Honigbrot schrieb:Kann man aufgrund des Drängens der Richterin die Beweisaufnahme abzuschließen und die Aufforderung an Frau Rick alle Anträge bis zum 8. Februar einzureichen davon ausgehen, dass das Gericht bereits zu einer Entscheidung gekommen ist, die Anträge von Frau Rick nur noch der Form halber akzeptiert werden, und der Angeklagte verurteilt wird?
Wenn er Freigesprochen werden würde, dann müsste das Gericht alle Anträge der Verteidigung doch mit offenen Armen empfangen, weil ihnen das „Stoff“ für die Urteilsbegründung (Freispruch) gibt.
Kann mir hier vielleicht jemand aus dem juristischem Bereich weiterhelfen?
Eine Kammervorsitzende hat neben der Hauptaufgabe, die "Wahrheit" in einem laufenden Verfahren herauszufinden auch immer die etwas nervige Aufgabe, die sogenannte "Prozessökonomie" im Blick zu behalten. So schön es wäre, sagen zu können, "wir haben jetzt alle Zeit der Welt um in diesem Prozess wirklich alles so lang zu diskutieren, was irgendjemand vorzubringen hat und wir lassen uns von nichts und niemandem drängen, und wenn ein Prozess zwei oder drei Jahre dauern sollte..." - die Realität ist eine ganz andere. Richter stehen immer unter einem gewissen Druck, ein Verfahren so effizient und damit so schnell wie möglich abzuschliessen. Es warten schon einige weitere Verfahren - und damit Menschen - auf die Gelegenheit, ihren Fall vorzubringen.
Aber eine erfahrene und gute Richterin wird niemals das Recht eines Angeklagten, alles vorzubringen, was im Verfahren zur Urteilsfindung wichtig ist, beschneiden. Sie wird und kann aber die Beteiligten unter einen gewissen Druck setzen, "zu Potte zu kommen." Insofern ist es falsch, als Beobachter, irgendeine "Urteilstendenz" aus solchen Dingen herauslesen zu wollen, auch wenn es manchmal vielleicht tatsächlich so ist.
Mal ein Beispiel aus meiner eigenen Praxis: ich hatte 8 Zeugen nominiert und am Ende des Vormittags hatten vier ausgesagt. Der Richter fragte mich, ob ich einverstanden sei, auf die Vernehmung der restlichen vier zu verzichten, oder ob diese noch weitere, bisher nicht gehörte Dinge vorbringen wollten.
Ich wusste, dass die vier im Prinzip nur die Aussagen der ersten vier bestätigen und bekräftigen würden. Ich hätte jetzt auf deren Vernehmung bestehen können. Aber in der Art und Weise, wie der Richter bisher agierte und auch wie die Staatsanwaltschaft agierte, las ich, dass erstens der Richter wirklich fertig werden wollte und zweitens, dass meine bisherigen Argumente und Beweise sehr sehr stark waren. Da habe ich zugestimmt, auf die Vernehmung zu verzichten. Der Richter war happy, mein Mandant wurde freigesprochen und der Richter konnte ins Wochenende. Das war eine Gefühlsentscheidung von mir, aber auch eine absolute Ausnahme in meiner ganzen Karriere. Denn "gefühlte" Stimmungen im Gerichtsaal können sich auch als totaler Irrtum herausstellen.