerichtliche Praxis sein kann? Denn das war ja die Hoffnung, die das Stuttgarter Institut mit der Simulation verknüpft hat.Laut SZ scheint das LG die Neuigkeit der Methode anerkannt zu haben. Aber ohne Entscheidungstext kann man fundiert wohl nicht mehr sagen.
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06.12.2020 um 04:49monstra schrieb:Ansonsten noch: Die bayerische Justiz irrt sich nicht. Nie. Fast nie. Also nur auf Anweisung des Ministerpräsidenten.So ist es leider. Ich muss sagen, ich bin enttäuscht von dieser Entscheidung, habe sie aber erwartet. Man wird sehen, wie die weiteren Instanzen das beurteilen. Inhaltlich lässt sich leider nicht sinnvoll Stellung nehmen, ohne die Entscheidung komplett und im Original zu kennen.
Freilich verlangt das Gesetz keinen kompletten Unschuldsbeweis, das hat das Bundesverfassungsgericht in der Vergangenheit auch klar formuliert. Aber wie nun beurteilt wird, ob ein neuer Beweis "geeignet ist, das Urteil zu erschüttern" ist natürlich am Ende eine subjektive Beurteilung, die nur schwer anzufechten ist.
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06.12.2020 um 09:39monstra schrieb:Aber ohne Entscheidungstext kann man fundiert wohl nicht mehr sagen.Das stimmt natürlich, aber ich meine, man kann nach dem bekannten Urteil feststellen, dass die von HH zusammengefasste Begründung, warum das Gericht die Computersimulation als ungeeignet bewertet, nicht hinhaut.
Die Beurteilung der von der Verteidigung ausgegrabenen Zeugin und ihr Bericht über Kortüms zurückliegende angebliche Badewannenwaschgewohnheit war genau so vorhersehbar wie eingetroffen, darüber wundert sich wohl kaum einer:
Die Bekanntschaft der Zeugin mit dem Opfer liege viele Jahre zurück; "ein Erfahrungssatz, dass bestimmte Gewohnheiten im Zusammenhang mit der Behandlung von Wäsche im Lauf von Jahrzehnten keiner Veränderung unterliegen, existiert offenkundig nicht".
D. h., egal, ob Frau Kortüm mit Mitte 40 mal Wäsche in der Badewanne wusch, das hat keine Relevanz für die Urteilsfeststellungen.
Auch die Beurteilung des Gutachtens zum Todeszeitpunkt, das nur Wahrscheinlichkeiten enthält, war von vornherein nicht erfolgversprechend und zwar mit genau der Begründung, dass Schwerpunktverlagerungen von Wahrscheinlichkeitsannnahmen nicht ausreichend sind.
Aber die Computersimulation muss das Gericht inhaltlich bewertet haben.
Wenn es wirklich dazu gesagt haben sollte: "Na gut, dies ist ein Sturz, der so stattgefunden haben könnte und der die beiden Hinterkopfverletzungen erklärt, da bekommen wir jetzt Zweifel, ob sie nicht doch gestürzt ist. Aber - in dubio pro reo gilt ja im Wiederaufnahmeverfahren gar nicht, also Pech gehabt", dann stimmt da was nicht. Diese Begründung wäre in diesem speziellen Fall, in dem es auf den unwiderlegbaren Sturz-Ausschluss ankam und ankommt, angreifbar.
Ich vermute, HH gibt die Begründung nicht korrekt oder nicht vollständig wieder. Sie müsste lauten, dass die Simulation nach Einschätzung des Wiederaufnahmegerichts einen lebensfremden Sturz zeigt, den das Gericht damals außer Betracht gelassen hätte und somit zum gleichen Ergebnis gekommen wäre. Ein lebensfremder Sturz wäre aber gerade nicht "wahrscheinlich" und "Tatsachen" kann man an dieser Stelle schon gar nicht fordern:
Auch hier handele es sich nur um Wahrscheinlichkeiten, nicht um Tatsachen, die das Urteil erschüttern könnten.
