Ich habe hier einen ganz aktuellen Artikel vom 03.09.2012 gefunden, ich poste ihn mal.....die ganze Geschichte der unbekannten Leiche mal zum lesen....Es wird also nicht aufgegeben und nach wie vor wird nach seiner Identität gesucht.....
Ich finde auch, wie meine Vorredner hier, ein sehr trauriger Fall und ich hoffe, man klärt die Identität. Ich könnte mir auch vorstellen, das der Tote eventuell aus dem Ausland kommt....
Unglaublicher Kriminalfall: Der Tote, den niemand kennt
MÜNSTER Ein junger Mann stürzt mitten in Münster in den Tod. Auch mehr als ein halbes Jahr später weiß niemand, wer er ist. Die Polizei versucht nach wie vor, das Geheimnis dieses Todesfalls zu lösen. Eine unglaubliche Geschichte.
Es ist Freitag, der 3. Februar 2012, später Abend. Im Rathausfestsaal feiern die Honoratioren der Stadt ihr Kramermahl, in der Halle Münsterland schunkeln die Karnevalisten, in den Kneipen der Altstadt wird gezecht und gelacht. Es ist bitterkalt. Minus acht Grad, in den Stunden zuvor sind ein paar Schneeflocken gefallen. Die Straßen sind leer um kurz nach 23 Uhr, als ein junger Mann vom Dach des Parkhauses am Alten Steinweg auf den Boden stürzt.
Der Notruf
Um 23.21 Uhr geht ein Notruf bei der Polizei ein. Mit schwersten Verletzungen liegt der Mann auf dem Platz zwischen dem Parkhaus und dem Kiffe-Pavillon. 20 bis 25 Jahre alt, vielleicht auch 30. Eine Passantin hat ihn gefunden, den Notarzt alarmiert. Der Mann atmet nicht mehr. Die 36-jährige Frau versucht, den Mann wiederzubeleben. Nach wenigen Minuten sind Rettungssanitäter und ein Notarzt vor Ort. Auch sie geben sich alle Mühe, den jungen Mann zurück ins Leben zu holen. Erfolglos. Er stirbt noch an der Unglücksstelle.
Die Kriminalwache wird eingeschaltet, der Kriminaldauerdienst. Das sind die Polizisten, die nachmittags ab vier, wenn die Bürozeit im Polizeipräsidium endet, zuständig sind. Wie der junge Mann zu Tode kam, ist schnell geklärt. Er ist vom Dach des mehr als zehn Meter hohen Parkhauses auf das Pflaster gefallen. Viel später werden die Rechtsmediziner feststellen, dass er von der meterhohen Brüstung des Parkhauses aus stehend mit dem Gesicht nach vorn in die Tiefe gestürzt, mit Gesäß und Rücken aufgeprallt ist.
Die fehlenden Hinweise
Die Polizisten durchsuchen die Kleidung des Toten nach einem Hinweis auf seine Identität. Sie finden nichts. Kein Ausweis, kein Portemonnaie, keine Fahrkarte, kein Einkaufsbon, nicht einen einzigen Cent.
Die Polizisten nehmen sich das Parkhaus vor, notieren sich die Kennzeichen der abgestellten Autos, halten Ausschau nach einer verwaisten Tasche, einem Rucksack. Nach irgendetwas, das einen Hinweis auf den Menschen geben könnte, der tot in der Kälte lag. Nichts.
Oben auf dem Parkdeck sichern sie Spuren, Fingerabdrücke. Sie befragen Nachbarn, Besucher des spanischen Bistros nebenan. Niemand hat ihn zuvor gesehen, hat bemerkt, woher er gekommen ist, wie er auf das Parkdeck kam. Niemand hat beobachtet, wie er in die Tiefe gestürzt ist. Der Staatsanwalt beschlagnahmt den Leichnam, schickt ihn in die Rechtsmedizin. Dann ist Wochenende. Da es kein Anzeichen auf ein Fremdverschulden gibt, hat der Fall nicht die höchste Priorität.
Die ersten Schritte
Am Montagmorgen, es ist der 6. Februar, landet die Akte 30 UJS 166/12 im Zimmer 302 des Polizeipräsidiums. Hier arbeitet Franz Richter (53), Kriminalhauptkommissar. Seit 33 Jahren bei der Polizei, seit 16 Jahren in Münsters Polizeipräsidium in der Abteilung für Kapitaldelikte. Zuständig für Mord und Totschlag. Ein erfahrener Ermittler. Und jetzt zuständig für diese Akte mit dem Vermerk „Unbekannter Toter“. Anfangs, da hat er geglaubt, er hätte einen Routinefall auf dem Schreibtisch. So wie zig andere in den Jahren zuvor. „Ich war absolut sicher, dass wir ganz schnell herausbekommen, um wen es sich handelt“, sagt Richter, als er sich später an diesen Tag Anfang Februar erinnert.
