@fischersfritzi Die ärztliche Schweigepflicht ist eine strenge Rechtsvorschrift. Ein Bruch dieser Pflicht zieht sowohl strafrechtliche Konsequenzen als auch standesrechtliche Konsequenzen nach sich. Nach § 203 StGB kann das bis zu ein Jahr Gefängnis bedeuten. Standesrechtliche Vorschriften sind mehr oder weniger dem Strafgesetzbuch gleichlautend, so z.B. § 9 der Berufsordnung für Ärzte in Bayern.
Als unerlaubte Handlung kann so ein Bruch auch Schadenersatzansprüche etablieren, die dann zivilrechtlich eingefordert werden können.
Nun aber zu Deiner Frage. Das ist in der Tat ein Sonderfall. Wir Juristen fragen bei diesen Dingen immer nach dem Zweck einer solchen Vorschrift, dem Schutzzweck hier und wem dieser Schutz gebührt.
Beispiel 1: Alois hat ein Auto aufgebrochen indem er die Fensterscheibe zerschlug. Dabei hat er sich allerdings am Arm erheblich verletzt und geht daher zu Dr. Gsundmacher. Dieser fragt ihn: "Ja mei, wie ham's denn des g'macht?" Alois erzählt ihm, wie es zu der Schnittverletzung kam. Dr. Gsundmacher darf dieses Wissen niemandem weitergeben, denn die Straftat war in der Vergangenheit und er erlangte dieses Wissen weil er den Alois ärztlich behandelte.
Der Zweck der Vorschrift wird hier deutlich: Der Gesetzgeber will verhindern, dass ein Straftäter aus Angst vor dem Arzt, der sein Wissen an die Polizei weitergeben wird, sich nicht behandeln lässt und dadurch Schaden nimmt, der eventuell weit grösser ist, als die strafrechtliche Konsequenz wäre. Der Gesetzgeber hat hier abgewogen zwischen dem staatlichen Strafverfolgungsanspruch und der grundgesetzlich garantierten Menschenwürde, die auch dem Täter ein Recht auf medizinische Behandlung gewährt.
Anders liegt es hier:
Alois hat eine Schnittverletzung am Arm und geht wieder zu Dr. Gsundmacher. Aber er hat keine Straftat begangen. Er ist aber jemand, der kein Geheimnis für sich behalten kann und erzählt dem Arzt, während dieser einen Verband anlegt: "Herr Doktor, stellen S' sich vor, gestern ist in meinem Nachbarhaus eine Frau ermordet worden. Und ich hab's gesehen!! Der Sepp, der ist mit einem grossen Messer in der Hand aus dem Haus gelaufen, direkt an meinem Fenster vorbei. Der Sepp und i, mir san oide Spezln, daher hob i nix davon den Schandarmen g'sagt."
Dr. Gsundmacher hat dieses Wissen ebenfalls bei seiner ärztlichen Tätigkeit erlangt. Aber es betrifft den Alois gar nicht. Der hat sich nicht strafbar gemacht. Es betrifft einen Dritten, den Sepp, der aber den Doktor gar nicht kennt und umgekehrt. Wenn Dr. Gsundmacher sich nun an die Gendarmerie wendet, bricht seine Aussage nicht den Zweck, den die Schweigepflicht hat: nämlich den Alois zu schützen.
Es kommt in solchen Fällen allerdings sehr auf die individuellen Umstände an. Hätte Alois zum Beispiel bereits bei der Polizei ausgesagt, dass er nichts gesehen habe, wäre dies eine Falschaussage gewesen und er hätte sich strafbar gemacht. Verrät Dr. Gsundmacher dann der Polizei, dass Alois doch etwas gesehen hat, wird also Alois dadurch belastet und daher darf der Doktor nichts sagen.
Das Ganze ist also recht problematisch, ausserdem wäre die Aussage des Doktors im zweiten Fall sogenanntes Hörensagen und der Beweiswert gegen den Sepp wäre vom Gericht sehr kritisch zu hinterfragen.