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06.12.2020 um 10:05Palio schrieb:Ich vermute, HH gibt die Begründung nicht korrekt oder nicht vollständig wieder. Sie müsste lauten, dass die Simulation nach Einschätzung des Wiederaufnahmegerichts einen lebensfremden Sturz zeigt, den das Gericht damals außer Betracht gelassen hätte und somit zum gleichen Ergebnis gekommen wäre. Ein lebensfremder Sturz wäre aber gerade nicht "wahrscheinlich" und "Tatsachen" kann man an dieser Stelle schon gar nicht fordern:@sep hat in einer ganze Reihe von Beiträgen dargelegt, dass ein Sturz so wie er in dem neuen Gutachten simuliert wurde zwar theoretisch möglich ist, aber eine ganze Reihe von unrealistischen, bzw. unwahrscheinlichen Annahmen voraussetzt.
Der Gutachter hatte den Auftrag zu zeigen, dass ein Sturzgeschehen theoretisch möglich gewesen wäre unter Randbedingungen, die sonstigen Ermittlungsergebnissen nicht widersprechen. Diesen Auftrag hat er korrekt erfüllt indem er nachgewiesen hat, dass ein Sturz rein physiologisch und physikalisch möglich gewesen wäre.
Das Gericht musste in der ersten Verhandlung bewerten wie wahrscheinlich es ist, dass Frau Kortüm überhaupt aus eigenem Antrieb in eine Situation kam in der ein selbstverschuldeter Sturz möglich war und hielt es wohl für sehr unwahrscheinlich, dass die Frau selbstständig Badewasser eingelassen hatte. Das WA-Gericht scheint diesen Überlegungen gefolgt zu sein und das erklärt, warum das Gutachten zwar als neu und wissenschaftlich interessant, aber letztendlich für nicht ausreichend relevant erklärt wurde.
Und so löst sich der scheinbare Widerspruch zwischen dem Gutachten, dass zweifelsfrei einen theoretisch möglichen Sturz simuliert und dem abgelehnten WA auf.
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06.12.2020 um 12:35falstaff schrieb:Das Gericht musste in der ersten Verhandlung bewerten wie wahrscheinlich es ist, dass Frau Kortüm überhaupt aus eigenem Antrieb in eine Situation kam in der ein selbstverschuldeter Sturz möglich war und hielt es wohl für sehr unwahrscheinlich, dass die Frau selbstständig Badewasser eingelassen hatte. Das WA-Gericht scheint diesen Überlegungen gefolgt zu sein und das erklärt, warum das Gutachten zwar als neu und wissenschaftlich interessant, aber letztendlich für nicht ausreichend relevant erklärt wurde.Das allein, also die hier sattsam diskutierte Frage nach der möglichen oder fehlenden Motivation der Frau K., Wasser einzulassen etc., hätte für eine Verurteilung wohl kaum ausgereicht. Schon der damalige Gutachter Prof. Keil hatte aber ja einen Sturz mit der Endlage, in der das Opfer vorgefunden wurde nicht kategorisch ausgeschlossen, aber erklärt, dass so ein Sturz nur unter bestimmten Voraussetzungen hätte geschehen sein können, die eben das Gericht als lebensfremd betrachtete: Standposition ganz rechts vor der Wanne, wo weder die Armatur noch sonst etwas sitzt, wo das Opfer hätte herankommen wollen, Badezimmertür beim Auffinden nicht zu, was sie aber hätte sein müssen, wenn das Opfer von ganz rechts in die Wanne gestürzt wäre, denn dann hätte es im Stürzen mit dem Fuß die Tür zustoßen müssen etc.
Sollte das Wiederaufnehmegericht nun die Computersimulation (nur) als (weitere) Darstellung eines zwar theoretisch möglichen, unter den gegebenen weiteren Umständen des Falles aber auszuschließenden Sturzes aus dieser Position heraus qualifiziert haben, ist klar, warum es die Simulation als nicht geeignet ansieht, zu einem Freispruch zu führen.
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06.12.2020 um 13:02Palio schrieb:Ich vermute, HH gibt die Begründung nicht korrekt oder nicht vollständig wieder.Da Entscheidungen über die Zulässigkeit und ggf. Begründetheit eines Wiederaufnahmeantrages ohne mündliche Verhandlung erfolgt, der Beschluss des Gerichts also nicht öffentlich verkündet wird, kann Herr Holzhaider bei einer Verkündung nicht dabeigewesen sein.
