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Badewannenunfall von Rottach-Egern

7.712 Beiträge ▪ Schlüsselwörter: Mord, 2008, Badewanne ▪ Abonnieren: Feed E-Mail
Zu diesem Thema gibt es eine von Diskussionsteilnehmern erstellte Zusammenfassung im Themen-Wiki.
Themen-Wiki: Badewannenunfall von Rottach-Egern

Badewannenunfall von Rottach-Egern

13.09.2019 um 20:38
Zitat von Sector7Sector7 schrieb:Der nahe Bezug zur Tat muss sich aber aus dem konkreten Beweiswert ergeben, nicht aus einem bloßen zeitlichen oder örtlichen Zusammenhang oder der reinen Spekulation eines Tatbezugs.
Dazu mal ein Beispiel:

Mal angenommen, Frau K. wäre erstochen aufgefunden worden, neben ihr liegt ein Messer (eindeutig die Tatwaffe), die offene Geldkassette ist leer. Auf dem Messer und der Geldkassette befinden sich Fingerabdrücke, die in einer Datenbank gespeichert sind und einem einschlägig vorbestraften Mann gehören, dem sie auch eindeutig zugeordnet werden können.

Wäre das ein "tatnahes Indiz"?


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Badewannenunfall von Rottach-Egern

13.09.2019 um 21:09
Zitat von RosenmontagRosenmontag schrieb:@Andante
welche Indizien die gegen MG sprechen würdest Du den als tatnah bezeichnet?
da bin ich noch immer auf Deine Antwort gepannt.


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Badewannenunfall von Rottach-Egern

13.09.2019 um 21:16
Zitat von Seps13Seps13 schrieb:Dazu mal ein Beispiel:

Mal angenommen, Frau K. wäre erstochen aufgefunden worden, neben ihr liegt ein Messer (eindeutig die Tatwaffe), die offene Geldkassette ist leer. Auf dem Messer und der Geldkassette befinden sich Fingerabdrücke, die in einer Datenbank gespeichert sind und einem einschlägig vorbestraften Mann gehören, dem sie auch eindeutig zugeordnet werden können.

Wäre das ein "tatnahes Indiz"?
Ja, das wäre ein tatnahes Indiz im Sinne des BGH, was durch Indizien wie Nachtat- und Aussageverhalten, Bezug des Vorbestraften zum Opfer sowie der Überprüfung des Alibis des Vorbestraften und dessen wahrscheinlich einmalige Anwesenheit in der Wohnung des Opfers für eine Verurteilung ausreichen könnte. Ein Unfall-Ausschluss wäre als einziger Tat-Nachweis hinfällig.

*

Das Fehlen jeglicher "tatnaher Indizien" entspricht dem genauen Wortlaut des BGH im Pistazieneis-Fall und anderen Fällen mit Ausschluss-Tatnachweis. Da der Eis-Fall hier aber kein Thema mehr sein soll, versuche ich es am Fall Darsow zu verdeutlichen:

Die Schalldämpfer-Recherche bei Darsow ist ein tatnahes Indiz, weil Spuren eines selbstgebauten Schalldämpfers am Tatort gefunden wurden. Hätte Darsow auf der Arbeit nur recherchiert, wie man unliebsame Nachbarn aus dem Haus klagt, wäre das kein tatnahes Indiz, sondern nur ein Indiz für das Motiv.

Ganz ohne tatnahe Indizien wäre o.g. Indiz für ein Motiv aber wertlos, weil die reine Recherche nach Rechtsmitteln keinen konkreten Beweiswert für einen Mord aufweist. Eine Indizienkette ohne tatnahe Indizien ist problematisch, wenn der Tatnachweis nur durch Ausschlüsse erbracht wurde, die nicht ausreichend sicher (100%-Ausschluss oder Alternativen = völlig lebensfremd) belegt sind.

Im Fall Darsow wäre der Ausschluss der Rocker für ein Mordurteil zu wenig gewesen, auch die nachvollziehbare Herleitung des Motivs oder das Aussage- und Nachtatverhalten. Erst durch die erwiesene Schalldämpfer-Recherche (als tatnahes Indiz) ist das Urteil und die Indizienkette überzeugend.

Genau so ein tatnahes Indiz fehlt mir im Fall Genditzki - nach der Widerlegung der angeklagten erheblichen Unterschlagung in der Vorwoche der Tat. Ich habe den Eindruck, dass dieser im 1. Prozess entstandene Beweismangel, der m.E. berechtigte Zweifel an der Täterschaft und der erfundenen ausgetauschten Bezugstat zulässt, durch Überzeugungen des Gerichts und die freie richterliche Beweiswürdigung überspielt wurde.

Im Obduktionsbericht nahm der GM immerhin einen möglichen Unfall ohne Fremdeinwirkung an und gab die Leiche zur Einäscherung am Folgetag frei. Also ein zunächst aufgrund der Obduktion und der Polizeifotos als plausibel angenommener Unfall, den er vor Gericht nur auf Basis von Wahrscheinlichkeitsangaben revidiert - aber nicht ausgeschlossen - hat.


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Badewannenunfall von Rottach-Egern

13.09.2019 um 23:13
Zitat von Sector7Sector7 schrieb:Ja, das wäre ein tatnahes Indiz im Sinne des BGH, was durch Indizien wie Nachtat- und Aussageverhalten, Bezug des Vorbestraften zum Opfer sowie der Überprüfung des Alibis des Vorbestraften und dessen wahrscheinlich einmalige Anwesenheit in der Wohnung des Opfers für eine Verurteilung ausreichen könnte.

Es entwickelt sich hier aber in eine andere Richtung.
Die Polizei sucht die Wohnung dieses Mannes auf und findet seine Leiche. Er ist definitiv vor Frau K. verstorben und ihm wurden die Finger abgeschnitten.
Jetzt sind die Fingerabdrücke kein tatnahes Indiz mehr, die Beweiskraft ist entfallen.

