Russlands neue Atomwaffensysteme -> Blutsommer 05
20.11.2004 um 08:35
Auszug aus einem Brief eines Angestellten im Russischen Waffen und Raketen Forsches Zentrums in Kasachstan. (Namen sind geändert)
Vladimir Vladimirič strich mit der linken Hand eine fettige Locke von der bedrohlichen Stirn seines holzschnittartigen Gesichts, aus dem scharfgezeichnete, volle Lippen hervorsprangen. Seine laute Stimme hallte durch die ganze Kantine. »Wir bereiten hier das nächste Jahrtausend vor und diese Esel sind nicht einmal in der Lage, einen vernünftigen Wodkaverschluß zu entwickeln.«
Unter Zuhilfenahme seiner gewaltigen, aber ungepflegten gelben Schneidezähne saugte er das Blut aus einer kleinen Schnittwunde am javascript:Zeigefinger, der von der besten Zigaretten der Welt, Marke Kosmos, angegilbt worden war. Sein Gegenüber, eine verlebte, graublonde Mittvierzigerin, lächelte mitleidig.
Am Nebentisch ertönte die Stimme eines jungen Schwarzhaarigen: »Seien sie doch froh, daß wenigstens das Desinfektionsmittel gleich mitgeliefert wird.«
Die Kantine lachte.
Die Mittvierzigerin, Lilja Jur'evna mit Namen, entfernte die Reste des Metallverschlusses und goß dem Verwundeten ein.
»Danke«, sagte Vladimir Vladimirič mit einer Zärtlichkeit, die man bei seinem herrischen Aussehen niemals vermutet hätte und, für den Nebentisch bestimmt, setzte er laut hinzu: »Da haben wir uns ein paar Tagediebe herangezogen, daß es zum Fürchten ist, nicht wahr?«
Lilja Jur'evna nickte verständnisvoll und verfolgte bewundernd wie das Wasserglas auf einen Zug geleert wurde.
»Bäh, was für eine scheußliches Zeug!«, schüttelte sich Vladimir Vladimirič. »Beim alten Kurčatov hätten diese jungen Pinscher die Schnauze nicht so weit aufgerissen. Das schwöre ich ihnen!« Und – mit bösem Seitenblick auf den Nebentisch: »Aber heute ist ja alles möglich«.
»Gott sei dank!«, höhnte es vorsichtig zurück. Man wußte, daß der Alte einen derben Spaß verstehen konnte, außer, wenn es um seinen Lehrer Kurčatov ging; da brauste er schnell auf.
»Fliegt ihr erst einmal auf den Mars mit eurem Menschheitstraum, den kein Mensch träumt. Dann werden wir schon sehen, wer als letzter spottet«, schnauzte der Alte und schenkte sich Wodka nach.
»Werden wir, werden wir«, sagte der Schwarzhaarige verächtlich. »Jedenfalls haben wir Rußland nicht in ein Stück strahlende Flugasche verwandelt.«
Fast hätte Vladimir Vladimirič den Wodka in die falsche Kehle gegossen. Haßerfüllt blitzten seine Augen den Schwarzhaarigen an. »Ist das der Dank dafür, daß ich sie zu mir genommen habe, obwohl sie immer als äußerst unzuverlässig und politisch bedenklich galten? He? Ist das der Dank?« Der Angesprochene zuckte leicht zusammen. »Aber gut, ich werfe ihnen nicht ihre Ansichten vor, das habe ich nie getan und werde es auch in Zukunft nicht machen, aber von gewissen Dingen haben sie einfach keine Ahnung, nicht die geringste.« Die Kantine stocherte betreten in der Kohlsuppe herum. So wütend hatte man den Alten noch nicht erlebt. »Oder glauben sie, wir hätten uns um die Fusionsbombe gerissen?«
»Das nicht, aber was kommt es darauf an, ob nun gerissen, ob nicht, das Ergebnis bleibt dasselbe.« Der Schwarzhaarige sprach mit gebrochener Stimme, wie einer, der in den Lauf einer geladenen Pistole blickt.
