Die Geschichte von K&L bewegt mich vom ersten Tag. Ich habe nicht nur das wunderbar recherchierte Buch gelesen, sondern auch den kompletten Thread von Beginn an und mindestens genauso lange berührt und bewegt mich das Schicksal.
@Doctective@AnnjuIch möchte mir kein Urteil anmaßen, ob die beiden sich „einfach“ nur verlaufen haben, oder ob ein FP/Übergriff stattgefunden hat, oder eine Kombination von Beiden.
Ich selbst habe nur hochalpine Erfahrung und im engsten Freundeskreis mit der Bergrettung und diversen Hunderettungsstaffeln zu tun. Mein Schwager ist Costa Ricaner, ist im Dschungel groß geworden (25 Jahre lang und läuft auch im Dschungel barfuß, ein richtiger Nativ), lebt zwar jetzt in Deutschland, macht aber jedes Jahr 6 Wochen Urlaub dort und führt Touristen durch den Dschungel.
Ich habe jetzt in den letzten Tagen viel mit ihm diskutiert und ich möchte ganz neutral folgende Aussagen von ihm weitergeben:
Der Dschungel hat seine eigenen Gesetze.
Ein Verirren passiert zu 99% auf dem Rückweg. Der Dschungel sieht in der Rückwärtsbetrachtung vollständig anders aus. Es reichen oft 10-20 m Abseits, um vollständig die Orientierung zu verlieren. Der Unterschied zwischen Pfad und Urwaldboden verschwindet im dichten Grün. Auf K&L bezogen dann natürlich nach dem tunnelartigem Weg, der ein Verlassen unmöglich macht.
Menschen die sich im Dschungel verirrt haben und überlebt haben, beschreiben ihren Tagesablauf sehr ähnlich:
Aufstehen, wenn es hell wird, Schutz suchen, wenn es dunkel wird (z.B. Felsvorsprung)….solange man natürlich mobil ist.
Schlaf ist kaum möglich (Angst, Geräusche etc.). Man kommt extrem schnell an seine psychische und physische Grenze.
Insektenbisse jucken, die Füße werden durch das Laufen/Feuchtigkeit blutig und schmerzen unvorstellbar. Normalerweise nisten Fliegen ihre Eier in den offenen Stellen ein und es entstehen dort Maden.
Strecken die ein vermisster Mensch jetzt schafft, werden immer kürzer, auch ohne „schlimme“ Verletzung oder Absturzgeschehen.
Schreie hört man im Dschungel schon nach paar Metern nicht mehr.
Die Regeln für Verirren: einen Wasserlauf suchen (Wasser sichert das Überleben) und diesem nach unten folgen. Dies ist die größte Chance auf Zivilisation zu stoßen oder an einer Stelle am Wasser bleiben, damit die Suchtrupps einen nicht immer verfehlen.
Allein im Dschungel, gerade Nachts ist kaum vorstellbar, was das körperlich und mental mit einem macht. Entscheidungen werden täglich weniger rational getroffen.
Die Nachtfotos 7 Tage nach Beginn der Wanderung, werden K&L in einem körperlichen, mentalen und seelischen Zustand gewesen sein, den wir kaum nachvollziehen können.
Nach 7 Tagen, kann der Gewichtsverlust bei bis zu 5-7 Kilo liegen. Danach geht es noch rasanter.
Danach ist oft nur noch ein Liegen an einer Stelle im Delirium möglich.
Übergriffe auf Frauen kommen auch im Dschungel vor. Es gibt einen Fall von einer im Dschungel verirrten Frau, die massivst sexuell missbraucht wurde - von ihren vermeintlichen Rettern und zum Glück fliehen konnte.
Fälle die nicht gut ausgehen gegenüber anderen Fällen, haben oft nur eine kleine Stellschraube anders und das Geschehen bekommt eine leider schlimm endende Dynamik.
Zu bedenken: vor 10 Jahren waren wir alle noch nicht so Technik affin. Außer (Respekt!) hardcore Interessierte.
Mir wären die hier gennanten, sehr interessanten Daten zur Handynutzung so nicht bewusst gewesen. Ich wäre sicher gewesen, Akku zu sparen, wenn ich nur kurz ein-und ausgeschalten hätte. Zumal spätestens nach 3-4 Tagen im Dschungel, ohne Netz, die Handlungen nicht mehr rational gewesen sein werden.
Interessanterweise hat er mir auch von Vermissten erzählt, die man in bedenklichem Zustand gefunden hat, mit leerem Handy und die auch keine Nachricht hinterlassen haben. Grund: man glaubt an Rettung.
Nach vier bis fünf Tagen ohne Nahrung leidet der Körper deutlich und schaltet in eine Art Winterschlaf. Nach etwa zwei Wochen ohne Essen ist das Immunsystem oft dermaßen geschwächt, dass auch kleine Infektionen lebensbedohlich werden können.
Folgende Möglichkeiten sieht er:
1. fehlerhafte Annahme des Weges. Entweder falsch recherchiert, falsch informiert worden, falsch verstanden. Die Ausrüstung beim Start hätte ein Weitergehen nach dem Gipfel nicht empfohlen. Oder gedacht, dass ein falsches Ziel von dort als Rundweg zu erreichen sei.
2. Nicht alpine Menschen, sprich mit keiner Erfahrung am Berg unterschätzen oft die gangbaren Kilometer
3. Oft die Annahme, das bergab zwangsläufig bedeutet, das man wieder am Ausgangspunkt ankommt. Eventuell deswegen ein Beharrren der Abwärtsrichtung, trotz eventuellem Wegverlust.
4. Annahme, dass bergab der Empfang besser wird.
5. Natürlich sämtliche andere Möglichkeiten wie Panik durch Puma, Jaguar, sexueller Übergriff und auch ggf. ein Einsperren in einer Hütte und Flucht und noch schlimmeres Verirren. Erschöpfung und/oder Sturz zu einem späteren Zeitpunkt wo körperliche Erschöpfung schon zu groß war.
6. Ein einzelnes Geschehen ohne einen zusätzlichen Auslöser erscheint wiederum kaum möglich. (Bei Verbleib auf dem regulären Weg, außer sie wurden da von Personen gefunden, die es nicht gut gemeint haben)
So, das war ein langer Text :-)