Was also können nun einheitliche Kriterien für ein tatnahes Indiz sein?

Ein tatnahes Indiz ist für mich ein zeitlich, räumlich oder inhaltlich auf die Tat bzw. identifizierend auf den Täter bezogenes Indiz, das zusätzlich nicht unverdächtig zu erklären ist bzw. nur unter lebensfremden Annahmen (daraus resultiert dann die Beweiskraft). Bei der Entscheidung, was eine lebensfremde Annahme ist, können Wahrscheinlichkeiten zum Tragen kommen.

Tatwaffenfund im Haus des Täters wäre ein klarer inhaltlicher Bezug zur Tat. Wenn er den Besitz nicht unverdächtig erklären kann (z.B. erst nach der Tat käuflich erworben), wäre das ein tatnahes Indiz.

DNA von Toth an der Jacke seiner erschlagenen Tante: Identifizierendes Indiz, aber evtl. unverdächtig zu erklären (je nach Lokalisation und Umständen), hier ist fraglich, ob es ein tatnahes Indiz ist.

Bauschaumschalldämpferrecherche von Darsow: Inhaltlicher Bezug zur Tat, unverdächtig nur unter fernliegenden Annahmen (reiner Zufall, grundlose Recherche, nicht selbst am eigenen Rechner gewesen), also tatnahes Indiz.

Anrufe beim Hausarzt von Genditzki: Zeitliches und räumliches Indiz, außerdem identifizierend (er hat es zugegeben). Verdächtig, da kein plausibler Grund besteht (dabei kommt es auf Genditzkis Aussagen an!) Unverdächtig zu erklären?

Aus dem Urteil ergibt sich:

Keine plausible Erklärung zum angegebenen Grund "Pflegedienst-Nummer erfragen" (Frau K. und die Pflegemappe waren direkte greifbare Quellen, er hat offenbar nicht erklärt, dass weder ihm noch Frau K. die Pflegemappe eingefallen ist)

Keine Erklärung zum Wechsel in der Angabe des Grundes (von Nummer erfragen zu Knieschmerzen zu beidem; fehlende Erklärung können wir nicht ersetzen)

Keine Erklärung für zweimalige Anrufe und sofortiges Auflegen nach weniger als einer Sekunde bzw. weniger als zwei Sekunden.

-> Damit bleibt es dabei, dass es sich um unplausible und nicht unverdächtig zu erklärende (nochmal: unsere Erklärungen ersetzen oder ergänzen nicht seine Aussagen) Anrufe handelte mit zeitlichem und räumlichem Tatbezug und somit um ein tatnahes Indiz.

Der einzige Unterschied zur Bauschaumschalldämpferrecherche ist, dass dort der auf die Tat bezogene Grund der verdächtigen Handlung auf der Hand liegt, also der Interpretationsbedarf auf Null reduziert ist, während bei den Anrufen noch Interpretationsbedarf besteht (Hilfeholenwollen oder Vortäuschen eines Hilferufs durch Frau K.). Es ist insofern schwächer als das Darsow-Indiz, aber beide tatbezogenene Interpretationen ergeben Sinn und dadurch ist das Indiz als Stellschraube bei einem Ausschluss-Tatnachweis definitiv geeignet, insbesondere, da noch weitere Indizien hinzukommen.

Schlüsselsteckenlassen ist ebenfalls ein tatnahes Indiz durch zeitlichen und räumlichen Bezug, ebenfalls der Person MG zuzuordnen und ebenfalls verdächtig. Nicht weil es keinen plausiblen Grund gibt (Zugangsmöglichkeit des Pflegedienstes während Frau K. schläft), sondern weil es noch nie vorkam und den Umständen nach äußerst seltsam anmutet. Die Unverdächtig-Erklärung ist lt. Gericht nicht gelungen, auch hier besteht tatbezogenen wieder Interpretationsbedarf, die Erklärung des Gerichts ist plausibel, Beweiskraft ist gegeben.

Das sind zwei tatnahe Indizien, die einen Verdacht begründen (kein plausibler Grund für das Verhalten bzw. zum ersten Mal vorgekommen), die beide nicht von MG unverdächtig erklärt werden konnten, die somit tatnahe Indizien sind, die aber durch den Interpretationsbedarf etwas an Beweiskraft verlieren.

Wir haben hier also ein tragfähiges Ausschlussverfahren, zwei nicht unverdächtig zu erklärende, tatnahe Indizien und ein darüber hinaus auffälliges Verhalten des Verurteilten.

Das ist revisionsfest und wurde auch entsprechend so behandelt.


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Badewannenunfall von Rottach-Egern

14.09.2019 um 01:30
Zitat von Seps13Seps13 schrieb:Es entwickelt sich hier aber in eine andere Richtung.
Die Polizei sucht die Wohnung dieses Mannes auf und findet seine Leiche. Er ist definitiv vor Frau K. verstorben und ihm wurden die Finger abgeschnitten.
Jetzt sind die Fingerabdrücke kein tatnahes Indiz mehr, die Beweiskraft ist entfallen.
Lool :D Dieser absurden nachträglichen Veränderung deines Beispiels folge ich nicht mehr. Daher komme ich gleich auf dein ursprüngliches Beispiel zurück.

Eine lediglich vage vermutete Anwesenheit des Vorbestraften in der Wohnung des Opfers zum Todeszeitpunkt und der Ausschluss von Dritten reicht nicht, erst durch die beiden tatnahen Indizien (Tatwaffe mit Fingerabdrücken + Geldkassette mit Fingerabdrücken und fehlendem Inhalt) ergibt sich eine tragfähige Indizienkette.

