US-Deserteur Jenkins wieder auf freiem Fuss
29.11.2004 um 05:55
noch mal ein paar ausführliche infos
tf. Tokio, 28. November
Die Geschichte enthält sämtliche Ingredienzen eines Dramas, wie man es eigentlich nur aus zweitklassigen Spionagefilmen kennt: eine geheimnisvolle Flucht, dunkle Machenschaften kommunistischer Apparatschiks, die Entführung eines unschuldigen Mädchens, eine Liebe aus einem fremden Land, hitzige Verhandlungen auf höchster Regierungsebene - und all dies gewürzt mit dem Nervenkitzel des Kalten Krieges. Was Charles Robert Jenkins in seinem nunmehr 64 Jahre zählenden Leben widerfahren ist, übersteigt wohl die Phantasie von noch so verwegenen Drehbuchautoren. Nun soll in sein Leben aber endlich Ruhe einkehren. Seit Samstag nämlich ist Jenkins ein freier Mann, kann tun und lassen, was er will. Vier Jahrzehnte hat er auf diesen Augenblick warten müssen.
Missratene Fahnenflucht
«Vierzig Jahre sind eine lange Zeit», sagte am frühen Samstagmorgen ein gebrechlich wirkender Jenkins, als er mit Tränen in den Augen ein amerikanisches Militärgefängnis in einem Flottenstützpunkt in der Nähe von Tokio verliess. Dort inhaftiert war der ehemalige Sergeant der amerikanischen Armee wegen Fahnenflucht und Unterstützung des Feindes, genauer: des nordkoreanischen Feindes. Er war Anfang November von einem Militärgericht zu dreissig Tagen Haft verurteilt worden. Nun durfte Jenkins schon sechs Tage früher zu seiner japanischen Frau und seinen zwei Töchtern zurückkehren, wegen guter Führung. Damit kommt eine Geschichte zu einem hart erkämpften Happy End, die Japans Öffentlichkeit im vergangenen Jahr in Atem hielt wie kaum etwas anderes.
In einer eiskalten Januarnacht des Jahres 1965 hatte sich der aus North Carolina stammende Soldat Jenkins bei einem Patrouillengang im Süden der demilitarisierten Zone Koreas plötzlich von seinem Trupp abgesetzt und war in Richtung Norden entschwunden. Er habe sich einem gefährlichen Einsatz auf der koreanischen Halbinsel und einer drohenden Entsendung nach Vietnam entziehen wollen, gab er im vergangenen November vor den Militärrichtern zu Protokoll. Sein Plan war, in Nordkorea bei der sowjetischen Botschaft um Asyl anzuklopfen und danach über die Sowjetunion irgendwie den Heimweg in Richtung USA anzutreten. Ein naiver Plan, wie sich bald herausstellte. Was jedenfalls als Zwischenstopp gedacht war, geriet zur vermeintlichen Endstation. Denn Nordkorea hielt Jenkins in den kommenden 39 Jahren im eigenen Land gefangen, zusammen mit drei anderen amerikanischen Fahnenflüchtigen, von denen in der Zwischenzeit zwei verstorben sind und einer noch immer im kommunistischen Land leben soll.
Der harsche Alltag in Nordkorea
Vor den Militärrichtern beschrieb Jenkins das entbehrungsreiche Leben, das ihn in Nordkorea empfing. Während Jahren lebte er mit den anderen drei Deserteuren in einem winzigen Haus, das nur über einen einzigen Raum verfügte. Geschlafen wurde auf dem Boden, Elektrizität gab es in der Regel keine, fliessendes Wasser erst recht nicht, und pro Monat war nur ein Bad erlaubt. Im Übrigen wurde den Fahnenflüchtigen von ihren Peinigern aufgetragen, die «Philosophie» des Staatsgründers Kim Il Sung zu studieren, in koreanischer Sprache, zehn Stunden pro Tag. Konnten sie die gelernten Passagen nicht korrekt rezitieren, wurden sie gezwungen, auch am Sonntag, dem einzigen freien Tag, 16 Stunden Nachstudium zu betreiben. «Jeden Tag habe ich mich danach gesehnt, diesen Ort zu verlassen», sagte Jenkins vor Gericht.
