BLEIBERECHT NACH FEUERDRAMA
Ein verbranntes Leben
Der Asylbewerber A. Malik darf bleiben, weil seine Familie bei einem Brand in Altona starb. VON OLIVER HOLLENSTEIN
Am Mittwoch, den 5. Februar 2014, um kurz vor 20 Uhr, zündet ein 13-jähriger Jugendfeuerwehrmann im Flur der Eimsbüttler Straße 75 in Altona einen Kinderwagen an. Um 20.30 Uhr tragen Feuerwehrleute die leblosen Körper von Nazia, Daniel und Rahman A. aus dem Asylbewerberheim. Um 22 Uhr kommt A. Malik von einem Praktikum in einem indischen Restaurant nach Hause. Seine Frau und seine beiden Söhne sind tot.
Es ist dieser Abend, der A. Malik beschert hat, wofür er 16 Jahre lang gekämpft hatte: Er darf endlich in Deutschland bleiben.
In der vergangenen Woche hat die Härtefallkommission der Bürgerschaft die Innenbehörde ersucht, Malik eine unbefristete Aufenthaltsgenehmigung auszustellen. Es ist das zynische Happy End einer unendlich traurigen Geschichte, die wütend macht auf das Asylrecht und die Behörden. Nur A. Malik, der Mann, der in Deutschland Malik A. heißen muss, kann nicht mehr wütend sein.
Es ist Montagabend, ein Café im Hamburger Süden. Malik, 30 Jahre alt, war beim Friseur, trägt weiße Schuhe, schwarze Jeans, ein rotes T-Shirt und ein dunkelblaues Jacket. Er wolle ein geregeltes Leben führen, sich einen Job suchen, sagt Iftikar Malik. Der Jurastudent übersetzt für seinen Cousin A., der mit hängenden Schultern neben ihm sitzt und mit glasigem Blick auf seine Hände unter dem Tisch blickt. "Es soll weitergehen", sagt der Übersetzer. Der Körper von Malik schreit: Nichts geht hier weiter, gar nichts. Die Sprachbarriere ist wie ein Sicherheitspuffer. Zwischen Wunsch und Realität, zwischen dem Menschen A. und den deutschen Institutionen. Malik spricht Urdu, unterbrochen von Worten wie Duldung, Ausländerbehörde und Asylantrag. Später wird er der Fotografin aber in gutem Deutsch sagen: "Wenn die Behörden früher so entschieden hätten, wäre meine Familie jetzt nicht tot."
Das Drama ist: Es hätte viele frühere Gelegenheiten gegeben. Malik war 14 Jahre alt, als er 1998 aus einem Dorf in der Provinz Punjab im Osten Pakistans floh. Seine Familie gehört der religiös verfolgten Gruppe der Ahmadiyya an. Die Eltern schickten ihn deswegen zu Verwandten nach Deutschland. Malik sollte ein Leben in Freiheit führen – und verlor zunächst seinen Namen. Ein Beamter vertauschte auf einem Formular Vor- und Nachnamen, aus A. Malik, wurde Malik A. Ohne Geburtsurkunde oder Pass sei das nicht zu ändern, hieß es später.
Mit neuem Namen lebte Malik zunächst bei einem Onkel, ging zur Schule. "Dann wurde sein erster Asylantrag abgelehnt", sagt Cousin Iftikar. Das Bundesamt für Migration und das Verwaltungsgericht erkannten die Verfolgung der Ahmadiyya nicht als Asylgrund an. "Er war geduldet, durfte dann aber nicht mehr in die Schule und nicht mehr arbeiten." Wie alt war er da? Malik zuckt mit den Schultern. 16 oder 17.
Malik kann oder will sich an vieles von früher nicht genau erinnern. In seiner Geschichte ist er das Opfer. Ob es wirklich so war? Aus den Behörden heißt es, der Fall sei kompliziert. Die Ausländerbehörde sah keine Möglichkeit, etwas zu tun. Das Problem: Malik fehlte der Pass.
Seite 2/2: "Meine Eltern haben gesagt, ich soll Sitten und Gesetze achten in dem Land, wo ich lebe"
2005 hat Malik geheiratet, das weiß er noch genau. Tränen steigen in seine Augen. Nazia, drei Jahre älter als er, stammte auch aus Pakistan, war geduldet wie er. 2006 wurde Sohn Rahman geboren, ein Jahr später Daniel. Trotzdem bekam die Familie kein Asyl, zwei Klagen scheiterten. Geduldet wurden sie immer für einige Wochen, manchmal auch für ein paar Monate, dann mussten sie auf dem Amt erneut um einen Aufschub bitten.
"Meine Eltern haben gesagt, ich soll Sitten und Gesetze achten in dem Land, wo ich lebe", sagt Malik. "Ich habe deswegen immer die Pflicht gespürt, etwas Sinnvolles mit meinem Leben anzufangen." Das klingt einfacher, als es war: Als geduldeter Asylbewerber durfte Malik nicht arbeiten und Geld verdienen. "Aber ich wollte meinen Söhnen ein Vorbild sein." Malik machte deswegen als Kellner oder Hilfskoch unbezahlte Praktika in indischen Restaurants.
Auch am Abend des 5. Februars ist Malik bei einem Praktikum, er arbeitet als Küchenhilfe in Winterhude. Erst als er nach Feierabend heimkehrt, erfährt er, dass es seine Familie nicht mehr gibt. Noch in der Nacht muss er die Leichen identifizieren. Die Behörden erteilen Malik eine vorübergehende Aufenthaltserlaubnis: Nach 16 Jahren darf er damit erstmals wieder Hamburg verlassen, um seine tote Familie in Pakistan zu beerdigen.
Vieles in dieser Zeit habe die Familie wie in Trance erlebt, sagt Cousin Iftikar. Zwei Tage vor dem Abflug durften sie, erzählt er, die verkohlte Wohnung besichtigen. Der Hausmeister gab ihnen anschließend den Schlüssel, damit sie später persönliche Habseligkeiten abholen könnten. "Alle wussten, dass A. vier Wochen in Pakistan sein würde." Der Schock kam, als Malik zurückkehrte. Die Wohnung ist geräumt.
Der wertvolle Hochzeitsschmuck von Nazia? Weg. Die ungetragene Kleidung der Kinder, die sie aufgehoben hatten, um irgendwann einmal die Aufenthaltserlaubnis zu feiern? Weg. "Angeblich war alles verbrannt", sagt Malik. "Aber wir haben die Sachen bei der Wohnungsbesichtigung noch unbeschädigt gesehen." Die Behörden wissen davon nichts. Nicht zuständig, heißt es.
Malik muss nun von vorn beginnen. Er lebt inzwischen in einer 1,5-Zimmer-Wohnung mit seinem Bruder Zaheer zusammen. Der ist nach einer 17-monatigen Flucht im vergangenen Jahr in Deutschland angekommen. Er bekam sofort Bleiberecht. 2012 hat der Europäische Gerichtshof entschieden, dass die religiöse Zugehörigkeit zu den Ahmadiyya ein Asylgrund ist.
Wieso will Malik überhaupt noch in Deutschland bleiben? "Ich habe mehr als mein halbes Leben hier gelebt", sagt er. Deutschland sei seine Heimat. Trotz allem. "Ich mag, dass hier alles in so geregelten Bahnen abläuft."
http://www.zeit.de/2014/22/asylbewerber-malik-a