Genditzkis bloße Anwesenheit in der Wohnung bis vllt. 15:06 Uhr inkl. seinem unbelegten Bezugstat- und subjektiv verdächtigen Nachtat-Verhalten reicht in meinen Augen nicht, weil der Todeszeitpunkt nicht auf seine Anwesenheit eingrenzbar ist (sondern im Gegenteil anhand der groben zeitlichen Bewertung der Todeszeichen eher später liegt), weil die Annahme eines Unfalls nicht unmöglich oder völlig lebensfremd ist, weil die ausgetauschte Bezugstat eine zweifelhafte Erfindung ohne Fakten ist und last but not least, weil es neben dem eh schon wackeligen Triple-Ausschluss-Tatnachweis

(1) Ausschluss Sturz
(2) Ausschluss Wannennutzung
(3) Ausschluss anderer Ursachen für die Kopf-Hämatome

... eben kein einziges tragfähiges und tatnahes Indiz gibt.


Das Gericht schließt einen Sturz (1) aus, weil es Stürze vom linken oder mittigen Wannenrand für technisch unwahrscheinlich bis unmöglich hält, weil es für einen möglichen Sturz vom rechten Wannenrand keinen Grund findet und weil es den eigenen Ausschluss (2) als weiteres Indiz verwendet. Ignoriert werden Dinge wie, dass man von der Endpostion nicht auf die Ausgangsposition schließen kann, dass es unmöglich ist, alle Sturzvarianten zu simulieren, erst recht ohne den Einsatz von Computer-Technik, dass die Endposition nicht gesichert ist und dass das Opfer noch sehr kurze Rettungsbewegungen unternommen haben könnte, wobei die Zeit zum Bedienen der Armaturen nicht mehr ausreichte.

Der Ausschluss (2) basiert darauf, dass es angeblich keine Hinweise (keine Zeugen, keine Fäkalwäsche) auf ein Wäscheeinweichen gebe, obwohl der Tatort nicht ausreichend untersucht wurde (Inhalt der Tüten, Wasch- / Einweichmittel, Fingerabdrücke Wäschetrockner), obwohl exklusive DNA des Opfers an den Armaturen war und obwohl das Opfer außer MG keine besonders aussagekräftigen Bezugspersonen hatte und die Putzfrau nach Abbau des Wannenlifters 2 Monate nicht mehr in der Wohnung war (weshalb man durchaus ehemalige Mitbewohner hätte ermitteln können, bevor man falsch feststellt, dass LK noch nie Wäsche in der Badewanne eingeweicht hat).

Der Ausschluss (3) erfolgte, obwohl die Kopf-Hämatome 10 Minuten, 4 Stunden oder wenige Tage alt sein konnten. Das Gericht schließt einige Ursachen aus (Sturz im Krankenhaus, Verletzung im Auto, Sturz aus dem Bett, Sturz vor dem Vorbereiten der Wanne zum Wäsche einweichen), lässt andere aber unberücksichtigt (zB. mehrstufiges Sturzgeschehen nach dem Vorbereiten der Wanne oder eine Kopfverletzung mit Bewusstlosigkeit beim Sturz in die Wanne bei noch nicht zum Ertrinken ausreichendem Wasserstand).

Die verbleibende Kette aus Nebenindizien setzt die Schlussfolgerungen aus den Ausschlüssen (1-3) scheinbar schon voraus, ansonsten ist diese einseitig belastende Wertung nicht erklärbar. ZB wird eine vorausgegangene unbewiesene Körperverletzung (3) mit Bewusstlosigkeit oder erheblicher Bewusstseinstrübung vorausgesetzt, wenn man die Anrufe beim Hausarzt als Notruf im ersten Impuls annimmt, obwohl der Angeklagte gar nicht die Notrufnummer (112) wählte und obwohl er 2x im Abstand von 14 Sekunden anrief, lt. Gericht beim ersten Anruf aber innerhalb 1 Sekunde auflegte, weil er sich den Konsequenzen bewusst wurde.
Zitat von Seps13Seps13 schrieb:Das sind zwei tatnahe Indizien, die einen Verdacht begründen (kein plausibler Grund für das Verhalten bzw. zum ersten Mal vorgekommen), die beide nicht von MG unverdächtig erklärt werden konnten, die somit tatnahe Indizien sind, die aber durch den Interpretationsbedarf etwas an Beweiskraft verlieren.

Wir haben hier also ein tragfähiges Ausschlussverfahren, zwei nicht unverdächtig zu erklärende, tatnahe Indizien und ein darüber hinaus auffälliges Verhalten des Verurteilten.

Das ist revisionsfest und wurde auch entsprechend so behandelt.
Das Gericht sieht Genditzki durch den Unfall-Ausschluss (1+2), durch die per Ausschluss erdachte Bezugstat (3) und die folgenden 6 Indizien als "überführten" (Urteil S. 78) Mörder an:
- Anrufe beim Hausarzt
- Schlüssel-Steckenlassen inkl. Aussagen zur Schlüsselvereinbarung
- Verschweigen des Todes ggü. der Frau am Abend nach 21 Uhr
- auffällige und ungefragte Übergabe des Kassenbons + Schmuck an die Polizei
- "Dahingerumpelt"-Aussage
- Hergeleitetes Motiv "Stress mit Frau K." (belegt durch eine einzige Zeugenaussage bzgl. einer irgendwann mitgehörten lautstarken Meinungsverschiedenheit zwischen LK und MG und durch viele Aussagen bzgl. eines Schikanierens des Angeklagten durch das Opfer)

Das erscheint mir insgesamt zu dünn.

