Die Lust an der Erleuchtung
24.03.2014 um 19:46In Zeiten zunehmender Spezialisierung und somit von exponentiellem Wissenszuwachs, stellt sich immer dringender die Frage nach Prioritäten beim Wissen. Kann man nun also Wissen priorisieren? Sollte man es priorisieren? Und wenn ja, wie sollte man das tun? Wo fängt man an? Bereits beim Grundgerüst, dem Schulabschluss?
Was ich hier nun also zur Diskussion stellen möchte, ist die Frage, ob nun eine sinnvolle, zweckorientierte Bildung einerseits oder eine mehr umfassende Bildung anderseits, den Weg in die Zukunft ausleuchtet. Oder ist der seltsamerweise oft verschmähte Mittelweg, hier wieder die Lösung? Wen ja, wie sieht er aus? Eure Meinungen würden mich interessieren und um euch a.) besser zu verdeutlichen, was ich überhaupt meine und b.) mir faulem grobmotorischen Stück, etwas Schreibarbeit zu ersparen, habe ich zur Klärung meines Anliegens noch einen Textausschnitt beigefügt. Ich hoffe mal ihr seid nicht so lese,- wie ich schreibfaul, denn ich fand den Artikel wirklich anregend.
Seit den Tagen der eiszeitlichen Jäger und Sammler steht Wissen hoch im Kurs. Den Grund glauben wir zu kennen: Wissen ist nützlich. "Tantum possumus quantum scimus" , meinte Francis Bacon, "Wissen ist Macht". Aber gibt es noch andere Gründe, Wissen zu suchen? Zumindest im Abendland scheint es eine verbreitete Grundüberzeugung zu sein, dass etwas, was nicht um seiner selbst willen gesucht wird, nur von untergeordneter Bedeutung sein kann. Fragen wir also: Ist Wissen ein Selbstzweck? Lohnt sich - insbesondere in Zeiten knapper Kassen - der Erwerb von "Wissen an sich", dem kein erkennbarer Nutzen entspringt und das nicht direkt in Macht umgemünzt werden kann?
Theorie und Praxis
Die Philosophen der Antike unterschieden zwischen Theorie und Praxis, meinten damit allerdings nicht ganz dasselbe wie wir heute. Unter theoria verstanden bereits die Naturphilosophen vor Sokrates eine Einsicht in die Prinzipien hinter den Phänomenen. Ihr gegenüber stand die Praxis des nichtphilosophischen Lebens. Praktisches Wissen ist Alltagswissen, etwa jenes, das ein Handwerker zur Ausübung seiner Tätigkeit benötigt. Ein Töpfer braucht nicht zu wissen, warum Ton beim Brennen hart wird. Der theoretisch Interessierte dagegen fragt gerade nach dem Warum. Eine Antwort auf diese Frage bringt den Töpfer bei seiner Arbeit zunächst nicht weiter - sie ist reiner Selbstzweck. Es ist eine Frage für Leute, die nicht auf irgendwelche handwerklichen Erfolge aus sind, sondern auf Erkenntnis. Philosophen eben.
Anders als zu Zeiten der alten Griechen ist "reines" Wissen, insbesondere solches über die Natur, heute von enormer technischer und damit wirtschaftlicher Bedeutung. Die Fälle sind Legion, in denen völlig arkane Grundlageninteressen in kurzer Zeit enorme praktische Bedeutung erlangten. Ein Beispiel ist die Kernphysik, in der von der Entdeckung, dass Neutronen bestimmte Atomkerne zu spalten vermögen, bis zum Bau der ersten Reaktoren und Atombomben nur wenige Jahre vergingen. Solche Fälle dürfte es auch in Zukunft geben. Niemand weiß, ob sich nicht einmal mit dem Higgs-Boson - einem Elementarteilchen, dem die Physiker derzeit mit großem Aufwand nachstellen - Dinge anstellen lassen, welche die für seinen Nachweis aufgebrachten Milliarden-Investitionen in neue Teilchenbeschleuniger rechtfertigen. Als 1932 das Neutron entdeckt wurde, wäre man vielleicht bereit gewesen, ebenso viel auf den Tisch zu legen, hätte man geahnt, welche Bedeutung die Neutronenstreuung heute für Strukturuntersuchungen in Biologie und Materialwissenschaften hat.
Doch anders als die Entdecker des Neutrons rechnen heutige Grundlagenforscher schon geradezu damit, dass ihr eigentlich zweckfreies Treiben zu nützlichen Anwendungen führt. Das reine Forschen muss sich Steuerzahlern und Politikern zunehmend durch den Hinweis auf die zu erwartenden Spin-offs verkaufen. Grundlagenprojekte, die auf absehbare Zeit wenig Wertschöpfung erwarten lassen - die bemannte Raumfahrt etwa, aber auch viele Geistes- und Kulturwissenschaften -, geraten da zunehmend in Rechtfertigungsnöte.