Als ersten Schritt ordnet Richter eine erneute, gründliche Spurensicherung an. „Ich habe entschieden, dass wir vorgehen wie bei einem Kapitaldelikt. Auch wenn alles nach einem Selbstmord aussieht, kann sich irgendwann herausstellen, dass der Mann doch gestoßen oder geworfen wurde. Dann brauchen wir objektive Beweise“, sagt Richter. Also rücken die Spurenexperten an. Fingerabdrücke, Faserspuren, DNA-Material, Fußspuren – alles wird gesichert, katalogisiert. Der Tatort wird fotografiert, aus allen möglichen Winkeln und Perspektiven.
Die Polizei-Datenbank
Richter schickt die Fingerabdrücke des Toten in die Datenbank der Polizei. Er ist nicht registriert. Eine Vermisstenanzeige, die auf den jungen Toten aus Münster passen würde, liegt nicht vor. Auch die Kleidung bringt den Ermittler keinen Schritt weiter: „Die Jacke, die Schuhe, die Hose – alles Massenware. Im Discounter gekauft, bei Kik, Aldi, Lidl.“
Richter schickt noch am Montag eine erste Meldung über den Fund eines unbekannten Toten an das Landeskriminalamt. Von dort geht die Meldung bundesweit an jede Polizeidienststelle. Kennt jemand diesen Mann?
Die Obduktion
Am Dienstag, 7. Februar, wird der Leichnam in der Rechtsmedizin in Münster obduziert. Der junge Mann war 1,85 Meter groß, wog 70 Kilo. Der Sturz hat ihm den Schädel zertrümmert, zahlreiche Knochen gebrochen, innere Organe zerrissen. Todesursache: inneres Verbluten. Die Verletzungen passen zu einem Sturz aus großer Höhe.
Hinweise, dass er gestoßen oder geworfen wurde, finden sich nicht: „Keine Druckstellen, kein blaues Auge, nichts, was auf einen Streit mit jemandem anderen hindeutet“, sagt Richter. Der Mann war vollkommen nüchtern, hatte keinen Alkohol im Blut. Auch keine Spur von Drogen. Der Obduktionsbericht spricht für einen Selbstmord, aber wer da seinem Leben ein Ende setzte, sagt er nicht: kein Tattoo, keine OP-Narbe, keine Einstichstelle, nichts. Gepflegte Zähne und auch sonst macht der Tote nicht den Eindruck, als habe der Mann sich zu Lebzeiten gehen lassen.
Die Zahn-Idee
Eine Sackgasse. Das Zahnschema wird aufgenommen. Das soll in Fachzeitschriften der Zahnärzte abgedruckt werden, wenn alle anderen Wege erschöpft sind.
Kurz nach der Obduktion gibt die Staatsanwaltschaft den Leichnam frei und teilt das dem Ordnungsamt der Stadt mit.
Einer Puppe werden die Kleidungsstücke des Toten angezogen. Ein Foto vom Gesicht des jungen Mannes wird in das Foto dieser Puppe hineinmontiert. Eine Woche, nachdem der Mann starb, schickt die Polizei am Freitag, 10. Februar, eine Pressemitteilung mit einem Foto an alle Medien. „Ich war fest davon überzeugt, dass es sich um einen Studenten handelt. Irgendeine WG oder ein Vermieter wird ihn schon vermissen und sich dann bei uns melden. Es kommt doch tausendmal vor, dass jemand verschwindet und niemand, weiß, wo er ist“, sagt Richter.
Das Nichts
Das Ergebnis all der Bemühungen ist mager. Aus den Polizeidienststellen aus dem ganzen Bundesgebiet gehen zwölf Hinweise ein, die auf den Toten passen könnten. Alle münden ins Nichts. Auf die öffentliche Fahndung in den Zeitungen und im Fernsehen melden sich 17 Menschen. „Mal wollte ihn einer in einem Lokal als Stammgast gesehen haben, mal jemand in Hiltrup im Supermarkt. Ich habe alles überprüft. Nichts.“
Am 23. Februar beantragt Franz Richter einen Beschluss des Gerichts, die DNA-Daten des jungen Mannes in die bundesweite Datei der vermissten Personen und unbekannten Toten einzustellen. Am 27. Februar folgt die Genehmigung, wenige Tage später sind die Daten im Netz. „Wenn jetzt irgendwo die DNA eines Vermissten eingestellt wird, die zu unserem Toten passt, wissen wir das sofort“, sagt Richter.
