Karajana schrieb:Man kann zumindest sagen, es ist noch eins der besseren Indizien in diesem Fall.
Trotzdem ist natürlich auch nicht ausgeschlossen, dass er sich während der Vernehmung hat verunsichern lassen.
Wenn man oft genug gefragt wird, ob man sich sicher mit der Route ist, und ob es nicht evtl doch so und so gewesen sein könnte, dann kann es durchaus möglich sein, dass man irgendwann selbst unsicher wird, und die Route dahingehend ändert. Auch um schneller aus der unangenehmen Situation zu kommen.
Wie es letztendlich zu diesem Widerspruch kam, wissen wir ja nicht.
Ich macht auch regelmäßig Sport direkt vor meiner Haustür und ich habe da eigentlich nur 2 verschiedene Strecken, von denen ich mich für jeweils eins spontan entscheide. Welche ich an welchem Tag nehme hängt damit zusammen, wie viel Zeit ich habe (eine länger als die andere), wie das Wetter ist oder am Vortag war (eine befestigte Wege, die andere eher matschig) und wie viel Power ich an dem Tag haben (eine wie gesagt länger und auch etwas mehr Steigungen als die andere). Manchmal, eher selten, entscheide ich mich unterwegs um und kombiniere die beiden Routen über einen kürzeren Verbindungsweg.
Gerade weil es eben immer nur die eine oder die andere ist, also jeden Tag mehr oder weniger das gleiche, kann ich heute kaum noch sagen, welche Strecke ich heute vor einer Woche gelaufen bin und schon gar nicht, welche an einem bestimmten Tag vor 2 oder 3 Wochen.
Aber: ich bin in den letzten 6 Wochen nur 2 x im Dunklen gelaufen. An welchen Tagen genau, kann ich nicht mehr sagen, auch nicht rekonstruieren, aber ich weiß noch genau, welche Strecke das jeweils war.
Ich gehe nicht davon aus, dass S.T. regelmäßig nachts joggt, obwohl wir darüber nichts wissen. Aber er wird wohl kaum jede zweite Nacht um 2 Uhr auf die Runde gehen (wenn es so wäre, würde ich denken, dass wir es wissen würden, denn das wäre in meinen Augen eine ihn sehr entlastende Info). Wenn ich also einmal, vielleicht zum ersten oder zweiten Mal überhaupt nachts um 2 Uhr jogge, dann wüsste ich genau, wo ich lang gelaufen bin. Die Entscheidung, welche Strecke man nimmt, ist dann eben auch sehr bewusst, weil man überlegt, dass man vielleicht nicht gerade an einer unbeleuchteten Landstraße langlaufen will oder auf einem Waldweg mit Wurzeln und Löchern. Außerdem bekommt man bestimmte Eindrücke, weil Orte mitten in der Nacht halt ganz anders wirken als am Tag und auch als um 20 Uhr abends, wenn es im Herbst ja durchaus auch schon dunkel ist.
Hinzu kommt, dass er halt am nächsten (nach eigener Aussage am frühen Abend durch seine Mutter) oder spätestens am übernächsten Tag (zu seinen Gunsten angenommen, als es dann der ganze Ort wusste) erfahren hat, dass in genau dieser Nacht und zu genau der Zeit seiner Jogging-Runde eine Junge Frau umgebracht worden ist. Und zwar genau in unmittelbarer Nähe seiner Joggingrunde.
Das muss ihn meiner Meinung nach gedanklich beschäftigt haben, auch und gerade wenn er nicht der Täter war. Wenn ich mir vorstelle, ich würde nachts laufen und am nächsten Tag so etwas erfahren könnte ich auch nach einem halben Jahr wahrscheinlich noch sagen, welche Strecke ich damals genommen habe. Einfach weil man sie in dem Moment, in dem man das erfährt, nochmal gedanklich nachgeht, sich vielleicht gruselt (immerhin hätte man die Tat beobachten oder dem Täter auch selber in die Arme laufen können....) und eben weil so etwas einen beschäftigt, schockt, erschrickt etc.