Informationen darüber, wie das Gericht die Ablehnung des WA-Antrages begründet hat, kann er also nur aus anderen Quellen haben, vermutlich dann in der Interpretation von Frau Rick. Vielleicht hat Frau Rick ihm inzwischen auch eine Abschrift des kompletten Beschlusses überlassen.
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06.12.2020 um 16:59Andante schrieb:Sollte das Wiederaufnehmegericht nun die Computersimulation (nur) als (weitere) Darstellung eines zwar theoretisch möglichen, unter den gegebenen weiteren Umständen des Falles aber auszuschließenden Sturzes aus dieser Position heraus qualifiziert haben, ist klar, warum es die Simulation als nicht geeignet ansieht, zu einem Freispruch zu führen.So verstehe ich das und kann es auch nachvollziehen.
Andante schrieb:Schon der damalige Gutachter Prof. Keil hatte aber ja einen Sturz mit der Endlage, in der das Opfer vorgefunden wurde nicht kategorisch ausgeschlossen, aber erklärt, dass so ein Sturz nur unter bestimmten Voraussetzungen hätte geschehen sein können, die eben das Gericht als lebensfremd betrachteteDas bekräftigt meine Aussage noch stärker, als meine eigenen Argumente: Das Gutachten der Verteidigung konnte mithilfe neuester wissenschaftlicher Methoden einwandfrei nachweisen, dass ein Sturzgeschehen theoretisch möglich gewesen wären. Allerdings beruhte dieser Nachweis auf der Annahme einer ganzen Reihe von Randbedingungen, die vom Gericht als eher unwahrscheinlich bewertet wurden.
Die Entscheidung des WA - Gerichtes ist für mich insofern nicht widersprüchlich oder gar skandalös. Man kann das Gutachten als wissenschaftlich korrekt anerkennen, muss ihm juristisch aber nicht folgen.
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07.12.2020 um 09:43Andante schrieb:Sollte das Wiederaufnehmegericht nun die Computersimulation (nur) als (weitere) Darstellung eines zwar theoretisch möglichen, unter den gegebenen weiteren Umständen des Falles aber auszuschließenden Sturzes aus dieser Position heraus qualifiziert haben, ist klar, warum es die Simulation als nicht geeignet ansieht, zu einem Freispruch zu führen.Stimmt.
Der Sturz aus der Simulation wäre dann aber vom Gericht als (ebenfalls) lebensfremd bewertet worden und nicht als wahrscheinlich, wie man bei Holzhaiders Formulierung vermuten könnte.
Da die Ausgangsposition eine andere ist als bei dem möglichen (aber unwahrscheinlichen) Sturz, den Prof. Keil fand, müssen andere Gründe vorliegen, die diesen Sturz auch unwahrscheinlich machen. Das wird vermutlich nicht nur die negierte Wannennutzung sein.
Mir fehlt im Artikel von Herrn Holzhaider die Einräumung der Möglichkeit, dass die Beweismittel tatsächlich allesamt untauglich sein können, irgendetwas zu beweisen, was dem Verurteilten günstig ausgelegt werden müsste. Aber das wird an der Nähe zur Informationsquelle liegen, die vermutlich Frau Rick ist, wie @Andante schon festgestellt hat.
Das Gericht wird sich mit den Beweismitteln im Einzelnen auseinandergesetzt und sie bewertet haben und nicht lediglich das hier geschrieben haben:
Das Landgericht München I verweist in der Begründung explizit darauf, dass zum Wohle der Rechtssicherheit nur in ganz begrenztem Umfang und aufgrund von neuer Argumentation und neuen Beweismitteln das Infragestellen einer einmal beschlossenen Verurteilung überhaupt zulässig ist.https://www.openpetition.de/petition/blog/lebenslang-unschuldig-eingesperrt-ihr-appell-an-den-bayerischen-justizminister
Weiter argumentiert das Gericht, dass, wenn die Verurteilung allein auf Indizien beruht, das Gericht neue Beweismittel oder Tatsachen, die die Begründung des Urteils in Frage stellen, als gering erachten kann.
Mit anderen Worten: Man hat die eingereichten Beweismittel gar nicht anständig gewürdigt, was ich mir nicht vorstellen kann.