Leistungswissen
Um die Errungenschaften unserer technischen Zivilisation aufrechtzuerhalten, bedarf es einer Menge an Wissen, das nicht den Naturwissenschaften entsprungen ist. Dazu gehört jenes, das die Wirtschafts- und Rechtswissenschaften verwalten, aber auch Sprachkenntnisse. All das zusammen ist Wissen, das, in der Sprache der Ökonomie, "etwas leistet", weswegen man es auch Leistungswissen nennen könnte. Leistungswissen ist natürlich Macht-Wissen im Baconschen Sinne - doch hätte es kaum entstehen können, wäre es nur als solches angestrebt worden. Ohne theoria, ohne das zweckfreie Forschen, hätte es die Menschheit kaum je zu einer technischen Zivilisation gebracht.
Doch nun haben wir sie, die technische Zivilisation. Man könnte argumentieren, dass es keinen hinreichenden Grund mehr gibt, heute noch der theoria zu frönen - zumal Grundlagenforschung wie die der Astronomie sehr ins Geld geht. Nun, da wir es so weit gebracht haben, können wir die Leiter, auf der wir emporgestiegen sind, doch getrost wegwerfen und unsere Ressourcen ganz auf den Erwerb von Leistungswissen konzentrieren!
Dadurch ließen sich nicht nur Dutzende von Forschungsinstitutionen und universitären Fakultäten einsparen. Auch die Lehrpläne der Schulen wären im Nu entrümpelt. Die Naturwissenschaften könnte man zwar nicht völlig durch Technik und Informatik ersetzen. Denn modernes Leistungswissen verdankt sich, wie beschrieben, wesentlich der Pflege der Grundlagenfächer. Doch hätte sich das Fach Deutsch auf die Unterweisung in Sprachbeherrschung, sagen wir, maximal bis zur Bildung des Konjunktivs II zu beschränken. Wichtig blieben verbreitete Fremdsprachen wie Englisch und Spanisch - man würde sich natürlich mehr auf den Technik- und Wirtschaftswortschatz konzentrieren. Und bei der Unterrichtslektüre ersetzte man Salinger und Shakespeare sinnvollerweise durch das Wall Street Journal und das Handbuch für Microsoft Office. Ganz wegfallen müssten Geschichte, Kunsterziehung, Musik, Religion und erst recht alte Sprachen. Eltern, die ihren Kindern derlei angedeihen lassen wollen, können sie gern zusätzlich in private Einrichtungen schicken, die sich bei entsprechender Nachfrage sicher bald etablieren würden. Dem Steuerzahler kann aber nicht zugemutet werden, solche unproduktiven Interessen aus öffentlichen Etats zu subventionieren.
Bildung
Zum Glück redet so keiner oder höchstens ansatzweise. Stattdessen werden immer noch Observatorien betrieben, Museen unterhalten, Opernhäuser und Symphonieorchester subventioniert, und an vielen Universitäten leistet man sich Lehrstühle für Literaturwissenschaft und Kunstgeschichte. Diskussionen über den Nutzen des dort gepflegten anwendungsfernen, wenn nicht völlig anwendungsfreien Wissens führen oft auf den ebenso schillernden wie abgenutzten Begriff der "Bildung"
In Diskussionen dient "Bildung" oft als Gegenbegriff zur Ausbildung, also allen Formen der Unterweisung, die auf Leistungswissen abzielen. Aber interessanterweise ist dieser Wortgebrauch so schief, dass er nur in Sätzen funktioniert, die beide Wörter nebeneinanderstellen. Für sich genommen beschwört "Bildung" eben nicht das Bild einer Unterrichtssituation mit Lehrern und Schülern herauf, sondern eher die eines Individuums, das sich aktiv - etwa durch Lesen oder Reisen - Wissen aneignet. Man wird ausgebildet, aber man "bildet sich". Wenn wir von einer Lateinlehrerin sagen, sie sei gebildet, meinen wir gerade nicht ihre Lateinkenntnisse!
Dieses "Bildungswissen" erfreut sich nun trotz oder wegen seiner Anwendungsferne hoher Wertschätzung: Staaten, Städte und selbst Wirtschaftsunternehmen versprechen sich vom Sponsoring von Bildungsstätten positive Auswirkungen. So wie die Pflege des Leistungswissens den Fortbestand unserer Zivilisation sichern soll, so gilt Bildung als konstitutiv für Kultur im eigentlichen Sinne. Aber wozu?................