Ich hätte mich auch direkt als Zeuge bei der Polizei gemeldet, selbst wenn man selber meint, nichts besonderes gesehen zu haben, weiß man ja nicht, wozu die Polizei Informationen haben möchte. Und selbst die Info "auf der Strecke von A nach B ist mir niemand entgegen gekommen" kann halt wichtig sein.
Dass er sich nicht gleich in den ersten Tagen freiwilligt gemeldet, will ich gar nicht als Indiz gegen ihn werten. Es gibt Leute, die wollen mit der Polizei lieber möglichst nichts zu tun haben und das muss eben nicht gleichzeitig bedeuten, dass sie ein schlechtes Gewissen haben oder bei denen auch nur schon mal unangenehm aufgefallen sind.
Als Indiz gegen ihn deute ich aber durchaus die Tatsache, dass er sich dann später, als der Jogger explizit gesucht wurde, erst auf deutliches Drängen der Mutter hin und mit Verzögerung gemeldet hat. Es geht um ein tötliches Verbrechen an einer jungen Frau und wenn ich da irgendwie etwas zur Aufklärung beitragen kann, würde ich keine Sekunde zögern mich zu melden - selbst wenn mein Beitrag nur darin bestünde, dass die jetzt nicht mehr 3 Leute abstellen müssen um nach einen Jogger als Zeugen zu suchen und deshalb andern Aufgaben nachgehen können.
Allerdings würde ich ganz sicher Hinz und Kunz von genau dieser Joggingrunde erzählen, weil es mich eben sehr beschäftigen würde und gerade, wenn im Bekanntenkreis über den Fall eh gesprochen wird. Ich kann mir nicht vorstellen, dass jemand, der mit der Tat nichts zu tun hat, in so einer Situation nicht sagen würde "Stellt Euch vor, ich bin in genau der Nacht genau in der Ecke gejoggt. Ich habe allerdings nichts gesehen, nicht mal was gehört!" Vielleicht muss man es ja nicht jedem entfernten Bekannten verklickern, der nur scharf auf Dorftratsch ist, aber wenn im direkten, engen Freundeskreis mit einiger Betroffenheit davon gesprochen wird, kann ich nicht nachvollziehen, wieso man das nicht berichtet.
Ich gehe davon aus, dass er in den Tagen unmittelbar nach dem Tattag auch durchaus in dieser Art mindestens mit seiner Mutter darüber gesprochen hat. Immerhin wusste die ja offenbar auch fast 3 Wochen später noch , dass ihr Sohn in genau dieser Nacht joggen war und deshalb der von der Polizei als Zeuge gesuchte Jogger sein könnte.
Möglich, dass die Mutter selber mitbekommen hat, dass ihr Sohn in der Nacht das Haus verlassen hat und sie ihn dann nachdem sie von der Tat erfahren hat, drauf angesprochen hat (das halte ich aber für unwahrscheinlicher). Ich glaube eher, dass er zuhause nach dem Bekanntwerden der Tat durchaus aus freien Stücken davon berichtet hat, dass er in genau dieser Nacht joggen war. Und ich glaube auch, dass die Mutter diese Info eben mit der Tat verknüpft hatte und genau deshalb nach 3 Wochen noch wusste, dass ihr Sohn in der Tatnacht joggen war. Nicht, weil sie auch nur im Entferntesten geahnt hat, dass er etwas mit der Tat zu tun haben könnte, sondern einfach weil es ein extrem außergewöhnliches Ereignis ist, wenn in einem kleinen Ort so eine Tat passiert und der eigne Sohn auch nur entfernt in zeitlicher und räumlicher Nähe an der Tat vorbeigejoggt ist. Selbst wenn er ihr gegenüber behauptet hat, 1 ganze Stunde eher oder früher unterwegs gewesen zu sein und auf einer ganz anderen Strecke.
Deshalb finde ist das Argument "Ich weiß auch nicht mehr genau, welche Strecke ich an einem bestimmten Tag vor 3 Wochen gelaufen bin!" hier nicht sehr überzeugend. Meiner Meinung nach entkräftet dieses Argument das Indiz in keiner Weise und ich gehe davon aus, dass er bei der ersten Vernehmung bewusst und gezielt gelogen hat.