@JamieStarr Etwas Differenzierungsvermögen wäre angebracht - sowohl deinerseits als auch seitens Mr. Frances.
Das DSM spielt im deutschsprachigen sowie weitgehenden europäischen Raum in Hinblick auf die Vergabe von Diagnosen keine Rolle sondern ist ein Forschungsinstrument, das einerseits Symptomkonstellationen kategorisiert und operationalisiert, damit eine einheitliche Forschungssprache ermöglicht wird. Es ist rein phänomenologisch orientiert und sagt über den jeweiligen Störungswert sowie der Behandlungswürdigkeit der beschriebenen Symptomkomplexe trotz des irreführenden Titels des Manuals rein gar nichts aus. Dass die Benennung eines Symptomkomplexes gleichgesetzt wird mit "Störung" oder "Behandlungswürdigkeit" ist einerseits - sorry Mr. Frances - des inflationären Diagnostizierungswahns amerikanischer Psychologen und v.a. Psychiater zu verdanken, die auf Grundlage eines DSM Diagnostik betreiben, die so mit diesem Manual erstens nicht zuverlässig möglich ist, die zweitens ab dem DSM-III politisch motiviert beeinflusst wurde und drittens die durch Fachleute vorgenommen wird, die nicht verstanden haben, dass das DSM keine Krankheiten und Störungen abbildet, sondern Phänomene und die sich nicht bewusst darüber sind, dass beobachtete Phänomene und deren Relevanz immer vor dem Hintergrund des zeitgenössischen Kontextes betrachtet werden müssen. Keines der darin beschriebenen Phänomene ist "ausgedacht", wie du es dir gern zurechtbiegen magst, sondern gab es, gibt es und wird weiterhin beobachtbar sein. Die originäre Aufgabe des DSM und seiner Autoren lag nie darin, diese Phänomene zu pathologisieren, sondern sie zu beschreiben. Sie sind zeitlos. Ob sie jedoch Störungswert haben oder eine Behandlungswürdigkeit anzeigen, ist vom gesellschaftlichen Kontext abhängig und davon, was eine Gesellschaft als deviant erklärt und mit welchen Einschränkungen ein Mensch konfrontiert ist, der dieses Phänomen aufweist. ADHS ist ein schönes Beispiel dafür. Viele vergessen, dass die Krankenkassen solange keine Behandlungen übernehmen, solange ein Phänomen keinen Namen erhält. Es wird weder Forschung noch Behandlung geben, solang es keinen Namen erhält. Solang es keinen Namen erhält, werden Menschen, die Hilfe oder Entschädigung benötigen, keine Hilfe erhalten.
Ab den 80er Jahren wollte man Abhilfe schaffen, was dazu geführt hat, dass Versicherungen und politische Lobbies plötzlich Einfluss an der Gestaltung des DSM erhalten konnten. Und nochmal - sorry Mr. Frances - auch Ihnen ist es zu verdanken, dass es mittlerweile diese von Ihnen als inflationär und "erfunden" angesehenen Symptombeschreibungen gibt, die jedwedem klinischen Wissen und Forschungsstand widersprechen. Beispiel PTSD. In der amerikanischen Definition wurde diese Diagnose derart politisch verändert, dass sie mit dem tatsächlich beobachtbaren Störungsbild rein gar nichts mehr zu tun hat, Menschen darin einschließt und Behandlung zukommen lässt, die diese weder benötigen, aber pathologisiert werden und im Drehtürprinzip im psychotherapeutischen Hilfsnetz Plätze für diejenigen blockieren, die tatsächlich Hilfe bedürfen.
Jeder Fachmann, der sich, wie es in seinem Berufsbild Pflicht ist, mit dem DSM, seinen Hintergründen und dem, was sein Anspruch ist, auseinandergesetzt hat, geht verantwortungsbewusst mit seinem Inhalt um.
Mr. Frances echauffiert sich über die Unfähigkeit von Psychiatern, Fehler zu begehen, für die er selbst wissentlich den Grundstein gelegt hat, ohne die Fehler auszuräumen, die bereits seine Vorgänger begingen. Und ob er in diese Fehler einfach so zufällig reingestolpert ist, fragt sich, wenn man bedenkt dass er seinen ersten Studienabschluss in Wirtschaftswissenschaften erworben hat. Wer sich mit der Historie des DSM auseinandergesetzt hat, weiß, dass das nicht unbedingt Zufall ist. Mr. Frances kann gern Tatsachen verdrehen wie er möchte, das ändert allerdings nichts daran, dass er selbst eine Ursache des Problems ist, wie wir es heute mit dem DSM haben und damit, dass Wirtschaftsinteressen, die Einzug in ein Forschungsfeld erhalten haben, nicht nur für wirtschaftlich unnötigen Schaden sorgen, sondern auch für eine Pathologisierung unserer Gesellschaft, die jedoch der Großteil der Fachleute ebenfalls nicht teilt. Und letztlich haben wir den Mitgliedern der Kommissionen seit den 80er Jahren auch zu verdanken, dass Psychologen, Therapeuten und ein gesamter Forschungszweig als Nicht-Wissenschaft entwertet wird, die sie jedoch nicht ist.
Bloßes plattes, pauschales und einfach - sorry - dummes Bumm-Bumm-Psychologen-Gebashe in diesem Thread bringt wahrscheinlich keinen inhaltlichen Mehrwert, außer, dass man mehr über die Verfasser erfährt als darüber, was sie denn nun eigentlich kritisieren.