Spiff schrieb:Diese Frage würde ich weiterhin gern beantwortet haben. Ganz einfach aus dem Grund, weil mich interessiert, ob es Berufe oder Jobs gibt, bei denen man auf Regeln pfeiffen kann oder sie sich so hinbiegen kann wie es einem passt und wo es auch egal ist, ob sich Kollegen, Vorgesetzte, Unterstellte und etwaige Kunden an die Regeln halten.
Mein Beruf tut hier nichts zur Sache, aber vielleicht hilft dir und anderen eine andere Anekdote.
Ich habe mal in einem Café gearbeitet, welches Backwaren und Torten selbst hergestellt hat und auch eine kleine warme Küche hatte. Schluss war immer um 19 Uhr und unser Chef und hat immer sehr viel wert darauf gelegt, dass wir pünktlich fertig waren. Ganz einfach deshalb, weil er gar keine Lust auf den Laden hatte. Das war ein Familienbetrieb, den er mehr aus schlechtem Gewissen weitergeführt hat, als aus Lust an der Sache.
War relativ neu dort, so ca. ein Jahr, und Mädchen für alles: mal gespült, mal gekellnert, mal mitgekocht usw. Es gab da noch eine Kollegin von mir, die Claudia. Ein kleiner, rothaariger Giftzwerg, der dort schon seit über 30 Jahren gearbeitet hat.
Es gab mehrere solche Situationen, aber eine erinnere ich mich noch besonders gut. An dem einen Abend war es ungefähr 18:15 Uhr und jemand wollte noch etwas warmes zu essen haben. Der Koch war schon längst weg, denn der hat immer nur von 7 bis 16 Uhr gearbeitet und jedes Essen, was danach kam, habe immer ich machen müssen. Oder im Wechsel mein anderer Arbeitskollege.
Die Claudia kommt um viertel nach sechs mit einem Essensbon zu mir und meint, ich solle das jetzt kochen. Ich guck auf die Uhr und sage ihr, dass ich das nicht machen werde, denn sonst werden wir nicht pünktlich fertig. Sie soll zum Gast gehen und sagen, dass die warme Küche aus ist. Da guckt die mich dann wie ein Auto an und fängt fast an, zu schreien. Auf jeden Fall hat sie sehr, sehr laut gesprochen. "Das ist ja unglaublich! Seit wann werden hier Gäste abgewiesen? Das habe ich in meinen 30 Jahren hier noch nie erlebt!" (was Bullshit ist) usw.
Ich blieb aber bei meiner Entscheidung, denn ich wusste ganz genau, dass wir es nicht mehr schaffen würden, wenn ich mich jetzt noch groß in die Küche stelle. Und ich habe ihr auch gesagt, dass das meine Entscheidung ist und ich mich dafür vor dem Chef verantworten werde, nicht sie.
Wahr ist natürlich, dass der Chef immer gesagt hat, dass der Gast König sei und wir Gäste nicht abweisen. Wahr ist aber auch, dass er es wie gesagt überhaupt nicht gerne gesehen hat, wenn wir nach 7 noch im Laden waren.
Die Claudia war so ein Mensch, der sich immer an Regeln hält, egal wie die Konsequenzen dadurch sind. Sie konnte nie Fünfe mal gerade sein lassen, die Umstände in ihre Entscheidungsfindung mit einfließen lassen oder priorisieren.
Auch wenn es sich vielleicht anders anhört, aber ich bin kein Mensch, der andauernd jede noch so dumme Regel bricht. Nein, ich sehe es bloß wie
@Tussinelda , dass Regeln Richtlinien sind und keine biblischen Gesetze. In 9 von 10 Fällen weisen wir auch keine Gäste ab. Aber es kann immer mal den einen Fall geben, wo wir es doch tun.
Das ist kein Widerspruch, denn das Ganze ist kein "entweder, oder". Sondern ein "sowohl als auch". Die Regeln haben ihre Gültigkeit, aber es gibt auch Ausnahmen.
Ende des Liedes ist, dass ich zum Chef gegangen bin, ihm die Situation und meine Entscheidung geschildert habe und Recht bekommen habe. Zum entsetzen der Claudia!
:D Und um mal wieder auf den Eingangspost zu kommen und weg von diesen Beispielen: Wieso glauben so viele Deutsche, dass Regeln in Stein gemeißelt sind, während Ausländer meistens der Ansicht sind, dass es nur Richtlinien sind? An diese hält man sich auch mehrheitlich bzw. in der meisten Zeit, aber es gibt auch Ausnahmen!