"Keinesfalls wollte er das Haus anzünden"
Ein 13 Jahre alter Junge ist verantwortlich für die Brandstiftung in einem Hamburger Flüchtlingsheim. Jetzt meldet sich die Familie des Jungen zu Wort. Psychologen untersuchen ihn.
Ein 13-Jähriger ist für den Brand mit drei Toten in einer Flüchtlingsunterkunft im Hamburger Stadtteil Altona verantwortlich – und nun meldete sich dessen Familie über einen behandelnden Psychologen zu Wort. Am Vortag war der Junge in die Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie im Universitätsklinikum Eppendorf (UKE) gebracht worden.
Deren Chef, Professor Dr. Michael Schulte-Markwort, veröffentlichte eine Stellungnahme: "In Absprache mit den ebenso tief erschütterten Angehörigen des Jungen können wir folgendes mitteilen: Die Tat war weder politisch noch persönlich motiviert. Der Junge kannte weder das Haus noch seine Bewohner. Er ist kein notorischer Brandstifter, der die Feuerwehr einmal bei einem bei einem Einsatz erleben wollte." Seine Mitgliedschaft bei der Jugendfeuerwehr sei ihm aufgrund des Zugehörigkeitsgefühls sehr wichtig gewesen.
Bei der Tat habe es sich "um einen ungerichteten aggressiven Impuls, der nicht vorhersehbar war" gehandelt. Und weiter: "Am Mittwoch hatte er für alle unvorhersehbar und plötzlich den Impuls, Papier in einem ihm unbekannten Haus anzuzünden. Die Folgen seines Handelns waren ihm nicht klar. Keinesfalls wollte er das Haus anzünden. Unsere Aufgabe ist es, den Jungen so zu behandeln, dass er trotz dieser schweren Schuld weiterleben kann", so Schulte-Markwort.
Junge ist Mitglied der Jugendfeuerwehr
Zuvor hatte die Staatsanwaltschaft mitgeteilt, dass der Junge Mitglied der Jugendfeuerwehr Hamburg sei und die Tat eingeräumt habe. "Hinweise auf eine politisch motivierte Tat liegen nicht vor", hieß es auch in dieser Erklärung. Konkretere Angaben zu dem Jungen wollte Oberstaatsanwältin Nana Frombach aus Gründen des Sozialdatenschutzes nicht machen.
Damit ging die Fahndung nach dem mutmaßlichen Brandstifter relativ schnell zu Ende. Nach Angaben von Polizeisprecherin Ulrike Sweden brachte eine Anwohnerin die Ermittler auf die Spur des 13-Jährigen. Die Zeugin habe beobachtet, wie ein Junge in einer Jacke der Jugendfeuerwehr vom Brandort in Richtung Alsenplatz lief und in einen Bus stieg. Die Polizei habe den Jungen so auf Bildern der Videoüberwachung im Bus identifizieren können, sagte Sweden.
Die "Bild"-Zeitung berichtete, der Junge sei in einen Bus gestiegen und habe "aufgeregt und wirr" gesagt: "Ich bin von der Feuerwehr und muss ganz dringend zu einem Einsatz. Es geht um Menschenleben." Bei dem Brand in einem Mehrfamilienhaus waren am Mittwochabend eine 33-jährige Pakistanerin und ihre beiden sechs und sieben Jahre alten Söhne ums Leben gekommen. 27 Bewohner wurden laut Polizei verletzt. Die Ermittler waren frühzeitig von Brandstiftung ausgegangen.
Hamburger Feuerwehr fassungslos
Die Hamburger Feuerwehr vernahm fassungslos, dass ein Angehöriger ihrer Jugendfeuerwehr für den Brand verantwortlich sein soll. Die Bestürzung sei umso größer, da es sich um einen der folgenschwersten Brände der vergangenen Jahre in der Hansestadt gehandelt habe, teilte die Feuerwehr mit.
Man werde diesen Vorfall analysieren und aufarbeiten, um gezielte Rückschlüsse für die Jugendarbeit – aktuell sind demnach mehr als 900 Jungen und Mädchen in den 53 Jugendfeuerwehren der Feuerwehr Hamburg aktiv – zu erlangen.
Auch Hamburgs Innensenator Michael Neumann (SPD) zeigte sich bestürzt und traurig. "Dass offenbar ein 13-Jähriger, der sich gerade einer Jugendfeuerwehr angeschlossen hatte, den Brand verursacht hat, hat mich mehr als erschrocken und wütend gemacht", erklärte er. Zugleich betonte Neumann, dass die schreckliche Tat eines Einzelnen nicht die Leistungen der Jugendfeuerwehren in Misskredit bringen dürfe.
Nicht strafmündig: Verfahren eingestellt
Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) hatte erklärt, ihm sei wichtig, dass die Stadt und ihre Behörden nun insbesondere dem Mann, der seine Frau und zwei Söhne verloren hat, hilfreich zur Seite stehen.
Unter den Trauernden war am Sonntagnachmittag auch Sozialsenator Detlef Scheele (SPD) der gemeinsam mit dem Geschäftsführer des städtischen Unternehmens "Fördern und Wohnen", Rambert Vaerst, an den Brandort kam. "Ich wollte mir selbst ein Bild machen", sagte der Senator, nachdem er einige Minuten still vor dem Haus verharrt hatte. "Verquerer kann das Schicksal nicht sein, dass ein 13-Jähriger für den Tod der Familie verantwortlich ist."
Da das Kind nicht strafmündig ist, stellt die Staatsanwaltschaft das Verfahren jetzt ein. Es kommen nur erzieherische Maßnahmen in Betracht. In Hamburg steht aber auch bei Jugendlichen (ab 14 Jahre) grundsätzlich der Einzelfall im Vordergrund und die Überzeugung, dass regelmäßig straffällig werdende Kinder nichts in Gefängnissen verloren haben, sondern Unterstützung brauchen, wenn sie straffällig geworden sind.
Versicherungen haften nicht
Für Kinder gilt dies schon deshalb, weil der Gesetzgeber nur erzieherische Maßnahmen zulässt. Das kann von "Hilfen zur Erziehung" über einen Familienhelfer in der Familie bis hin zur Behandlung in der Psychiatrie reichen.
Die Eltern haften nur, wenn sie ihre Aufsichtspflicht verletzt haben und ihnen dies nachgewiesen werden kann. Dass ein 13 Jahre altes Kind sich tagsüber allein auf der Straße bewegt, gilt als selbstverständlich und kann keine Schuld begründen. Versicherungen wie etwa eine Haftpflicht-Versicherung treten im Fall von Straftaten nicht ein.
Für das Unternehmen "Fördern- und Wohnen" steht nun die Sanierung des Gebäudes im Vordergrund. Anfang der Woche sei ein Treffen mit dem Hauseigentümer geplant, um Maßnahmen zur Brandsanierung zu besprechen, sagte Geschäftsführer Vaerst.
http://www.welt.de/regionales/hamburg/article124699162/Keinesfalls-wollte-er-das-Haus-anzuenden.html