Ulf von Rauchhaupt (Auzug aus "Die Lust an der Erleuchtung" 2006)
Was ich hier nun also zur Diskussion stellen möchte, ist die Frage, ob nun eine sinnvolle, zweckorientierte Bildung einerseits oder eine mehr umfassende Bildung anderseits, den Weg in die Zukunft ausleuchtet. Oder ist der seltsamerweise oft verschmähte Mittelweg, hier wieder die Lösung? Wen ja, wie sieht er aus? Eure Meinungen würden mich interessieren und um euch a.) besser zu verdeutlichen, was ich überhaupt meine und b.) mir faulem grobmotorischen Stück, etwas Schreibarbeit zu ersparen, habe ich zur Klärung meines Anliegens noch einen Textausschnitt beigefügt. Ich hoffe mal ihr seid nicht so lese,- wie ich schreibfaul, denn ich fand den Artikel wirklich anregend.
Seit den Tagen der eiszeitlichen Jäger und Sammler steht Wissen hoch im Kurs. Den Grund glauben wir zu kennen: Wissen ist nützlich. "Tantum possumus quantum scimus" , meinte Francis Bacon, "Wissen ist Macht". Aber gibt es noch andere Gründe, Wissen zu suchen? Zumindest im Abendland scheint es eine verbreitete Grundüberzeugung zu sein, dass etwas, was nicht um seiner selbst willen gesucht wird, nur von untergeordneter Bedeutung sein kann. Fragen wir also: Ist Wissen ein Selbstzweck? Lohnt sich - insbesondere in Zeiten knapper Kassen - der Erwerb von "Wissen an sich", dem kein erkennbarer Nutzen entspringt und das nicht direkt in Macht umgemünzt werden kann?
Theorie und Praxis
Die Philosophen der Antike unterschieden zwischen Theorie und Praxis, meinten damit allerdings nicht ganz dasselbe wie wir heute. Unter theoria verstanden bereits die Naturphilosophen vor Sokrates eine Einsicht in die Prinzipien hinter den Phänomenen. Ihr gegenüber stand die Praxis des nichtphilosophischen Lebens. Praktisches Wissen ist Alltagswissen, etwa jenes, das ein Handwerker zur Ausübung seiner Tätigkeit benötigt. Ein Töpfer braucht nicht zu wissen, warum Ton beim Brennen hart wird. Der theoretisch Interessierte dagegen fragt gerade nach dem Warum. Eine Antwort auf diese Frage bringt den Töpfer bei seiner Arbeit zunächst nicht weiter - sie ist reiner Selbstzweck. Es ist eine Frage für Leute, die nicht auf irgendwelche handwerklichen Erfolge aus sind, sondern auf Erkenntnis. Philosophen eben.
Anders als zu Zeiten der alten Griechen ist "reines" Wissen, insbesondere solches über die Natur, heute von enormer technischer und damit wirtschaftlicher Bedeutung. Die Fälle sind Legion, in denen völlig arkane Grundlageninteressen in kurzer Zeit enorme praktische Bedeutung erlangten. Ein Beispiel ist die Kernphysik, in der von der Entdeckung, dass Neutronen bestimmte Atomkerne zu spalten vermögen, bis zum Bau der ersten Reaktoren und Atombomben nur wenige Jahre vergingen. Solche Fälle dürfte es auch in Zukunft geben. Niemand weiß, ob sich nicht einmal mit dem Higgs-Boson - einem Elementarteilchen, dem die Physiker derzeit mit großem Aufwand nachstellen - Dinge anstellen lassen, welche die für seinen Nachweis aufgebrachten Milliarden-Investitionen in neue Teilchenbeschleuniger rechtfertigen. Als 1932 das Neutron entdeckt wurde, wäre man vielleicht bereit gewesen, ebenso viel auf den Tisch zu legen, hätte man geahnt, welche Bedeutung die Neutronenstreuung heute für Strukturuntersuchungen in Biologie und Materialwissenschaften hat.
Doch anders als die Entdecker des Neutrons rechnen heutige Grundlagenforscher schon geradezu damit, dass ihr eigentlich zweckfreies Treiben zu nützlichen Anwendungen führt. Das reine Forschen muss sich Steuerzahlern und Politikern zunehmend durch den Hinweis auf die zu erwartenden Spin-offs verkaufen. Grundlagenprojekte, die auf absehbare Zeit wenig Wertschöpfung erwarten lassen - die bemannte Raumfahrt etwa, aber auch viele Geistes- und Kulturwissenschaften -, geraten da zunehmend in Rechtfertigungsnöte.