»Gut, gut. Aber was sie nicht wissen, weil es nicht in ihren verlogenen Geschichtsbüchern steht, ist, daß Kurčatov die Grundlagen der H-Bombentechnologie schon vor den Amerikanern kannte. Jawohl... Aber er hätte im Traum nicht daran gedacht, die Idee umzusetzen, weil er genau wußte, was daraus entstehen würde... Aber dann hat dieser halbfaschistische Jude das Ding gebaut... Und dann ging es nicht mehr anders, dann mußten wir ran, weil der Geheimdienst ständig amerikanische Konstruktionspläne ranschleppte. Irgendwann hätte jeder Erstsemesterstudent diese verfluchte Bombe bauen können. Da war einfach kein Dummstellen mehr möglich!« Vladimir Vladimirič atmete schwer. Es war wohl das erste Mal, daß er darüber so offen sprach. Schnell goß er sich Wodka nach und kippte ihn hinunter.
Lilja Jur'evna blickte den Schwarzhaarige vorwurfsvoll an. »Sehen sie nicht, was sie angestellt haben – mit ihrer Besserwisserei. Vladimir Vladimirič bekommt ja fast einen Herzanfall. Das können sie mit einem alten Mann nicht machen. Schließlich ist seine Frau erst vor kurzem gestorben. Glauben sie vielleicht, daß die ganze lebensgefährliche Arbeit ein Selbstzweck war? Das tun sie doch nicht wirklich?« Noch während sie das sagte, war ihre Stimme ganz zittrig geworden.
»Da sind noch ganz andre dran gestorben«, murmelte der Schwarzhaarige leise und unsicher, aber so, daß es jeder hören konnte.
Vladimir Vladimirič hielt es nicht mehr aus. Mit hochrotem Kopf verließ er die Kantine. Selbst den Wodka hatte er vergessen.
In der schwülen Luft des kasachischen Sommers dampften die Wiesen. Der Himmel war klar und wolkenlos, und die kleinen Holzbaracken wirkten in der Weite des Horizonts wie vergessene Spielzeugkisten. Am Ende des Weges, vor dem großen Steingebäude des militärischen Forschungsleiters und seines Stabes, stand die silbrig glänzende, überlebensgroße Statue eines Mannes, der im hochgereckten linken Arm einen großen, eiförmigen Metallbehälter hielt, aus dem ein goldener Strahlenglanz hervorbrach. Das Denkmal erinnerte entfernt an eine Heiligendarstellung. »Was haben diese Arschlöcher nur aus uns gemacht...«, dachte Vladimir Vladimirič, »Popanze, Leichen und Säufer, mehr nicht.«
Als Lilja Jur'evna aus der Kantine heraustrat, saß der Alte schon auf einer halbverwitterten Holzbank und rauchte eine Filterzigarette. Eilig ging sie auf ihn zu. »Nehmen sie sich das doch nicht so zu Herzen. Diese Bengels reden halt, wie sie es verstehen«, sagte sie aufmunternd und setzte sich zu ihm.
»Glauben sie, ich nähme ihm das übel. Nein, nein. Wer soll seine Fresse denn aufreißen, wenn nicht die jungschen Knaben mit ihrer Weltkenntnis für zehn Kopeken. Die wissen so wenig, daß sie noch das Gefühl haben können, überhaupt etwas zu wissen. Wir dagegen...«
»Aber Vladimir Vladimirič, das entschuldigt doch wohl nicht diesen unverschämten Tonfall. Ein bißchen Ehrfurcht wird man doch noch erwarten können.«
»Ach, hören sie, in dem Alter hätte ich genauso geredet, vielleicht noch schlimmer. Der da...«, er zeigte mit dem Daumen auf die Statue, »hat mich mehr als einmal beim Geheimdienst heraushauen müssen, weil ich das Maul nicht halten konnte. Nein, nein, mich hat getroffen, was sie gesagt haben, das über meine Frau... Eigentlich bin ich der Sache immer ausgewichen, aber sie haben im Grunde recht. Ich habe meine Frau auf dem Gewissen, im Grunde hätte ich ihr auch die Kehle durchschneiden können. Das machte keinen Unterschied.«
»So hatte ich das überhaupt nicht gemeint, sicher nicht! Hören sie, das Gerede von dem Jungen hat sie ja ganz konfus gemacht. Sie sind ja völlig außer sich!«
Tatsächlich standen dem Alten die Tränen in den Augen, aber fast schien es, als lachte er gleichzeitig. »Ich habe seit bestimmt zwanzig Jahren nicht mehr geweint und ganz vergessen, wie erlösend das sein kann, so erlösend...« Er wischte sich das Wasser aus den Augen und beruhigte sich langsam wieder. »Und was ich da vorhin erzählt habe! So große Friedensapostel waren wir nun auch wieder nicht. Ich glaube, uns hat der Teufel geritten, der leibhaftige Satan.«
»Kommen sie, sie sollten sich ein bißchen hinlegen.« Lilja Jur'evna war wieder aufgestanden und versuchte ihn am Ärmel hochzuziehen, aber er blieb ärgerlich sitzen und sah mit seinen umflorten Augen wie ein trotziges Kind aus.
