@McMurdo (sorry, das ist viel zu lange geraten - aber ich kanns nicht kürzen)
Es sind genau diese Fragen, die den Hintergrund geschaffen haben dass der Fall Lockett in den USA jetzt so einschlägt... Weil man vor mögliche Komplikationen, wie sie jetzt vielleicht aufgetreten sind, vorher auf breiter Front gewarnt hat.
Je nachdem was die Untersuchungen ergeben, werden es auch genau diese Fragen sein die die Befürworter der Todesstrafe neu zu beantworten haben werden. Vor den Gerichten die letztlich entscheiden ob ein Deliquent hinhgerichtet wird oder nicht.
Deswegen sind es genau diese Fragen, die gerade dazu führen dass Oklahoma bis auf weiteres Hinrichtungen aussetzt.
Man ist bei der Giftspritze gelandet, weil der Elektrische Stuhl eine unsaubere Methode war.
So wie die Gaskammer eine unsaubere Methode war.
Beide wurde eingerichtet um das Hängen abzulösen dass, so wie es in den Staaten durchgeführt wurde, zuweilen auch eine unsaubere Methode war.
Methoden, bei denen Blut fliesst, sind erst recht unsauber und unangenehem.
Die Giftspritze aber, so die Befürworter, sei die sauberste und "humanste" Methode, am wenigsten belastend für den Deliquenten, die Durchführenden und die Zeugen.
Die Befürworter wollen doch nicht (alle) als wütende Tiere voller Blut- und Rachdurst wahrgenommen werden. Sie haben wohl mehrheitlich sich längst darauf eingelassen, dass Hinrichtungen "human" abzulaufen haben.
Zeigt sich nun, dass die Staaten in den USA die noch hinrichen, das nicht zu 100% in den Griff kriegen haben die Befürworter ein Problem: Denn die Gesellschaft zB. in Oklahoma mag die Todesstrafe an sich akzeptieren oder unterstützen - aber solche Grausamkeiten wollen auch die nicht.
Für die Antis dagegen ist die Suche nach der "humanen" Hinrichtung natürlich ein Widerspruch in sich. Dass sich dann die Giftspritze gar keine so saubere Methode herausstellt ist, hat man immer gesagt.
Denn es gibt keine Methode eine Menschen auf menschliche Art und Weise umzubringen.
Das zeigt sich früher oder später bei jeder Methode.
Wieso ist es denn überhaupt zu diesen Komplikationen mit und Diskussionen über Chemikalien gekommen?
Weil die EU, kurz gesagt, aufgehört hat die Tötungsmittel zu liefern.
Seit die Staaten sich selbst darum kümmern müssen sind die Probleme gestiegen.
Sie weigern sich im Grossen und Ganzen die Quellen ihrer Gifte zu nennen, die Zusammensetzung überprüfen zu lassen usw. - es heisst, dass Apotheken das Zeug selbst herstellen. Auch da stellen sich Fragen (die FDA hat da eigentlich Aufsicht drüber).
Ein Szenario als Beispiel wie diese Fragen konkret eine entscheidende Rolle spielen können:
Der Supreme Court in Oklahoma entscheidet, dass künftig der Hersteller bekannt gemacht werden muss.
Am selben Tag geht der shitstorm gegen diesen Hersteller los. Nicht nur virtuell, da tauchen Leute mit Plakaten vor der Türe auf, brüllen in Megafone.
Der Hersteller will Geld verdienen. Sein Geschäft wird leiden. Der Hersteller muss sich entscheiden - will er sein Tagesgeschäft ruinieren um ein-, zweimal im Monat für die Henker Gift zu mischen?
Der Druck bleibt bestehen bis er sich zurück zieht.
Dann kann der State sich einen neuen Hersteller suchen.
Bei dem aber ginge das wieder von vorne los.
Was würde man dann als Apotheker machen wenn das Departmen of Corrections bei einem anfragt ob man nicht vielleicht einspringen könnte?
Neben dieser Boykott/Protest-Geschichte:
Der Nachweis, das eine verwendete Methode eine "cruel and unusual punishment" darstellt ist für manche der Königsweg um diese Methode und damit auch (nach und nach) die ganze Todesstrage loszuwerden. Denn eine solche Strafe verstösst gegen den 8. Zusatzartikel der US-Verfassung.
