Venice2009 schrieb:Es war somit nicht die Handlung selber verdächtig sondern die handelnde Person.
Ach Unsinn. Wenn er den Pflegedienst noch von der Wohnung aus angerufen hätte, dem Hausarzt nochmal wegen der Knieprobleme von Frau Kortüm aufs Band gesprochen hätte, nach Hause gegangen wäre zum Haare färben und den kein Stück dringenden Bindeneinkauf nebenbei (während der Fahrt zum Krankenhaus oder abends, als er mit der Familie eh noch einkaufen war) erledigt hätte, wäre das alles völlig normal und unauffällig gewesen.
Seps13 schrieb am 19.08.2019:In einem anderen Fall von schwerem sexuellem Missbrauch hat das LG Gera den Lebensgefährten der Mutter des missbrauchten Kindes verurteilt, obwohl keine Beweise für die Tat und den Täter vorliegen.
Nochmal zu dem BGH-Urteil vom 30.03.2016 (2 StR 405/15):
Die Tatzeit ist in dem dortigen Fall nur grob eingrenzbar, es gibt keine forensischen Spuren, keine tatnahen und auch keine sonstigen Indizien, keine Anhaltspunkte zum Motiv. Medizinisch wurde ein Dammriss festgestellt, der auch von einem Sturz/Setzen auf einen Gegenstand hätte herrühren können, wofür die Kammer „keinen Hinweis sah“. Woher der Dammriss stammt, konnte nicht ermittelt werden.
Die Kammer hat einen Unfall ausgeschlossen, allein, weil sie keine Hinweise dafür gesehen hat. Die Kammer hat eine Tat, eine Täterschaft und eine sexuelle Motivation allein aus dem Umstand geschlossen, dass der Angeklagte und das Kind eine Stunde allein waren.
@Sector7, du meinst nun, die korrekte Auslegung der höchstrichterlichen Rechtsprechung lautet analog:
Sector7 schrieb:"Fehlen für die Täterschaft anderer Personen als des Angeklagten [oder für einen Unfall] hier auch unmittelbar tatbezogene Indizien, so darf selbst eine fernliegende Tatbegehung durch einen Dritten [oder ein fernliegender Unfall] nicht ohne Weiteres außer Betracht gelassen werden. Vielmehr muss auch die Möglichkeit der Täterschaft eines Dritten [bzw. die Möglichkeit eines Unfalls] anhand von Tatsachen ausgeschlossen werden, um den Angeklagten belasten zu können."
Sector7 schrieb:Wenn tatnahe Indizien fehlen, muss ein Unfall - auch ein entfernt möglicher - durch Tatsachen "sicher" ausgeschlossen werden, um den Angeklagten mittels Ausschluss-Tatnachweis zu belasten.
Die Möglichkeit eines Unfalls wurde in dem obigen Fall nicht anhand von Tatsachen "sicher" ausgeschlossen, so wie du es forderst. Die Kammer fand einen Unfall lediglich fernliegend. Man hätte den Angeklagten demnach freisprechen müssen.
Zur Anwendung kam (richtigerweise, wie ich meine), dieser Grundsatz:
Eine Verurteilung ist in einem Ausschlussverfahren möglich, wenn kein Beweisanzeichen vorliegt, das unmittelbar auf die Tatbegehung und den Täter schließen lässt. Dieses methodische Vorgehen bildet allerdings nur dann eine tragfähige Grundlage für die Verurteilung eines Angeklagten, wenn alle relevanten Alternativen mit einer den Mindestanforderungen an die tatrichterliche Überzeugungsbildung genügenden Weise abgelehnt werden, wobei ein nach der Lebenserfahrung ausreichendes Maß an Sicherheit genügt, das vernünftige und nicht bloß auf denktheoretische Möglichkeiten gestützte Zweifel nicht mehr zulässt
Nun ist die Motivation allgemein wohl nicht besonders hoch, den verurteilten Kinderschänder akribisch mit Erfinden von irgendwelchen fantasievollen alternativen Hergängen, die das Gericht übersehen haben könnte, zu entschuldigen, aber wenn man die beiden Fälle vergleicht, und vergleichbar sind sie, dann hatte man bei Genditzki doch noch mehr in der Hand.