»Ich bin schon wieder ganz ruhig«, sagte er. »Ein Mann braucht sich seiner Tränen nicht zu schämen. Wissen sie, daß der alte Gorkij auch immer geweint hat. Ich habe ihn als kleiner Junge noch gesehen. Was haben wir damals für Träume gehabt. Und jetzt lauern überall diese Stänkerer. Jeder Kolchosbauer glaubt die Fresse aufreißen zu dürfen, um seine gewichtige Meinung in die Luft zu pestern... Hätte ich doch nur damals meine Frau nicht überredet, hierher zu ziehen. Man hatte ihr eine Stelle in der Moskauer Zentrale angeboten, wissen sie, aber ich wollte sie bei mir haben. Vielleicht wäre sie jetzt noch am Leben.« Einen Moment schien es, als wollten ihm die Tränen wieder in die Augen treten, aber jetzt hatte er sich wieder in der Gewalt.
»Es ist schon seltsam mit uns Atomwissenschaftlern, nicht? Kaum werden wir älter, beginnen wir herumzuphilosophieren und Ratschläge zu erteilen, als hätten wir die Last der Welt auf unseren Schultern zu tragen gehabt.«
Der Schwarzhaarige kam aus der Kantine und blickte sich suchend um. Als er Vladimir Vladimirič erblickt hatte, ging er auf ihn zu. »Kann ich mit ihnen allein reden?«
»Lilja Jur'evna, wir sehen uns gleich im Labor«, sagte der Alte mit fester Stimme. Ohne zu zögern stand die Angesprochene auf und verschwand in einer nahegelegenen Holzbaracke. Der Schwarzhaarige setzte sich zu Vladimir Vladimirič.
»Entschuldigen sie bitte mein voriges Auftreten. Ich glaube, ich war im Moment nicht ganz bei mir.«
Der Alte strich zärtlich durch das Haar seines Schützlings. »Laß nur, Söhnchen. Ich verstehe schon, was dir alles durch den Kopf geht. Ich weiß, eigentlich bin ich nur noch ein alter Säufer, dessen Zeit längst abgelaufen ist. Das denkst du doch?.. Nein, nein, sag jetzt nichts mehr. Kann sein, daß wir Rußland verwüstet haben und ihr euer Heil auf dem Mars suchen müßt oder irgendwo im Weltraum. Aber so leicht kommt ihr von der heimischen Scholle nicht weg. Bevor ihr da draußen zwischen den Sternen rumgeistern könnt, müssen erst die Probleme hier gelöst werden. Nur weil unsere Träume so schmählich untergegangen sind, heißt das noch nicht, daß man die Erde nicht in eine glücklich Welt verwandeln kann. Ihr müßt eure eigenen Zukunftsvisionen finden.« Plötzlich trat ein scharfer, aufrechter Zug in sein Gesicht. »Machen sie sich an die Arbeit...« Nur mühsam unterdrückte das altgewohnte ›Genosse‹, das sich vorschnell an diese Phrase ankrallen wollte.
Vladimir Vladimirič betrachtete den großen silbernen Kurčatov am Ende des »Boulevards der Holzbaracken«, wie man den kaum befestigten Weg im allgemeinen nannte. Aus dem Stabsgebäude trat eine Gruppe von etwa neun Militärs, unter denen das geübte Auge des Alten leicht drei westliche Uniformen ausmachen konnte. Instinktiv verkrampfte sich seine Körperhaltung und er konnte den aufsteigenden Haß kaum unterdrücken. Beunruhigt stand er auf und ging zu seinem Labor, wo er fast nur noch mit der Verbesserung der technischen Herstellung von Selbstgebranntem beschäftigt war; nach seiner eigenen Meinung handelte es ich um den besten in ganz Kasachstan.
Es Grüßt Dich dein Freund
der Schwarzhaarige
Entschuldigt bitte mein schlechtes Deutsch!
Englisch, Spanisch, Russisch ist für mich einfacher wie Deutsch und Französisch!