Deiner ausführliche Argumentation, warum die Anrufe und das Schlüssel-Steckenlassen 2 "tatnahe Indizien" seien, habe ich interessiert gelesen. Deine Einsicht, dass diese beiden Indizien durch den Interpretationsbedarf (weil eben kein Fakt, wie eine Schalldämpfer-Recherche) an Beweiskraft verlieren, finde ich ...
Spoiler
faaae0d311626f22 s13

Oder habe ich "etwas" übersehen? :-)



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Badewannenunfall von Rottach-Egern

14.09.2019 um 05:33
Zitat von RosenmontagRosenmontag schrieb:In beiden Fällen wurden die Angeklagten verurteilt ohne das Vorhandensein tatnaher Indizien. In beiden Fällen führte nMn die subjektive Überzeugung des Gerichtes zur Verurteilung.
Die Rechtsprechung des BGH dient ja nicht (nur) der Lösung eines konkreten Falls, sondern soll gleichzeitig generelle Grundsätze festlegen. Das ist Sinn und Zweck höchstrichterlicher Entscheidungen. Insofern sind die sogenannten "Pistazieneisfälle" (es gibt zwei BGH Urteile dazu, landläufig "Pistazieneisfall I" und "Pistazieneisfall II" genannt, genaue Fundstellen sind BGH 1 StR 247/96 - Urteil vom 31. Juli 1996 (LG Stuttgart) ("Pistazieneisfall I) und BGH 1 StR 171/98 - Urteil v. 19. Januar 1999 (LG Heilbronn) (Pistazieneisfall II), durchaus für diesen Fall hier sehr interessant. Insofern wage ich mal meiner geschätzten ehem. Mod-Kollegin @Carietta zu widersprechen.

Beide Urteile sind im Zusammenhang mit diesem Fall hier sehr lesenswert:
Fundstellen:
https://www.hrr-strafrecht.de/hrr/1/96/1-247-96.php3 (Pistazieneisfall I)
https://www.hrr-strafrecht.de/hrr/1/98/1-171-98.php3 (Pistazieneisfall II)

Man schaue sich einmal an, was der BGH hier gesagt hat:
Insgesamt ist der Tatrichter bei seiner Beweiswürdigung zwar frei (§ 261 StPO); die von ihm gezogene Schlußfolgerungen müssen nur möglich, nicht aber zwingend sein. Seine Feststellungen dürfen sich aber nicht so sehr von einer festen Tatsachengrundlage entfernen, daß sie letztlich bloße Vermutungen sind, die nicht mehr als einen, sei es auch schwerwiegenden Verdacht begründen
PI, RN 11
Da Motive und tatnahe Indizien fehlen, zieht das Landgericht aus zahlreichen Verhaltensweisen und allgemeinen, aber nicht unmittelbar tatbezogenen Äußerungen der Angeklagten Folgerungen zu ihren Lasten. Demgegenüber wird Gleichartiges auf Seiten der Eltern als plausibel, nachvollziehbar u. ä. qualifiziert. Dabei handelt es sich jedoch nur um zahlreiche Spekulationen über innere Vorgänge oder Vermutungen zu allenfalls möglichen (oder auch näher liegenden) Sachverhalten, ohne daß dies durch (wesentlich) mehr als die "Überzeugung" des Landgerichts gestützt wird.
PII, RN 8
Diese unterschiedliche Bewertung vergleichbarer und jeweils für die konkrete Beweisfrage kaum aussagekräftiger Verhaltensweisen von Personen, die - jeder für sich - kein erkennbares Tatmotiv hatten, ist nur so zu erklären, daß das Landgericht die Täterschaft der Angeklagten bei der Bewertung der einzelnen Geschehnisse jeweils gedanklich bereits vorausgesetzt, bei anderen Personen aber ausgeschlossen hat.
PII, RN 13

Usw.

Hier ist schon legitim, die Beweiswürdigung des Münchener Landgerichts II kritisch zu betrachten.

Auch hier liegt kein durch Indizien untermauertes Tatmotiv bei Genditzki vor. Ähnlich wie im Pistazieneisfall nimmt das Landgericht ein Motiv - hier der "Streit" - einfach an, ohne Indizien zu besitzen, welche diese Annahme untermauern. Und die restliche Beweiswürdigung zeigt m.E. relativ deutlich, dass das Gericht die Täterschaft Genditzkis gedanklich bereits vorausgesetzt hat. Lag im Pistazieneisfall zwar die Tatdurchführung zweifelsfrei vor - hier eine Vergiftung mit Arsen -, es stellte sich aber die Frage, ob andere als die Verurteilte die Täter hätten sein können. In unserem Fall hier kommen vermutlich keine anderen Täter als Genditzki in Frage - in dieser Frage hat das LG München wohl Recht -, aber es stellt sich die Frage, ob es überhaupt einen Täter gab, oder ob eben doch ein Unfallgeschehen ohne Fremdeinwirkung den Tod des Opfers verursacht hat.

Im Pistazieneisfall beruft sich das LG Heilbronn z.B. auf "Nachtatverhalten" der Angeklagten, auch das LG München beruft sich darauf bei Genditzki.

Insofern ist es durchaus legitim, die vom BGH aufgestellten Regeln zur Beurteilung des Sachverhalts im Pistazieneisfall mit der vom LG München durchgeführten Beweiswürdigung zu vergleichen.

Man darf dann selbst Schlüsse ziehen (wie das hier unterschiedliche Richter des 1. Strafsenats des BGH offensichtlich auch getan haben. Die bekannte Kritik am 1. Senat unter dem Vorsitzenden Nack ist ein anderes kleines Detail, das man natürlich auch nicht vergessen darf. Das erinnert an die unter Juristen verbreitete Diskussion, inwieweit Juristerei eine "Wissenschaft, eine Kunst oder gar ein Handwerk" sei. Das ist freilich sehr nachdenkenswert.)