Im Jahr 2008 entschied der Supreme Court of the United States (SCOTUS) mit 7 zu 2 Stimmen, dass die Todesspritze nicht dagegen verstösst und verfassungsmässig ist. Die Frage war so wichtig, dass während der Beratungen darüber niemand hingerichtet werden konnte.
Aber in der Zwischenzeit hat sich einiges geändert, die Vorräte an Giften die aus EU-Ländern geliefert wurden, sind aufgebraucht.
Seitdem - man kann es gar nicht anders sagen - experimentiert man herum.
Was man in der Diskussion in Deutschland manchmal übersieht, die ich wie meine oft seltsame Nebentöne und Hintergründe hat nach dem Motto "die USA richten Menschen hin" usw.:
Die meisten Staaten drüben haben zwar die Todesstrafe (32).
Aber die allerwenigsten richten auch tatsächlich hin.
Im Jahr 2013 waren es nur neun, 2012 waren es sieben, 2011 waren es 13 und 2010 waren es 12!
http://www.deathpenaltyinfo.org/number-executions-state-and-region-1976In den allermeisten Staaten sterben die Todeskandidaten an Altersschwäche oder Krankheiten auf Death Row.
Etliche Staaten sprechen zwar die Todesstrafe aus, aber sie vollstrecken sie nicht.
Die Menge dieser Staaten zu vergrössern ist eines der Ziele.
Ein anderes, Staaten die Konsequenz ziehen zu lassen die DP gar nicht erst auszusprechen.
Die Diskussion über die verwendeten Mittel kann da ein Schlüssel sein, und aktuell ist sie es auch.
Du darfst nicht übersehen:
Die Todesstrafe ist in den USA grundsätzlich mit der Verfassung vereinbar. Das sind die Gegebenheiten, das ist der Ausgangspunkt. Sie ist nicht illegal, man kann ein grundsätzliches Verbot nicht erzwingen.
Es muss die Entscheidung der Bürger des jeweiligen Staates sein. Die Akzeptanz dieser Bürger in der Frage zu beeinflussen ist eines der Ziele. Dazu gehört die Farce von der "humanen" Hinrichtung zu entlarven. Genau das leistet die Diskussion über die Methode.
Wäre die nicht so intensiv geführt worden, dann würde man nicht so einen Aufschrei jetzt erleben - denn die Antis haben genau davor immer gewarnt, es kann keiner sagen dass er jetzt überrascht ist.
Man akzeptiert nicht die Todesstrafe wenn man auf diesem Level diskutiert,
man akzeptiert aber natürlich, dass sie legal ist.
Wenn man ernst genommen werden will muss man das auch akzeptieren. Denn sie ist legal.
Man kann nur realistisch diskutieren und ernst genommen werden, wenn man sich auf diesem Boden bewegt. Sonst wird man zum Prediger.
Hier in Deutschland kann man diese Auseinandersetzung auf diesem Niveau führen, mit "grundsätzlich" und "moralisch" und ähnlichen Worthülsen die nichts bringen (sowohl Gegner als auch Befürworter sehen sowieso die "Moral" auf ihrer Seite...).
Das ist egal, wie schon geschrieben:
Es wird in der Bundesrepublik keine Todesstrafe geben können. Es ist nicht möglich sie hier wieder einzuführen.
"Drüben" ist man auch über kleine Schritte froh, wenn sei einem dem Ziel näher bringen.
Eine Grundstzdiskussion rettet kein einziges Leben, die Diskussion über die Unmenschlichkeit bzw. die Unbeherrschbarkeit der Risiken einer konkreten Methode aber kann Leben retten.
Das wird man in den nächsten Wochen sehen können, je nachdem was die Obduktion usw. ergibt.
Hier mal ein differenzierter Artikel aus dem "Atlantic" vom Februar der diese Medikamten-Zusammensetzungs-Herkunfts-Problematik noch etwas verdeutlicht.
http://www.theatlantic.com/international/archive/2014/02/can-europe-end-the-death-penalty-in-america/283790/und dann natürlich sowas hier
http://www.bostonglobe.com/news/nation/2014/05/02/obama-orders-policy-review-death-penalty/p0j9UneimSGSqUgc5ubQVK/story.html