Leistungswissen
Um die Errungenschaften unserer technischen Zivilisation aufrechtzuerhalten, bedarf es einer Menge an Wissen, das nicht den Naturwissenschaften entsprungen ist. Dazu gehört jenes, das die Wirtschafts- und Rechtswissenschaften verwalten, aber auch Sprachkenntnisse. All das zusammen ist Wissen, das, in der Sprache der Ökonomie, "etwas leistet", weswegen man es auch Leistungswissen nennen könnte. Leistungswissen ist natürlich Macht-Wissen im Baconschen Sinne - doch hätte es kaum entstehen können, wäre es nur als solches angestrebt worden. Ohne theoria, ohne das zweckfreie Forschen, hätte es die Menschheit kaum je zu einer technischen Zivilisation gebracht.
Doch nun haben wir sie, die technische Zivilisation. Man könnte argumentieren, dass es keinen hinreichenden Grund mehr gibt, heute noch der theoria zu frönen - zumal Grundlagenforschung wie die der Astronomie sehr ins Geld geht. Nun, da wir es so weit gebracht haben, können wir die Leiter, auf der wir emporgestiegen sind, doch getrost wegwerfen und unsere Ressourcen ganz auf den Erwerb von Leistungswissen konzentrieren!
Dadurch ließen sich nicht nur Dutzende von Forschungsinstitutionen und universitären Fakultäten einsparen. Auch die Lehrpläne der Schulen wären im Nu entrümpelt. Die Naturwissenschaften könnte man zwar nicht völlig durch Technik und Informatik ersetzen. Denn modernes Leistungswissen verdankt sich, wie beschrieben, wesentlich der Pflege der Grundlagenfächer. Doch hätte sich das Fach Deutsch auf die Unterweisung in Sprachbeherrschung, sagen wir, maximal bis zur Bildung des Konjunktivs II zu beschränken. Wichtig blieben verbreitete Fremdsprachen wie Englisch und Spanisch - man würde sich natürlich mehr auf den Technik- und Wirtschaftswortschatz konzentrieren. Und bei der Unterrichtslektüre ersetzte man Salinger und Shakespeare sinnvollerweise durch das Wall Street Journal und das Handbuch für Microsoft Office. Ganz wegfallen müssten Geschichte, Kunsterziehung, Musik, Religion und erst recht alte Sprachen. Eltern, die ihren Kindern derlei angedeihen lassen wollen, können sie gern zusätzlich in private Einrichtungen schicken, die sich bei entsprechender Nachfrage sicher bald etablieren würden. Dem Steuerzahler kann aber nicht zugemutet werden, solche unproduktiven Interessen aus öffentlichen Etats zu subventionieren.
Bildung
Zum Glück redet so keiner oder höchstens ansatzweise. Stattdessen werden immer noch Observatorien betrieben, Museen unterhalten, Opernhäuser und Symphonieorchester subventioniert, und an vielen Universitäten leistet man sich Lehrstühle für Literaturwissenschaft und Kunstgeschichte. Diskussionen über den Nutzen des dort gepflegten anwendungsfernen, wenn nicht völlig anwendungsfreien Wissens führen oft auf den ebenso schillernden wie abgenutzten Begriff der "Bildung"
In Diskussionen dient "Bildung" oft als Gegenbegriff zur Ausbildung, also allen Formen der Unterweisung, die auf Leistungswissen abzielen. Aber interessanterweise ist dieser Wortgebrauch so schief, dass er nur in Sätzen funktioniert, die beide Wörter nebeneinanderstellen. Für sich genommen beschwört "Bildung" eben nicht das Bild einer Unterrichtssituation mit Lehrern und Schülern herauf, sondern eher die eines Individuums, das sich aktiv - etwa durch Lesen oder Reisen - Wissen aneignet. Man wird ausgebildet, aber man "bildet sich". Wenn wir von einer Lateinlehrerin sagen, sie sei gebildet, meinen wir gerade nicht ihre Lateinkenntnisse!
Dieses "Bildungswissen" erfreut sich nun trotz oder wegen seiner Anwendungsferne hoher Wertschätzung: Staaten, Städte und selbst Wirtschaftsunternehmen versprechen sich vom Sponsoring von Bildungsstätten positive Auswirkungen. So wie die Pflege des Leistungswissens den Fortbestand unserer Zivilisation sichern soll, so gilt Bildung als konstitutiv für Kultur im eigentlichen Sinne. Aber wozu?................
Ulf von Rauchhaupt (Auzug aus "Die Lust an der Erleuchtung" 2006)