Inhaltlich schliesse ich mich der detaillierten Aufstellung von @Sector7 hier an.

Abschliessend zitiere ich noch einmal aus dem PII die Zusammenfassung des 1. Senats unter Schäfer:
Gegen die vorsätzliche Tötung des Kindes durch die Angeklagte spricht, daß auch in der zweiten Hauptverhandlung - von theoretischen Möglichkeiten, die keinen Schluß zum Nachteil der Angeklagten gestatten, abgesehen - kein Motiv für die Tatbegehung festgestellt werden konnte, kein unmittelbar tatbezogenes Indiz gegen die Angeklagte vorhanden ist und nach den Feststellungen des sachverständig beratenen Landgerichts auch kein "geordneter Wahn" vorlag, der ein Handeln durch die Angeklagte erklären könnte. Die Tatbegehung durch sie ist immer noch "kaum verständlich", während umgekehrt andere Ursachen für den Tod des Kindes nicht ausgeschlossen werden können. Bei dieser Sachlage fehlt endgültig eine objektiv hohe Wahrscheinlichkeit der Tatbegehung durch die Angeklagte, die aber nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs Voraussetzung für eine Verurteilung wäre ( Zitate weggelassen) und nicht allein durch die, für die Verurteilung freilich zusätzlich erforderliche, subjektive richterliche Überzeugung ersetzt werden kann. Deshalb kann von Rechts wegen eine sichere Überzeugung von der Täterschaft der Angeklagten nicht gewonnen werden.
PII RN 28

Eine Schlussfolgerung, die ich im Genditzki-Fall ebenfalls treffen würde.


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Badewannenunfall von Rottach-Egern

14.09.2019 um 08:01
@Rick_Blaine

Das sind alles sehr bedenkenswerte Ausführungen. Sie treffen meines Erachtens aber nur dann zu, wenn eine Auswahl unter mehreren Tatverdächtigen besteht, also die Tat von mehreren möglichen Tätern begangen werden konnte. Da kommt es dann natürlich entscheidend darauf an, welchem der potentiellen Täter man die Tat zuordnen kann, wer ein überzeugendes Motiv hatte und dergleichen.

Gerade das aber ist hier nicht der Fall. Im Pistazieneisfall war nicht die Frage, ob sich ein Verbrechen ereignet hat, sondern wer der Täter ist. Hier ist die Frage, ob sich überhaupt ein Verbrechen ereignet hat. Wer der Täter ist bzw. sein muss, ist dann relativ klar, da es nur eine Möglichkeit gibt.

Wenn im Fall Rottach-Egern der alles entscheidende 1. Ausschluss (kein Unfall, sondern Mord) getroffen wurde, nämlich dass es Mord war, bleibt nur noch Fremdeinwirkung, und da bleibt als Verursacher dann nur Genditzki, da er zuletzt alleine mit dem noch lebenden Opfer war und Dritte wie Pflegekräfte ausgeschlossen werden konnten.

Der Anlass für den Streit, der bei G so ausdauernd gesucht wird, ist - angesichts der Tatsache, dass es unter den gegebenen Umständen niemand anders gewesen sein kann - durchaus zweitrangig. Unplausibel ist es keineswegs, dass im Verlaufe dieses Streits G dem Opfer die Hämatome beibrachte und sich dann entschloss, zur Verdeckung dieser Körperverletzung einen Unfall zu inszenieren.


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14.09.2019 um 08:20
Zitat von AndanteAndante schrieb:Gerade das aber ist hier nicht der Fall. Im Pistazieneisfall war nicht die Frage, ob sich ein Verbrechen ereignet hat, sondern wer der Täter ist. Hier ist die Frage, ob sich überhaupt ein Verbrechen ereignet hat. Wer der Täter ist bzw. sein muss, ist dann relativ klar, da es nur eine Möglichkeit gibt.
es konnte aber ebenso kein Unfall 100%ig ausgeschlossen werden. Daher ist sehr wohl vergleichbar. Der Ausschluss eines Sturzes beruft sich lediglich auf das Auschlussverfahren des Gerichts. Selbst der Gerichtsmediziner hat einen Sturz nicht 100%ig ausschließen können.

Da es kein Motiv für die Tötung der Frau K. gibt, hätte man ebenso wie im Pistazieneis-Fall entscheiden können.


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14.09.2019 um 08:41
Zitat von Sector7Sector7 schrieb:Dieser absurden nachträglichen Veränderung deines Beispiels folge ich nicht mehr.
Wieso absurd? Ganz normaler Krimi-Plot :)

Das sollte aber auch nur verdeutlichen, dass eine Auffälligkeit, die auf den ersten Blick in frappierend engem Zusammenhang mit der Tat steht, immer noch unverdächtig erklärt werden kann und dass dies ein entscheidender Punkt ist.

1. Eine Begebenheit, eine Spur oder ein Fund ist auffällig.
2. Hat einen räumlichen, zeitlichen und/oder inhaltlichen Bezug zur Tat oder identifizierend zum Täter.
3. Ist nicht unverdächtig zu erklären
4. Kann aber sinnvoll mit der Tat erklärt werden.

Wenn alles erfüllt ist, handelt es sich in meinen Augen um ein tatnahes Indiz.
Zitat von Sector7Sector7 schrieb:Deine Einsicht, dass diese beiden Indizien durch den Interpretationsbedarf (weil eben kein Fakt, wie eine Schalldämpfer-Recherche) an Beweiskraft verlieren,
"Fakt" ist nicht der Unterschied, sondern der Grad der (richterlichen) Gewissheit, ob die Interpretation zutrifft (der aber wiederum auf Fakten bzw. allgemeiner Lebenserfahrung basiert.)
Nochmal genauer:

Wir sind hier bei Punkt 4., alle anderen Punkte sind abgehakt.
Das Gericht muss die Bauschaumschalldämpferrecherche interpretieren. Das fällt leicht. Fakt ist, dass Recherchen nach Bauschaumschalldämpfern so selten sind (sowohl allgemein als auch in Bezug auf Darsow), dass eine Erklärung mit der Tat zwangsläufig ist. Diese Zwangsläufigkeit ist das, was ich unter Punkt 4. mit Grad der Gewissheit der tatbezogenen Interpretation bezeichnen würde (hier Interpretationsbedarf auf Null reduziert).

