Sector7 schrieb:Ja, das wäre ein tatnahes Indiz im Sinne des BGH, was durch Indizien wie Nachtat- und Aussageverhalten, Bezug des Vorbestraften zum Opfer sowie der Überprüfung des Alibis des Vorbestraften und dessen wahrscheinlich einmalige Anwesenheit in der Wohnung des Opfers für eine Verurteilung ausreichen könnte.
Es entwickelt sich hier aber in eine andere Richtung.
Die Polizei sucht die Wohnung dieses Mannes auf und findet seine Leiche. Er ist definitiv vor Frau K. verstorben und ihm wurden die Finger abgeschnitten.
Jetzt sind die Fingerabdrücke kein tatnahes Indiz mehr, die Beweiskraft ist entfallen.
Was also können nun einheitliche Kriterien für ein tatnahes Indiz sein?
Ein tatnahes Indiz ist für mich ein zeitlich, räumlich oder inhaltlich auf die Tat bzw. identifizierend auf den Täter bezogenes Indiz, das zusätzlich nicht unverdächtig zu erklären ist bzw. nur unter lebensfremden Annahmen (daraus resultiert dann die Beweiskraft). Bei der Entscheidung, was eine lebensfremde Annahme ist, können Wahrscheinlichkeiten zum Tragen kommen.
Tatwaffenfund im Haus des Täters wäre ein klarer inhaltlicher Bezug zur Tat. Wenn er den Besitz nicht unverdächtig erklären kann (z.B. erst nach der Tat käuflich erworben), wäre das ein tatnahes Indiz.
DNA von Toth an der Jacke seiner erschlagenen Tante: Identifizierendes Indiz, aber evtl. unverdächtig zu erklären (je nach Lokalisation und Umständen), hier ist fraglich, ob es ein tatnahes Indiz ist.
Bauschaumschalldämpferrecherche von Darsow: Inhaltlicher Bezug zur Tat, unverdächtig nur unter fernliegenden Annahmen (reiner Zufall, grundlose Recherche, nicht selbst am eigenen Rechner gewesen), also tatnahes Indiz.
Anrufe beim Hausarzt von Genditzki: Zeitliches und räumliches Indiz, außerdem identifizierend (er hat es zugegeben). Verdächtig, da kein plausibler Grund besteht (dabei kommt es auf Genditzkis Aussagen an!) Unverdächtig zu erklären?
Aus dem Urteil ergibt sich:
Keine plausible Erklärung zum angegebenen Grund "Pflegedienst-Nummer erfragen" (Frau K. und die Pflegemappe waren direkte greifbare Quellen, er hat offenbar nicht erklärt, dass weder ihm noch Frau K. die Pflegemappe eingefallen ist)
Keine Erklärung zum Wechsel in der Angabe des Grundes (von Nummer erfragen zu Knieschmerzen zu beidem; fehlende Erklärung können wir nicht ersetzen)
Keine Erklärung für zweimalige Anrufe und sofortiges Auflegen nach weniger als einer Sekunde bzw. weniger als zwei Sekunden.
-> Damit bleibt es dabei, dass es sich um unplausible und nicht unverdächtig zu erklärende (nochmal: unsere Erklärungen ersetzen oder ergänzen nicht seine Aussagen) Anrufe handelte mit zeitlichem und räumlichem Tatbezug und somit um ein tatnahes Indiz.
Der einzige Unterschied zur Bauschaumschalldämpferrecherche ist, dass dort der auf die Tat bezogene Grund der verdächtigen Handlung auf der Hand liegt, also der Interpretationsbedarf auf Null reduziert ist, während bei den Anrufen noch Interpretationsbedarf besteht (Hilfeholenwollen oder Vortäuschen eines Hilferufs durch Frau K.). Es ist insofern schwächer als das Darsow-Indiz, aber beide tatbezogenene Interpretationen ergeben Sinn und dadurch ist das Indiz als Stellschraube bei einem Ausschluss-Tatnachweis definitiv geeignet, insbesondere, da noch weitere Indizien hinzukommen.
Schlüsselsteckenlassen ist ebenfalls ein tatnahes Indiz durch zeitlichen und räumlichen Bezug, ebenfalls der Person MG zuzuordnen und ebenfalls verdächtig. Nicht weil es keinen plausiblen Grund gibt (Zugangsmöglichkeit des Pflegedienstes während Frau K. schläft), sondern weil es noch nie vorkam und den Umständen nach äußerst seltsam anmutet. Die Unverdächtig-Erklärung ist lt. Gericht nicht gelungen, auch hier besteht tatbezogenen wieder Interpretationsbedarf, die Erklärung des Gerichts ist plausibel, Beweiskraft ist gegeben.
Das sind zwei tatnahe Indizien, die einen Verdacht begründen (kein plausibler Grund für das Verhalten bzw. zum ersten Mal vorgekommen), die beide nicht von MG unverdächtig erklärt werden konnten, die somit tatnahe Indizien sind, die aber durch den Interpretationsbedarf etwas an Beweiskraft verlieren.
Wir haben hier also ein tragfähiges Ausschlussverfahren, zwei nicht unverdächtig zu erklärende, tatnahe Indizien und ein darüber hinaus auffälliges Verhalten des Verurteilten.
Das ist revisionsfest und wurde auch entsprechend so behandelt.