Gezwungen wurde Jenkins aber nicht nur zum Studium der Schriften Kims. Er hatte in nordkoreanischen Propagandafilmen auch als amerikanischer Bösewicht aufzutreten oder Militärangehörige in englischer Sprache zu unterrichten. Als Englischlehrer wider Willen lernte er dabei 1980 die um fast zwanzig Jahre jüngere Hitomi Soga kennen. Die scheue Schülerin aus Japan lebte ebenfalls nicht aus freien Stücken in Nordkorea, sondern war 1978 im Alter von 19 Jahren zusammen mit ihrer Mutter von nordkoreanischen Agenten auf der japanischen Insel Sado überwältigt, in einen Sack gesteckt, auf ein Boot gezerrt und nach Nordkorea verschleppt worden, zur Ausbildung von Spionen in japanischer Sprache und Kultur; ihre Mutter sah sie seither nie wieder. Soga und Jenkins, beide gewaltsam ihrer Heimat entwurzelt, verliebten sich, heirateten, und bald kamen zwei Töchter, die heute 21 und 19 Jahre alt sind, zur Welt.
Dramatische Wende
Eine dramatische Wende nahm das Leben von Jenkins und Soga im September 2002. Damals gestand Nordkoreas Diktator Kim Jong Il gegenüber Japans Ministerpräsidenten Koizumi überraschend die Entführung japanischer Staatsangehöriger ein. Fünf von ihnen durften einen Monat später nach Japan zurückkehren, unter ihnen auch Soga, jedoch ohne ihren Mann und ihre Kinder. Zwar erkaufte sich Japan am zweiten Gipfeltreffen zwischen Kim und Koizumi im vergangenen Mai gegen ein stattliches Lösegeld auch die Freilassung der restlichen Familie. Ihrer Ausreise nach Japan stand jedoch die Furcht Jenkins vor einer Auslieferung an ein amerikanisches Militärgericht im Wege, zumal zwischen Tokio und Washington ein Auslieferungsabkommen besteht.
Die verhinderte Familienzusammenführung war in Japan aber längst zu einem Politikum ersten Ranges geworden. Auf diplomatischer Ebene liefen die Drähte heiss, und die USA sicherten dem treuen Bündnispartner Japan auf inoffizielle Weise zu, dass der Deserteur im Falle eines Schuldeingeständnisses bei einer Rückreise nach Japan und einer Auslieferung an die USA mit einer milden Strafe davonkommen würde. Vor solchem Hintergrund fädelte Japans Regierung im vergangenen Juli die erstmalige Zusammenführung der damals schon seit 21 Monaten getrennten Familie ein, und zwar in Indonesien. Von dort aus reiste Jenkins nach kurzem Werweissen über die gemeinsame Zukunft nicht wieder nach Nordkorea zurück, sondern begab sich in medizinische Behandlung nach Japan, ehe er sich Mitte September in Begleitung seiner Familie den amerikanischen Streitkräften stellte. Wie erwartet wurde er vom amerikanischen Militärgericht für seine Fahnenflucht zu einer vergleichsweise milden Strafe von nur einem Monat Haft verurteilt, verbunden mit einer Degradierung und der unehrenhaften Entlassung aus der Armee. All dies ist nun aber endlich Vergangenheit, und Jenkins, gezeichnet von den zahlreichen Jahren der Entbehrung, wünschte sich am Samstag nach seiner Freilassung nur noch eines, nämlich mit seiner Familie ein ruhiges Leben in Sado, dem Heimatort seiner Frau, führen zu dürfen - unter der Voraussetzung, dass man ihn dort akzeptiere, wie er vorsichtshalber beifügte.
心配するな、そうすれば幸せになれる
一期一会
どうもありがとう、皆さん