Die Beerdigung
Der 29. Februar, ein Mittwoch, kurz nach 9 Uhr. Ein einsamer Trauerzug bewegt sich an diesem nasskalten Wintermorgen zu dem Gräberfeld im hinteren Teil des Waldfriedhofs Lauheide. Der Himmel ist wolkenverhangen, leichter Regen fällt auf den schlichten Kiefernsarg. Die beiden Friedhofsgärtner sind allein, als sie den Sarg ins Grab hinablassen.
Kein Pfarrer, kein Angehöriger, kein Freund begleitet den unbekannten Toten auf seinem letzten Weg. Die Stadt hat sich für eine Erdbestattung in einem Reihengrab entschieden. Der Kiefernsarg ist ausgepolstert mit einer Steppdecke und einem Kissen. Der Tote erhält ein Sterbekleid. 1679 Euro kostet die Beisetzung, die Kosten übernimmt die Stadt.
Der Grabstein
Die beiden Gärtner beeilen sich, schaufeln mit einem kleinen Bagger Erde auf den Sarg, stampfen sie fest und gehen. Mehr ist nicht zu tun. Der Mann, den sie zurücklassen, hat noch immer keinen Namen, sein Grab keinen Grabstein, nur eine Signatur: XV 3/163 RG.
Ende April versanden die Hinweise aus der Bevölkerung und aus anderen Polizeidienststellen. Es gibt keinen neuen Ansatz, dem Richter nachgehen könnte. Drei Monate später, Ende Juli, meldet sich eine Frau aus Norddeutschland. Während ihres Studiums in Münster habe sie 2005 einen Kommilitonen getroffen, der zu der Beschreibung des Toten passen könnte. Sie nennt einen Namen. Richter hat eine neue Spur, doch die Hoffnung, das Rätsel endlich lösen zu können, schwindet rasch. Der Mann, den die Frau aus dem Norden meinte, lebt noch. Die bisher letzte Spur ist erkaltet.
Die offenen Fragen
Wer also ist der junge Mann, der am 3. Februar mitten in Münster starb? Das ist nicht die einzige Frage, über die Franz Richter grübelt: Hat er hier gewohnt? Oder ist er nur nach Münster gefahren, um hier zu sterben? Warum hier? Ist er freiwillig gesprungen oder wurde er gezwungen? Und dann die quälende Frage: Wieso kennt ihn niemand? Kann es das geben, dass jemand, der jung ist, gesund und gepflegt, niemanden hat, der ihn vermisst?
Wieso fehlt er in keiner Familie, keiner Clique, an keiner Uni, an keinem Arbeitsplatz? Wie groß muss die Einsamkeit dieses Menschen gewesen sein? Oder war vielleicht gerade diese Einsamkeit der Grund, aus dem er sich in den Tod stürzte? Hat er sie vielleicht hier, mitten in der Stadt, wo rings um ihn herum die Menschen feiern, so stark gespürt, dass er das Leben nicht mehr ertrug? Eine Antwort auf diese Fragen hat Richter bis heute nicht.
Das Grab sechs Monate später
Ein Spätsommertag. Marietta Sandfort, die Frau von der Friedhofsverwaltung Lauheide, sucht in ihren Akten. Mit einem Plan in der Hand fährt sie auf einem Elektrorolli ans andere Ende des Waldfriedhofs Lauheide. Zwei Birken und eine Eiche spenden dem Grabfeld Schatten, auf dem Marietta Sandfort die Reihen und Gräber abzählt. „Hier ist es.“
Schütteres Gras bedeckt den schmalen Streifen. Rechts und links gepflegte Gräber, Blumen, Kreuze, Gedenksteine und vor allem eins: Namen. Mitten drin die letzte Ruhestätte des unbekannten Toten. 35 000 Gräber gibt es auf diesem Friedhof. Doch seit dem Zweiten Weltkrieg ist dieses Grab das einzige, von dem niemand weiß, wer in ihm ruht.
Es ist Ende August, mehr als ein halbes Jahr ist seit dem tödlichen Sprung vergangen. Eine neue Spur gibt es nicht.
Quelle:
http://www.emsdettenervolkszeitung.de/lokales/muenster/Der-Tote-den-niemand-kennt;art993,1754914