Bei den Anrufen haben wir die anderen Punkte ebenfalls abgehakt. Lediglich der Grad der Gewissheit der tatbezogenen Interpretation wird geringer sein, weil er eben sehr von der Person des Täters und was er bezweckt haben könnte, abhängt.

Es gibt aber auch bei einem höheren Interpretationsbedarf im Zusammenhang mit der fehlgeschlagenen Unverdächtig-Erklärung des Tatverdächtigen nur denktheoretische fernliegende Möglichkeiten, das Verhalten/die Begebenheit/die Spur noch unverdächtig zu erklären.
Bei der Prüfung ist Punkt 3. entscheidender als der Grad der Gewissheit bei Punkt 4, der im Urteil ohnehin nicht als solcher gekennzeichnet ist.

Das ist hier im Ergebnis kein so großer Unterschied zum Darsow-Indiz, wie du meinst.


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14.09.2019 um 08:48
Zitat von AndanteAndante schrieb:Gerade das aber ist hier nicht der Fall. Im Pistazieneisfall war nicht die Frage, ob sich ein Verbrechen ereignet hat, sondern wer der Täter ist. Hier ist die Frage, ob sich überhaupt ein Verbrechen ereignet hat. Wer der Täter ist bzw. sein muss, ist dann relativ klar, da es nur eine Möglichkeit gibt.
wenn dem so wäre, stellt sich mir die Frage, warum es überhaupt einen Strafprozess gegeben hat.
Zitat von AndanteAndante schrieb:Wer der Täter ist bzw. sein muss, ist dann relativ klar, da es nur eine Möglichkeit gibt.
Das ist nMn genau die im vom BHG im Pistazieneisfall angemahnte "subjektive Überzeugung" die zur einer Verurteilung führte und nicht der Verlauf des Strafprozesses.


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14.09.2019 um 09:22
Zitat von AndanteAndante schrieb:Wenn im Fall Rottach-Egern der alles entscheidende 1. Ausschluss (kein Unfall, sondern Mord) getroffen wurde, nämlich dass es Mord war, bleibt nur noch Fremdeinwirkung, und da bleibt als Verursacher dann nur Genditzki, da er zuletzt alleine mit dem noch lebenden Opfer war und Dritte wie Pflegekräfte ausgeschlossen werden konnten.
Das ist sicher richtig, aber nur, wenn man entschieden hat, dass ein Verbrechen vorliegt. Hier aber ist es so, dass m.E. das Gericht vorschnell ausgeschlossen hat, dass ein Unfall vorliegt. Und für diesen Ausschluss gelten m.E. die Anmerkungen des BGH ebenso wie im Pistazieneisfall.

Wie wir uns drehen und wenden: an der Unfallfrage scheiden sich die Geister.


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14.09.2019 um 09:31
Zitat von RosenmontagRosenmontag schrieb:wenn dem so wäre, stellt sich mir die Frage, warum es überhaupt einen Strafprozess gegeben hat.
Einen Strafprozess hat es gegeben, weil die StA ihr Ermittlungsverfahren gegen G nicht eingestellt, sondern gegen G Anklage bei Gericht erhoben hat.
Zitat von RosenmontagRosenmontag schrieb:Das ist nMn genau die im vom BHG im Pistazieneisfall angemahnte "subjektive Überzeugung" die zur einer Verurteilung führte und nicht der Verlauf des Strafprozesses.
Du zäumst das Pferd von hinten auf. Es ist nicht so, dass das Gericht sich G quasi als Schuldigen ausgesucht hat. Die Kette der Überlegungen des Gerichts war vielmehr genau andersherum, wie hier schon mehrfach dargelegt wurde.

Als erstes wurde im Strafprozess gefragt, ob es Unfall oder Mord war. Wäre das Gericht zum Ergebnis gekommen, dass es ein Unfall war, wäre hier Schluss gewesen, es wäre überhaupt nicht mehr gefragt worden, ob G oder jemand anders der Täter ist. Denn bei Unfall hätte es ÜBERHAUPT KEINEN Täter gegeben, egal G oder sonstwen. Also Freispruch.

Nun kam das Gericht aber nicht zu dem Schluss, dass es ein Unfall war, sondern Fremdeinwirkung. Und da hat das Gericht geguckt, ob der Angeklagte G als Fremdeinwirkender, also als Täter, in Betracht kommt. Und INSOWEIT (nicht schon bei der Vorfrage Unfall oder nicht, weil es da noch keine Rolle spielte) hat das Gericht dann - in Bezug auf G als den Angeklagten - belastende und entlastende Momente geprüft. Es hat also als entlastendes Moment untersucht, ab jemand Dritter als Fremdeinwirkender in Frage kommt (Marina etc.), hat das aber nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme verneint, weil Marina ein Alibi hat usf.

Als belastend für G hat es dessen hier bereits sattsam aufgeführtes, FAKTENBASIERTES Nachtatverhalten wie die Telefonanrufe, das Bonvorzeigen etc. gewürdigt.

Das Gericht hat also nicht Lotterie gespielt, sondern ist unter Beachtung der vorgefundenen Indizienvöllig logischen Gedankengängen gefolgt. Zum Schluss kam es zum Ergebnis, dass alles auf Gs Täterschaft hindeutet und nichts auf die Täterschaft von jemand anderem.
Zitat von Rick_BlaineRick_Blaine schrieb:Wie wir uns drehen und wenden: an der Unfallfrage scheiden sich die Geister.
Genau. Die Frage, ob Unfall oder nicht, ist hier die entscheidende Frage. Darauf allein hebt ja auch der WA-Antrag ab, nicht etwa (zusätzlich) auf mögliche Alternativtäter, was man zur Sicherheit ja hätte machen können. Frau Rick weiß aber genau, dass mit der Alternativtäterfrage kein Blumentopf zu gewinnen ist.


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14.09.2019 um 10:03
Zitat von Rick_BlaineRick_Blaine schrieb:Hier aber ist es so, dass m.E. das Gericht vorschnell ausgeschlossen hat, dass ein Unfall vorliegt. Und für diesen Ausschluss gelten m.E. die Anmerkungen des BGH ebenso wie im Pistazieneisfall.
Das ist eine interessante Frage. Die Ausführungen des BGH beziehen sich - bei unstrittig festgestelltem Verbrechen - auf die Beweislage bezüglich innerer Vorgänge der Angeklagten (mögliches Motiv), und die Frage war, was alles dazugehört, um innere Vorgänge eines Menschen zu beweisen.

Ganz anders aber bei Geschehen, wo die innere Lage einer Person, deren Antriebe etc., keine Rolle spielen (außer beim Opfer, wo gefragt werden muss, was es an und in der Wanne wollte), sondern die biomechanische Seite und Plausibilität eines möglichen Sturzgeschehens, wozu Beweis durch Sachverständigengutachten erhoben wurde.

ME ist daher auch in diesem Punkt der Fall G dem Pistazieneisfall nicht vergleichbar. Das sind verschiedene Paar Schuhe.


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14.09.2019 um 13:38
Was ist das für ein Pistazieneisfall, auf dem ihr die ganze Zeit rumreitet?


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14.09.2019 um 14:34
@Katinka1971

Siehe hier (Dank an @Rick_Blaine !):

https://www.hrr-strafrecht.de/hrr/1/96/1-247-96.php3 (Pistazieneisfall I)
https://www.hrr-strafrecht.de/hrr/1/98/1-171-98.php3 (Pistazieneisfall II)


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14.09.2019 um 14:49
Zitat von AndanteAndante schrieb:Ganz anders aber bei Geschehen, wo die innere Lage einer Person, deren Antriebe etc., keine Rolle spielen (außer beim Opfer, wo gefragt werden muss, was es an und in der Wanne wollte), sondern die biomechanische Seite und Plausibilität eines möglichen Sturzgeschehens, wozu Beweis durch Sachverständigengutachten erhoben wurde.

ME ist daher auch in diesem Punkt der Fall G dem Pistazieneisfall nicht vergleichbar. Das sind verschiedene Paar Schuhe.
Zitat von Rick_BlaineRick_Blaine schrieb:Das ist sicher richtig, aber nur, wenn man entschieden hat, dass ein Verbrechen vorliegt. Hier aber ist es so, dass m.E. das Gericht vorschnell ausgeschlossen hat, dass ein Unfall vorliegt. Und für diesen Ausschluss gelten m.E. die Anmerkungen des BGH ebenso wie im Pistazieneisfall.
Vergleichbar sind die Fälle nicht. Aber die Grundsätze des BGH sind auf den Fall hier ohne Weiteres anwendbar.

Die Beweisführung durch die Sachverständigen ergab eben nicht, dass es keinen Sturz gegeben haben kann. Sondern entscheidend für den Ausschluss eines Sturzes durch das LG ist das Fehlen eines erkennbaren Grundes, die Badewanne zu befüllen. Grundlage dafür sind innere Tatsachen, nämlich ob es ein Motiv oder den Willen des Opfers gegeben haben könnte (nicht ausschließbar), sind entsprechend verhalten zu haben. Dass ein solches Motiv und tatnahe Indizien (aus Sicht des LG) fehlen, zieht es aus zahlreichen Verhaltensweisen des Opfers. Dabei handelt es sich jedoch nur um Spekulationen über innere Vorgänge oder Vermutungen zu allenfalls möglichen (oder auch näher liegenden) Sachverhalten, ohne dass dies durch (wesentlich) mehr als die "Überzeugung" des Landgerichts gestützt wird (S. 59):
Zur Überzeugung der Kammer ist ein Sturzgeschehen, das aufgrund der Ausführungen der Sachverständigen nur aus einer eng begrenzten Ausgangslage überhaupt denkbar ist, auszuschließen. Der Kammer erschließt sich nicht, warum sich Frau ... an der betreffenden Stelle, d.h. auf der rechten Seite der Badewanne, in der oben beschriebenen, vorgebeugten Körperhaltung vor die Badewanne gestellt haben sollte. Wenn sie z.B. das Wasser hätte aufdrehen wollen, so hätte sich eine Position in der Nähe der Armatur, auf der linken Seite, angeboten, nicht jedoch an der Türseite der Badewanne, von wo aus die Armatur nicht bzw. nur schwer zu erreichen ist.
Schon die Wortwahl "wenn sie z.B. das Wasser hätte aufdrehen wollen" ist hierbei bemerkenswert. Denn Frau K. muss ja nicht versucht haben, die Armatur aufzudrehen. Vielmehr wird mit einer Annahme die nächste Annahme begründet:
Zitat von Sector7Sector7 schrieb:Der Ausschluss (2) basiert darauf, dass es angeblich keine Hinweise (keine Zeugen, keine Fäkalwäsche) auf ein Wäscheeinweichen gebe, obwohl der Tatort nicht ausreichend untersucht wurde (Inhalt der Tüten, Wasch- / Einweichmittel, Fingerabdrücke Wäschetrockner), obwohl exklusive DNA des Opfers an den Armaturen war und obwohl das Opfer außer MG keine besonders aussagekräftigen Bezugspersonen hatte und die Putzfrau nach Abbau des Wannenlifters 2 Monate nicht mehr in der Wohnung war (weshalb man durchaus ehemalige Mitbewohner hätte ermitteln können, bevor man falsch feststellt, dass LK noch nie Wäsche in der Badewanne eingeweicht hat).
Im Grunde hätte der BGH die Entscheidung des LG auch kassieren müssen. Bzw. hätte er erklären müssen, warum er dies hier nicht tut. Hat er nicht. Dafür gibt es eine ganze Reihe von möglichen Gründen, die nicht immer etwas mit dem Recht oder der angeblich erwiesenen Schuld des Angeklagten zu tun haben müssen (habe ich bereits an anderer Stelle ausgeführt).


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Badewannenunfall von Rottach-Egern

14.09.2019 um 15:04
Ich möchte kurz meine Gedanken zu den Aussagen der PflegedienstmitarbeiterInnen zusammenfassen:

Laut Aussage der o.g. wurde Frau K., die Hilfe beim Baden angeboten.

Stellt sich dir Frage, warum?

  • Im Urteil wurde nicht festgehalten, dass Frau K. eine Pflegestufe (heute Pflegegrad) beantragt hat.

  • Es wurde beschrieben, dass in einem Brief an die KK von "dementiver Entwicklung" berichtet wurde. Der Brief wurde vom Hausarzt verfasst, um aus "verordnungstechnischen Gründen" die Medikamentenabgabe durch den Pflegedienst zu rechtfertigen

  • Die Medikamentenabgabe (durchgeführt vom Pflegedienst) ging also zu Lasten der KK.

  • Warum sollte der Pflegedienst bzw. die MitarbeiterInnen, Frau K. die Hilfe beim Baden anbieten? Es gibt nicht mehr Vergütung und Frau K. war kein Pflegefall

1. Hilfsbereitschaft, weil Frau K. doch ein Bad benötigte
2. Akquise von mehr Pflegeleistungen/ Kunden
3. evtl. fehlerhafte Aussagen, um den Pflegedienst besser dastehen zulassen.


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Badewannenunfall von Rottach-Egern

14.09.2019 um 16:08
Zitat von monstramonstra schrieb:Sondern entscheidend für den Ausschluss eines Sturzes durch das LG ist das Fehlen eines erkennbaren Grundes, die Badewanne zu befüllen.
Ich denke nicht, dass das alleinentscheidend war. Genau so mitentscheidend war der Schluss der Gutachter, dass, ausgehend von der vorgefundenen Endposition, ein Sturz praktisch ausgeschlossen war (Ausnahme von der ganz rechten Position aus, wo aber die Armatur nicht greifbar war).

Natürlich kann man die Ansicht vertreten, dass das Gericht, obwohl es nach Beweisaufnahme keinen tatsächlichen Hinweis darauf hatte, dass das Opfer (heimlich) allein zu baden oder Wäsche in der Wanne zu waschen pflegte, dies trotzdem hätte annehmen sollen oder dass Frau K, obwohl die Gutachter dies gerade ausschlossen, rechts oder mittig vor der Wanne stehend in dieselbe gefallen ist, wobei sie sich zwingend irgendwann irgendwo vorher, Grund unbekannt, die Hämatome am Hinterkopf hätte zugezogen haben müssen.

Da wäre man dann aber, anders als das Gericht, das halt Fakten für seine Ausschlüsse hatte, im Bereich der reinen Spekulation, die im Pistazieneisfall für das Motiv der Angeklagten vorlag, hier aber weder für ein Sturzgeschehen als solches noch nachfolgend für den Ausschluss anderer möglicher Täter als G anzunehmen ist. Insofern geht es in Ordnung, dass der BGH das Urteil NICHT kassiert hat, da das LG München II sich im Rahmen der vom BGH zum Pistazieneisfall ergangenen Rechtsprechung gehalten hat.


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Badewannenunfall von Rottach-Egern

14.09.2019 um 21:52
Zitat von AndanteAndante schrieb:Insofern geht es in Ordnung, dass der BGH das Urteil NICHT kassiert hat, da das LG München II sich im Rahmen der vom BGH zum Pistazieneisfall ergangenen Rechtsprechung gehalten hat.
Das ist durchaus möglich, wobei ich die Kausalität ("weil") nicht für zwingend halte. Die Fälle sind - wie gesagt - nicht vergleichbar. Dennoch halte ich es für sehr problematisch, eine Verurteilung ohne tatnahe Indizien aufgrund von Annahmen, die lediglich einen Verdacht rechtfertigen und eines (hoffentlich unstreitig!) spekulativen Motivs vorzunehmen.

Letztlich ist auch der Ausschluss eines Sturzes eine These, die sich nicht beweisen lässt, weil er wiederum auf Thesen beruht, die sich nicht beweisen lassen. Das mag alles vordergründig faktenbasiert sein, erfolgt jedoch - meiner Überzeugung nach - unter Falschgewichtung und Ausblendung entscheidender Fakten, weil die bei der Beweiswürdigung bereits existierende Überzeugung den Blick lenkt. Sichere Überzeugung lässt sich nicht herstellen, indem man (eigentlich) objektiv unsichere Annahmen subjektiv mit Sicherheit belegt und übereinander türmt.

M.a.W.: Die Beweiswürdigung erfolgt nicht unvoreingenommen (womit ich aber keinen Vorsatz unterstellen will, denn Irrtümer können jedem passieren). Solche Irrtümer auf der Tatsachenebene sind auch für den BGH nur schwer erkennbar bzw. korrigierbar.


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